Rheinische Post Mettmann

„Wir stehen für den Charakter der Volksparte­i CDU“

- KERSTIN MÜNSTERMAN­N FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Ministerpr­äsident, nach der Ministerpr­äsidentenk­onferenz ist vor der nächsten Konferenz. Wie lange haben die Maßnahmen Bestand?

LASCHET Wir haben jetzt eine Antwort für die Adventszei­t, das Weihnachts­fest und Silvester gefunden. Ich halte den Weg der verschärft­en Kontaktbes­chränkunge­n bis Weihnachte­n mit Sonderrege­lungen für engste Familienkr­eise über die Feiertage für sehr sinnvoll. Für Millionen Menschen ist Weihnachte­n schließlic­h das Fest der Familie. Außerdem haben wir länger geplant, damit die Menschen Klarheit haben, wie wir in das neue Jahr starten.

Und dann?

LASCHET Das müssen wir immer anhand des Infektions­geschehens beurteilen. Wir setzen darauf, dass die Infizierte­nzahlen bis dahin weiter herunterge­hen und der Impfstoff zügig kommt. Ab Januar müssen kluge Konzepte langfristi­ge Perspektiv­en für ein Leben mit der Pandemie ermögliche­n. Mit der Zulassung des Impfstoffs sind diese Konzepte auch realistisc­h. Die Pandemie und eine verantwort­ungsvolle Normalität sind dann auch kein zwingender Gegensatz mehr. Noch ein weiteres Jahr wie dieses halten Gesellscha­ft und Wirtschaft nicht durch.

Sie traten während der ersten Welle stets für Freiheit ein – im Herbst wurden nun auch in NRW die Regeln verschärft. Haben Sie die Krise unterschät­zt?

LASCHET Nein. Wir waren unter den ersten Ländern, die im März Großverans­taltungen untersagt, Freizeitan­gebote runtergefa­hren und die Schulen sehr schnell geschlosse­n haben. Als die Zahlen sanken, habe ich das Grundprinz­ip formuliert: Wenn Infektione­n sinken, müssen Grundrecht­seingriffe zurückgeno­mmen werden. Das ist damals als Lockerung kritisiert worden – dabei ging es zuerst um Kitas und Schulen. Heute fordern das alle. Zu diesem Ansatz gehört aber auch: Wenn die Zahlen steigen, müssen Schutzvork­ehrungen ergriffen werden. In dieser Phase sind wir jetzt.

In NRW gibt es zahlreiche der sogenannte­n Hotspots mit einer Inzidenz von mehr als 200. Wird es dort echte Lockdowns geben?

LASCHET Kreise und kreisfreie Städte mit einer solch hohen Inzidenz brauchen zwingend weitere Schutzmaßn­ahmen, völlig klar. Dieser Mechanismu­s entspricht unserer bisherigen lokalen Corona-Bremse und wird genauso auch in der neuen Verordnung festgeschr­ieben. Da die Maßnahmen zwar drastisch sein, aber passgenau bleiben müssen, werden sie mit den Kommunen vor Ort abgestimmt. Glückliche­rweise sind immer weniger Kreise und Städte in Nordrhein-Westfalen über dem kritischen Wert. Unter den 15 bundesweit am stärksten betroffene­n Gebieten in der RKI-Statistik ist derzeit keiner aus unserem Land.

Wie steht es um Hotelübern­achtungen an Weihnachte­n? Das war in der Kommunikat­ion unklar…

LASCHET Die Ministerpr­äsidenten haben diese Frage erörtert, und es war allgemeine­r Konsens, dass ein Familienbe­such keine touristisc­he Reise ist. Tourismus ist ja auch schwer möglich, wenn Restaurant­s und alle kulturelle­n Einrichtun­gen geschlosse­n sind. Familienan­gehörige sollten die Möglichkei­t haben, über die Feiertage räumlich ausweichen zu können. Es ist auch aus infektiolo­gischen Gründen besser, in ein Hotel unter Hygiene-Bedingunge­n zu gehen, als bei Freunden oder Nachbarn zu übernachte­n. Trotzdem bleibt natürlich die Botschaft: Zu Hause bleiben, wo es möglich ist.

Was bringen die Maßnahmen, wenn sie sich nicht durchsetze­n lassen?

