Vereint im Hass auf Frauen
Incels sind junge Männer, die gegen ihren Willen ohne Partnerin leben, und die Schuld dafür der „emanzipierten Frau“geben. In Internetforen bestärken sie sich gegenseitig in ihrer Wut. Und es bleibt nicht bei verbalen Attacken.
Manche Männer fühlen sich um etwas Zentrales in ihrem Leben betrogen: um eine Partnerschaft. Sie glauben ein Recht zu haben auf Nähe, Zuneigung, Sex. Und sie vermissen nicht nur das Zusammensein und die sexuelle Erfahrung, sondern empfinden es auch als demütigend, dass ihnen der soziale Status von Partnerschaft vorenthalten bleibt. Doch die fürsorgliche Lebensgefährtin, die sie sich erträumen, finden sie nicht. Manche haben es mit einer Beziehung versucht und wurden enttäuscht, andere hatten nie eine Freundin. Und manche fangen an, sich in einen Gedanken hineinzusteigern, der ihrem Ego einen Ausweg bietet: Sie suchen die Schuld bei „den Frauen“– vor allem bei den emanzipierten. Und lassen ihrem Hass freien Lauf.
Im Internet hat sich eine Subkultur entwickelt, deren Mitglieder sich über ihre Wut auf Frauen definieren, die sogenannten Incels. Das Wort ist die Kurzform von involuntary celibacy, ungewolltem Zölibat. Incels fühlen sich von Frauen betrogen, halten die Gesellschaft für materialistisch und fixiert auf gutes Aussehen. In Foren tauschen sie sich aus und verstärken sich gegenseitig in ihrem Selbstmitleid, ihren Neurosen und Opfererzählungen. Zwei Foren dieser Art bei der Online-Diskussionplattform Reddit hatten mehrere Zehntausend Mitglieder, bevor sie gelöscht wurden.
Veronika Kracher hat sich in solchen Foren umgetan und ein Buch über die Szene geschrieben. Kracher kam zu diesem Thema, als sie zur Rolle von Rechtspopulismus und Männlichkeit im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 von Donald Trump forschte. In den Incel-Foren stieß sie oft auf beides: Frauenhass und rechtsradikale Ideologien. Nicht alle Incels äußerten Gewaltfantasien, bei einem Teil der Szene gehe es eher um die Bestätigung von Selbstmitleid.
Doch zeigten alle Incels ein geschlossen antifeministisches Weltbild. Der Hass auf emanzipierte Frauen scheine wie eine Einstiegsdroge zu funktionieren. „Incels fühlen sich bedroht von Frauen, die am Patriachat rütteln“, sagt Kracher. Dieses Bedrohungsgefühl sei eine narzisstische Kränkung, auf die sie mit Gegenwehr reagierten: „Die User in diesen Foren glorifizieren Gewalt gegen Frauen. Sie halten den durchschnittlichen Mann in der westlichen Welt für verweichlicht und unterdrückt und wollen zur Verteidigung des Patriachats in den Krieg ziehen.“Als vermeintliche Kämpfer in einer Rebellion der entrechteten Männer stachelten sie sich oft gegenseitig zu Vernichtungsfantasien an. Am Ende der Radikalisierung können dann menschenverachtende Taten stehen, wie sie der norwegische Rassist und Massenmörder Anders Breivik oder der Attentäter von Halle verübten. Beide bekannten sich auch zu Hass auf Frauen. „Mit den Attentaten von Isla Vista 2014 und Toronto 2018 gab es auch spezifisch gegen Frauen und sexuell aktive Menschen gerichtete Anschläge“, sagt Kracher.
Die Incel-Szene kann einen Sog auf Männer ausüben, die scheu sind und einem Bild von keuschen, willigen Frauen nachhängen, die deren Hunger nach Anerkennung stillen sollen. Die Pseudotheorien zur Verkommenheit moderner Frauen, die in den Incel-Foren kursieren, liefern einfache Erklärungen für ihre Probleme. Dabei hat sich in der Szene ein eigenes Vokabular herausgebildet. Der gut aussehende Alpha-Mann, dem angeblich alle Frauen nachjagen, wird etwa „Chad“genannt. Frauen werden entmenschlichend als „femoid“, Kurzform für weiblicher Humanoid bezeichnet.
Das Gefühl, um männliche Anrechte betrogen zu werden, kann auch hinter Phänomenen wie Stalking stehen. Und bisweilen schlägt es sich in Hass-Mails nieder, wie sie manche Frauen bekommen, die in der Öffentlichkeit stehen.
Autorin
Sie werden darin sexistisch beschimpft, ihre Kompetenz und moralische Integrität in Zweifel gezogen. Die Kabarettistin Sarah Bosetti hat aus solchen Hass-Mails in ihrem Postfach Gedichte gemacht und unter dem Titel „Ich hab nichts gegen Frauen, du Schlampe!“veröffentlicht. Darin schreibt sie: „Eine Frau, die spricht, scheint unabhängig vom Inhalt des Gesagten noch immer ein diskussionswürdiges Phänomen zu sein.“Jedenfalls hatte die Künstlerin für ihr Buch reichlich Auswahl.
Auch die Philosophin Kate Manne hält Frauenhass trotz der Errungenschaften der Frauenbewegung nur oberflächlich für überwunden. Viele Männer sähen in Frauen immer noch Menschen, deren Pflicht es sei, zu geben, schreibt sie in ihrem Buch „Down Girl“. Und zwar Respekt, Bewunderung, Fürsorge, Dankbarkeit. Wenn Frauen aus dieser Rolle ausscheren, selbstbewusst auftreten oder gar Kritik an Männern üben, verweigern sie das von ihnen erwartete Verhalten.
„Jungen wachsen auch heute noch in eine Kultur der männlichen Dominanz hinein“, sagt der Sozialpsychologe Rolf Pohl. Das erzeuge Druck, denn sie müssten diesen Männlichkeitsbildern genügen. Wenn sie jedoch in eine Krise gerieten, etwa von einer Frau zurückgewiesen würden, werde bei manchen Männern aus dem Druck Aggression. Das Hauptfeld, auf dem heterosexuellen Männern Schwächung droht, sei die Sexualität, denn da müssten sie sich auf Frauen einlassen. „Das löst Ängste und manchmal auch Gegenwehr aus“, sagt Pohl. Incels lösten diesen Konflikt, indem sie sich ein Weltbild konstruierten, in dem Frauen die Pflicht haben, Männern zu dienen. Und wenn sie das verweigerten, hätten Männer nach der Incel-Logik das Recht, sie zu bestrafen. Diese Vorstellung könne bis zu Gewaltfantasien führen, wie sie in Incel-Foren geäußert werden.
Und bei den Fantasien bleibt es eben nicht. Amerikanische Forscher zählten allein in den USA und Kanada bereits 50 Opfer bei Tötungsdelikten von Incels. In ihrem Aufsatz warnen sie vor der Verbreitung dieser Ideologie in Europa.
„Die User in diesen Foren wollen zur Verteidigung des Patriachats in den Krieg ziehen.“
Veronika Kracher