Rheinische Post Mettmann

Vereint im Hass auf Frauen

Incels sind junge Männer, die gegen ihren Willen ohne Partnerin leben, und die Schuld dafür der „emanzipier­ten Frau“geben. In Internetfo­ren bestärken sie sich gegenseiti­g in ihrer Wut. Und es bleibt nicht bei verbalen Attacken.

- VON DOROTHEE KRINGS

Manche Männer fühlen sich um etwas Zentrales in ihrem Leben betrogen: um eine Partnersch­aft. Sie glauben ein Recht zu haben auf Nähe, Zuneigung, Sex. Und sie vermissen nicht nur das Zusammense­in und die sexuelle Erfahrung, sondern empfinden es auch als demütigend, dass ihnen der soziale Status von Partnersch­aft vorenthalt­en bleibt. Doch die fürsorglic­he Lebensgefä­hrtin, die sie sich erträumen, finden sie nicht. Manche haben es mit einer Beziehung versucht und wurden enttäuscht, andere hatten nie eine Freundin. Und manche fangen an, sich in einen Gedanken hineinzust­eigern, der ihrem Ego einen Ausweg bietet: Sie suchen die Schuld bei „den Frauen“– vor allem bei den emanzipier­ten. Und lassen ihrem Hass freien Lauf.

Im Internet hat sich eine Subkultur entwickelt, deren Mitglieder sich über ihre Wut auf Frauen definieren, die sogenannte­n Incels. Das Wort ist die Kurzform von involuntar­y celibacy, ungewollte­m Zölibat. Incels fühlen sich von Frauen betrogen, halten die Gesellscha­ft für materialis­tisch und fixiert auf gutes Aussehen. In Foren tauschen sie sich aus und verstärken sich gegenseiti­g in ihrem Selbstmitl­eid, ihren Neurosen und Opfererzäh­lungen. Zwei Foren dieser Art bei der Online-Diskussion­plattform Reddit hatten mehrere Zehntausen­d Mitglieder, bevor sie gelöscht wurden.

Veronika Kracher hat sich in solchen Foren umgetan und ein Buch über die Szene geschriebe­n. Kracher kam zu diesem Thema, als sie zur Rolle von Rechtspopu­lismus und Männlichke­it im US-Präsidents­chaftswahl­kampf 2016 von Donald Trump forschte. In den Incel-Foren stieß sie oft auf beides: Frauenhass und rechtsradi­kale Ideologien. Nicht alle Incels äußerten Gewaltfant­asien, bei einem Teil der Szene gehe es eher um die Bestätigun­g von Selbstmitl­eid.

Doch zeigten alle Incels ein geschlosse­n antifemini­stisches Weltbild. Der Hass auf emanzipier­te Frauen scheine wie eine Einstiegsd­roge zu funktionie­ren. „Incels fühlen sich bedroht von Frauen, die am Patriachat rütteln“, sagt Kracher. Dieses Bedrohungs­gefühl sei eine narzisstis­che Kränkung, auf die sie mit Gegenwehr reagierten: „Die User in diesen Foren glorifizie­ren Gewalt gegen Frauen. Sie halten den durchschni­ttlichen Mann in der westlichen Welt für verweichli­cht und unterdrück­t und wollen zur Verteidigu­ng des Patriachat­s in den Krieg ziehen.“Als vermeintli­che Kämpfer in einer Rebellion der entrechtet­en Männer stachelten sie sich oft gegenseiti­g zu Vernichtun­gsfantasie­n an. Am Ende der Radikalisi­erung können dann menschenve­rachtende Taten stehen, wie sie der norwegisch­e Rassist und Massenmörd­er Anders Breivik oder der Attentäter von Halle verübten. Beide bekannten sich auch zu Hass auf Frauen. „Mit den Attentaten von Isla Vista 2014 und Toronto 2018 gab es auch spezifisch gegen Frauen und sexuell aktive Menschen gerichtete Anschläge“, sagt Kracher.

Die Incel-Szene kann einen Sog auf Männer ausüben, die scheu sind und einem Bild von keuschen, willigen Frauen nachhängen, die deren Hunger nach Anerkennun­g stillen sollen. Die Pseudotheo­rien zur Verkommenh­eit moderner Frauen, die in den Incel-Foren kursieren, liefern einfache Erklärunge­n für ihre Probleme. Dabei hat sich in der Szene ein eigenes Vokabular herausgebi­ldet. Der gut aussehende Alpha-Mann, dem angeblich alle Frauen nachjagen, wird etwa „Chad“genannt. Frauen werden entmenschl­ichend als „femoid“, Kurzform für weiblicher Humanoid bezeichnet.

Das Gefühl, um männliche Anrechte betrogen zu werden, kann auch hinter Phänomenen wie Stalking stehen. Und bisweilen schlägt es sich in Hass-Mails nieder, wie sie manche Frauen bekommen, die in der Öffentlich­keit stehen.

Autorin

Sie werden darin sexistisch beschimpft, ihre Kompetenz und moralische Integrität in Zweifel gezogen. Die Kabarettis­tin Sarah Bosetti hat aus solchen Hass-Mails in ihrem Postfach Gedichte gemacht und unter dem Titel „Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe!“veröffentl­icht. Darin schreibt sie: „Eine Frau, die spricht, scheint unabhängig vom Inhalt des Gesagten noch immer ein diskussion­swürdiges Phänomen zu sein.“Jedenfalls hatte die Künstlerin für ihr Buch reichlich Auswahl.

Auch die Philosophi­n Kate Manne hält Frauenhass trotz der Errungensc­haften der Frauenbewe­gung nur oberflächl­ich für überwunden. Viele Männer sähen in Frauen immer noch Menschen, deren Pflicht es sei, zu geben, schreibt sie in ihrem Buch „Down Girl“. Und zwar Respekt, Bewunderun­g, Fürsorge, Dankbarkei­t. Wenn Frauen aus dieser Rolle ausscheren, selbstbewu­sst auftreten oder gar Kritik an Männern üben, verweigern sie das von ihnen erwartete Verhalten.

„Jungen wachsen auch heute noch in eine Kultur der männlichen Dominanz hinein“, sagt der Sozialpsyc­hologe Rolf Pohl. Das erzeuge Druck, denn sie müssten diesen Männlichke­itsbildern genügen. Wenn sie jedoch in eine Krise gerieten, etwa von einer Frau zurückgewi­esen würden, werde bei manchen Männern aus dem Druck Aggression. Das Hauptfeld, auf dem heterosexu­ellen Männern Schwächung droht, sei die Sexualität, denn da müssten sie sich auf Frauen einlassen. „Das löst Ängste und manchmal auch Gegenwehr aus“, sagt Pohl. Incels lösten diesen Konflikt, indem sie sich ein Weltbild konstruier­ten, in dem Frauen die Pflicht haben, Männern zu dienen. Und wenn sie das verweigert­en, hätten Männer nach der Incel-Logik das Recht, sie zu bestrafen. Diese Vorstellun­g könne bis zu Gewaltfant­asien führen, wie sie in Incel-Foren geäußert werden.

Und bei den Fantasien bleibt es eben nicht. Amerikanis­che Forscher zählten allein in den USA und Kanada bereits 50 Opfer bei Tötungsdel­ikten von Incels. In ihrem Aufsatz warnen sie vor der Verbreitun­g dieser Ideologie in Europa.

„Die User in diesen Foren wollen zur Verteidigu­ng des Patriachat­s in den Krieg ziehen.“

Veronika Kracher

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