Rheinische Post Mettmann

Eine Partei zerlegt sich selbst

Beim AfD-Parteitag in Kalkar löst Parteichef Jörg Meuthen eine Debatte über sich selbst und die Ausrichtun­g der Partei aus.

- VON GREGOR MAYNTZ

KALKAR 35 Delegierte haben vor ihm geredet, ihrem Frust, ihrem Ärger und ihrem Hass auf das jeweils andere Lager freien Lauf gelassen, da fasst es der letzte treffend zusammen: „Wir zünden gerade unser eigenes Haus an.“Was sich Sonntagmit­tag beim AfD-Parteitag in Kalkar ereignet, dürfte in der Parteienge­schichte in Deutschlan­d beispiello­s sein. Jedenfalls bei Parteien, die nicht unmittelba­r vor der Selbstaufl­ösung standen. Eine Partei zerlegt den eigenen Vorsitzend­en und sich selbst auf offener Bühne.

Schon vor Wochen hat der Freiburger AfD-Kreisvorst­and unter Federführu­ng von Dubravko Mandic für den Bundespart­eitag einen Antrag eingebrach­t, der unter der Ordnungsnu­mmer „SN-3“in die AfD-Geschichte eingehen und zur Chiffre des ganzen Parteitags werden sollte: „Der Bundespart­eitag missbillig­t das spalterisc­he Gebaren von Bundesspre­cher Jörg Meuthen und seinen Parteigäng­ern.“Wenn alles so gekommen wäre, wie ursprüngli­ch erwartet, wäre es sehr fraglich gewesen, ob der Parteitag diesen Satz überhaupt zur Abstimmung stellt. Mandic ist eine schräge Gestalt selbst für AfD-Verhältnis­se mit unscharfen Einschätzu­ngen über die Unterschie­de zwischen AfD und NPD. Vor allem mit leidenscha­ftlichem Hass auf Meuthen.

Monatelang hatten die Gremien daran gearbeitet, Kalkar zum Triumph einer einigen AfD zu machen. Die seit Jahren unversöhnl­ichen Entwürfe für ein AfD-Rentenkonz­ept waren in zähem Geben und Nehmen zu einem Konsens geronnen. Tatsächlic­h geschah im „Wunderland“von Kalkar das Wunder einer AfD mit einem ersten Sozialprog­ramm sieben Jahre nach der Gründung. 88 Prozent Zustimmung. Nach der Schlussabs­timmung klopfen sie sich für dieses Ergebnis selbst auf die Schulter. Flexibler Renteneint­ritt, Kinderwüns­che fördern mit 20.000 Euro Rentenbeit­rägen für die Eltern pro Geburt, Abschaffen der Politiker-Pensionen. Das sollten die medialen Botschafte­n werden. Und dazu der trotzige Nachweis, in der Corona-Krise einen Parteitag zu stemmen, ohne dass das Kalkarer Ordnungsam­t einschreit­en muss. Weit überwiegen­d halten sich die Delegierte­n an die Maskenpfli­cht.

Doch diese Bilder sind Makulatur, als Meuthen sich in seiner Eröffnungs­rede warmgelauf­en hat. Mag der Schnelle Brüter in Kalkar auch nie in Betrieb gegangen sein, der AfD-Chef erbringt den Nachweis, dass an dieser Stelle gleichwohl gewaltige Kettenreak­tionen möglich sind. Mit scharfer Kritik arbeitet er sich an allem ab, mit dem es die AfD in den vergangene­n Wochen in die Schlagzeil­en geschafft hat. Er lehnt die „Corona-Diktatur“genauso ab wie das Gerede vom „Ermächtigu­ngsgesetz“und warnt ausdrückli­ch davor, mit denjenigen unter den „Querdenker­n“den Schultersc­hluss zu suchen, bei denen der Verdacht besteht, nicht mal geradeaus denken zu können.

Seine Ausdrucksw­eise ist dabei offensiv bis aggressiv. Er plädiert dafür, künftig alle, die „rumprollen“, im Regen stehenzula­ssen. Sonst liefen der AfD „Scharen von Menschen“weg. Es führe eben nicht zu immer mehr Zustimmung, wenn man sich „immer aggressive­r, immer derber und immer enthemmter“benehme. Fassungslo­s verfolgen viele Delegierte, wie er sich nun die zentrale Institutio­n der AfD vorknöpft, den Fraktionsc­hef und Ehrenvorsi­tzenden

Alexander Gauland. Er nennt ihn nicht beim Namen, aber die Begriffe „pubertiere­n“und „Pöbeleien“sind erkennbar auf die Arbeit der Fraktion gemünzt. Und wenn er unterstrei­cht, dass die AfD nicht „im Gestern zu Hause“sein dürfe und mit den Entwürfen von Bismarck die Zukunft nicht gestalten könne, ist klar, dass nur einer gemeint sein kann: Bismarck-Fan Gauland.

„Spalterisc­h“nennt Gauland Teile der Rede. Seine Co-Fraktionsc­hefin Alice Weidel beeilt sich via Interview, den AfD-Leuten weiter die Teilnahme an „Querdenken“-Demos zu empfehlen. Am nächsten Morgen muss Gauland gar mit dem Krankenwag­en den Parteitag verlassen, weil es ihm gesundheit­lich schlecht geht. Doch am Samstag scheint sich der Parteitag über die Rentendeba­tte zunächst zu beruhigen. Bei den Wahlen zu den Schatzmeis­terund Beisitzer-Posten im Bundesvors­tand setzen sich allesamt Gemäßigte durch, jedenfalls was für AfD-Verhältnis­se als „gemäßigt“gelten kann. Das Scharfmach­en gehört auch bei Gegnern des Kurses von Rechtsauße­n Björn Höcke zu Bewerbungs­reden dazu.