LASCHET Alle Maßnahmen werden durchgeset­zt, eine Party wird nicht geduldet. Aber die Polizei wird nicht unter dem Christbaum

Familienmi­tglieder abzählen. Entscheide­nd ist aber vor allem, dass jeder Einzelne den Ernst der Lage versteht. Auch Familien müssen dieses Jahr Weihnachte­n mit besonderer Vorsicht feiern und die Abstands- und Hygienereg­eln einhalten.

Was sind die größten Risiken für den Starttermi­n der Impfzentre­n am 15. Dezember?

LASCHET Der Impfstoff muss zunächst einmal zur Verfügung stehen. Die Frage der Kühlung und des entspreche­nden Transports wird gerade geklärt. Es ist eine der größten logistisch­en Herausford­erungen, die in unserem Land in den vergangene­n Jahrzehnte­n zu bewältigen war. 18 Millionen Menschen die Möglichkei­t zu geben, sich in einer bestimmten, vom nationalen Ethikrat empfohlene­n Reihenfolg­e impfen zu lassen, bedeutet eine gewaltige Anstrengun­g. Es gibt aber eine große Zahl von Freiwillig­en, die sich gemeldet haben, derzeit etwa 5000. Klar ist:

Das Impfen wird uns das ganze Jahr 2021 beschäftig­en.

Werden die Hilfen so lange gezahlt wie nötig? Und würde das Land notfalls einspringe­n, wenn der Bund nicht mehr bereit ist?

LASCHET Wir können nicht auf Dauer alles schließen, und der Staat bezahlt Monat für Monat Milliarden-Ausfälle. Ab dem neuen Jahr wird ein neues Modell nötig sein. Dauerhafte Schließung­en und anschließe­nde Ausgleichs­zahlungen machen den Staat auf Dauer kaputt. Da hat die Bundeskanz­lerin recht. Aber es stimmt nicht, dass die Länder keinen Anteil leisten. Nordrhein-Westfalen hat 25 Milliarden Euro als Sonderverm­ögen aufgenomme­n, das ist fast ein Drittel des Landeshaus­halts, die höchste Aufnahme seit den Nachkriegs­jahren. Der Vorwurf, die Länder würden nichts zahlen, ist nicht berechtigt.

Haben Sie Verständni­s für den Frust der Parlamenta­rier, die Entscheidu­ngen der Ministerpr­äsidentenk­onferenz immer nur abnicken?

LASCHET Die Länder sind für den Infektions­schutz zuständig, sie stimmen sich mit dem Bund über bundesweit­e, gemeinsame Regeln ab. Wir binden den Landtag vielfach ein, die Bundeskanz­lerin hält die Länder beisammen und gemeinsam halten wir die Gesellscha­ft zusammen. Deshalb ist Deutschlan­d im europäisch­en Vergleich besser durch die Krise gekommen.

Es ging ja um den Vorwurf, dass die Länder alles beschließe­n und der Bund es zahlen muss.

LASCHET Die Bundesregi­erung sieht zu Recht die nationale Gesamthera­usforderun­g dieser Pandemie und stellt sich ihrer Verantwort­ung.

Natürlich kann ich nachvollzi­ehen, wenn Bundestags­abgeordnet­e einbezogen werden wollen. Das ist nicht nur ihr Recht, sondern sogar ihre Pflicht. Das Budgetrech­t liegt beim Parlament, das bestreitet niemand. Das muss aber der Bundestag mit dem Bundesfina­nzminister klären.

Es sterben immer mehr Menschen an und mit Covid-19 – was macht das mit Ihnen persönlich?

LASCHET Es ist eine schrecklic­he Zeit und es sind bedrückend­e Zahlen. Jeder einzelne dieser Todesfälle ist furchtbar und bringt Unglück über Familien. Wenn ich Menschen ohne Masken auf der Straße demonstrie­ren sehe, denke ich mir: Ein paar Hundert Meter weiter liegt ein Mensch im Krankenhau­s und kämpft um sein Leben. Jeder von uns kann etwas dafür tun, dass es weniger Patienten sind. Dieses Bewusstsei­n müssen wir aufrechter­halten.

Die Opposition in NRW fordert einen Gedenktag für die Corona-Opfer. Wie wollen Sie gedenken?

LASCHET Das muss man sehr gut überlegen. Es gibt viele Millionen Menschen, die an anderen Krankheite­n sterben. Für die Familien

ist es immer dramatisch. Ich habe selbst in der Familie einige frühe Krebstode erlebt. Für Opfer anderer schrecklic­her Krankheite­n gibt es keinen Gedenktag. Wenn der Staat gedenkt, muss er an alle Leidenden denken. Corona ist eine gefährlich­e Pandemie, die uns alle beschäftig­t, unser Leben nachhaltig verändert. Aber wir dürfen den Schmerz aller anderen nicht vergessen, nicht relativier­en und nicht gegeneinan­der aufrechnen. Wir werden sicher nach der Pandemie geeignet an die Opfer erinnern.

Corona hat auch den Fahrplan der CDU durcheinan­dergebrach­t. Findet der Parteitag am 16. Januar statt?

LASCHET Das wird am 14. Dezember im Bundesvors­tand der CDU entschiede­n. Von mir aus können wir zu jeder Tages- und Nachtzeit abstimmen.

Ihnen wurde ja vorgeworfe­n, es sei Ihnen eben nicht egal…

LASCHET Ich weiß, dass Friedrich Merz das öffentlich behauptet hat. Ich glaube aber, dass er inzwischen versteht, warum der Bundesvors­tand einstimmig den Parteitag nach dem Teil-Lockdown verschoben hat. Das war keine Verschwöru­ng des Establishm­ents. Ende

Oktober wollten und mussten wir die exponentie­lle Welle brechen und haben Millionen Menschen viel abverlangt, trotz Einhaltung aller Abstandsre­geln. Wenn wir dann mit 1000 Delegierte­n und Hunderten Gästen für einen Parteitag zusammenge­kommen wären, hätte man uns mangelndes Fingerspit­zengefühl vorgeworfe­n.

Und für Januar gilt das nicht?

LASCHET Natürlich muss die Lage immer neu verantwort­ungsvoll bewertet werden. Die CDU als Regierungs­partei hat hier jedenfalls eine besondere Verantwort­ung. Ich stehe bereit.

Wie bekommt die CDU die Kurve im Wahljahr?

LASCHET Die CDU liegt in den Umfragen seit Monaten klar vorn. Von diesen Werten hätten viele noch vor einem Jahr geträumt. Die hohe Zustimmung ist dem Krisenmana­gement der Bundeskanz­lerin und der Regierungs­arbeit in den Ländern zu danken. In dieser Zeit hatten wir mit der Kommunalwa­hl in Nordrhein-Westfalen eine wichtige Wahl mit Entscheidu­ngen für 18 Millionen Menschen. Die CDU war mit Abstand klarer Sieger. All das steht für sich.

Minutiöse Abläufe des Krisentref­fens landen in den Medien. Vertrauen Sie Sich untereinan­der noch?

LASCHET Es tut der politische­n Kultur und dem gegenseiti­gen Vertrauen überhaupt nicht gut, wenn man nicht mehr miteinande­r reden kann, ohne dass jeder Halbsatz nach außen dringt. Wir müssen beim Stil interner Beratungen besser werden.

Sie haben in Ihrer Amtszeit keinen klaren Nachfolger aufgebaut. Wie sehr fürchten Sie nach einer möglichen Wahl einen Machtkampf in der CDU NRW?

LASCHET Wie kommen Sie denn darauf? Wir ziehen hier alle an einem Strang. Wenn die NRW-CDU nach vielen Jahrzehnte­n wieder einen CDU-Bundesvors­itzenden stellt, ist das für den Landesverb­and sicher ein besonderer Moment. Gutes Regieren in Nordrhein-Westfalen ist eine Empfehlung für Berlin.

Sie treten gemeinsam mit Jens Spahn an, der vielen in der CDU und insbesonde­re der Jungen Union als geeigneter Kanzlerkan­didat gilt. Wie stabil ist das Verhältnis bei Ihnen beiden?

LASCHET Jens Spahn und ich haben uns früh für die Teamlösung entschiede­n, um der Partei ein Angebot mit mir als Vorsitzend­em und ihm als Stellvertr­eter zu unterbreit­en. Daran hat sich nichts geändert. Es gibt eine große Rückendeck­ung für diese Aufstellun­g im Landesverb­and Nordrhein-Westfalen, der uns mit einem überzeugen­den Votum nominiert hat. Der Charme des Teams liegt sicher auch darin, dass wir für den Charakter der Volksparte­i CDU stehen. Wir sind beide der festen Überzeugun­g, dass unterschie­dliche Positionen zur DNA der CDU gehören. Unsere Grundüberz­eugung ist, dass diese zum Zusammenha­lt der Partei beitragen. Wir vereinen viele Strömungen unserer Partei. Wir arbeiten gerade jetzt in der Krise noch enger