Tags drauf jedoch ist die Wut über Meuthen noch nicht verraucht. Meuthen nutzt das lange Warten auf die hygienebed­ingt langen Einlassver­fahren an der Halle, um im Fernsehint­erview neu zu sticheln. Er qualifizie­rt Höcke als Landespoli­tiker

ab, der für die Bundespart­ei wenig Bedeutung habe. Jedenfalls solange er nicht auf Bundeseben­e mitwirke. Zwei Stunde später, als die Meuthen-Debatte im Saal tobt, wird es der Spandauer Delegierte Andreas Otti so ausdrücken: „Herr Höcke, Sie sind der Strippenzi­eher im Hintergrun­d, zeigen Sie sich mal!“Höcke tut es nicht.

Dafür tun es seine Anhänger. Und sie wollen auch nicht bis zum späten Sonntagnac­hmittag warten, wenn nach der beschlosse­nen Tagesordnu­ng „SN-3“an die Reihe kommt. „Seid Ihr denn des Wahnsinns?“, ruft der AfD-Abgeordnet­e Norbert Kleinwächt­er warnend in den Saal. Eine öffentlich­e Debatte über den eigenen Parteivors­itzenden zu beginnen,

AfD-Bundesspre­cher Jörg Meuthen beim Parteitag in Kalkar. laufe auf eine Katastroph­e hinaus. Doch eine Mehrheit will nicht „mundtot gemacht“werden, setzt die Beratung über „SN-3“mit 58,8 Prozent durch.

Gleich die erste Wortmeldun­g zeigt die Entschloss­enheit vieler Delegierte­r zum finalen Showdown. Meuthens Verhalten sei parteischä­digend, heißt es. Und der Magdeburge­r AfD-Abgeordnet­e Jürgen Pohl wendet sich direkt an Meuthen, als er seinen Redebeitra­g mit der Prophezeiu­ng enden lässt: „Ihre Zeit in der AfD ist vorbei!“Die Merkel-muss-weg-Partei auf dem Weg zur Meuthen-mussweg-Partei? Pohls Ansage wird von Jauchzen anderer Delegierte­r begleitet. In anderen Parteien könnte jetzt nur der Rücktritt des Attackiert­en folgen.

Nicht in der AfD. Da meint der AfD-Abgeordnet­e Stephan Brandner zwar, der Weg von Meuthen sei ein Irrweg, lädt ihn aber zugleich ein, „zurück in die Familie“zu kommen, „dann nehmen wir Dich auch gerne wieder auf“. Zuvor hat auch das Meuthen-Lager an den Saalmikrof­onen Aufstellun­g genommen. „Patrioten, lasst Euch nicht von Querulante­n hinter die Fichte führen“, heißt es. Oder: „Meuthen macht, was wir von ihm erwarten, er führt.“Und sie schießen zurück. Die Teile, die sich bürgerlich verstünden, fühlten sich „seit Jahren betrogen“, endlich habe Meuthen das thematisie­rt. Und nicht wenige verlangen, Meuthen möge genau so weitermach­en.

Er selbst darf auch noch einmal sprechen, rückt einige „ideologisc­h motivierte Verdrehung­en“zurecht, erinnert an das bevorstehe­nde Superwahlj­ahr und die jüngste Umfrage, die die AfD nur noch bei sieben Prozent sieht und empfiehlt: „Wir müssen eine Partei bürgerlich­er Vernunft sein, die seriös auftritt.“Von Seriosität sind die weiteren Wortmeldun­gen weit entfernt. Nun werden die Anträge der Meuthen-Gegner als parteischä­digend qualifizie­rt. Einen „Personenkr­ieg“sieht der AfD-Abgeordnet­e Albrecht Glaser. Schon warnt eine Delegierte, alle Beamten als AfD-Anhänger zu verlieren, wenn die Partei stets neue Anlässe für eine Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz liefere. Immer wieder wird die Einigkeit beschworen, aber stets unter anderen Vorgaben.

Es ist der Niederrhei­n-Abgeordnet­e Kay Gottschalk, der beim Parteitag am Niederrhei­n die Notbremse zieht. „Wir sollten das unwürdige Spiel an dieser Stelle beenden“, ruft er, und zwar „mit der Möglichkei­t, ohne Gesichtsve­rlust hier rauszukomm­en“. Für seinen Antrag, sich mit dem Antrag „SN-3“doch nicht zu befassen, bekommt er 53 Prozent Zustimmung. Das vorläufige Ende eines Dramas. Viele verlassen den Saal. Aber nicht die AfD. Noch nicht.

 ?? FOTO: SCHÜRMANN/GETTY IMAGES ?? Mitarbeite­r des Ordnungsam­tes der Stadt Kalkar kontrollie­rten beim AfD-Parteitag die Einhaltung der Masken- und Abstandsre­geln.
FOTO: SCHÜRMANN/GETTY IMAGES Mitarbeite­r des Ordnungsam­tes der Stadt Kalkar kontrollie­rten beim AfD-Parteitag die Einhaltung der Masken- und Abstandsre­geln.
 ?? FOTO: KUSCH/DPA ?? Demonstran­ten zogen am Samstag über eine Landstraße in Kalkar. Im Freizeitpa­rk „Wunderland“hielt die AfD ihren Bundespart­eitag ab.
FOTO: KUSCH/DPA Demonstran­ten zogen am Samstag über eine Landstraße in Kalkar. Im Freizeitpa­rk „Wunderland“hielt die AfD ihren Bundespart­eitag ab.
 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany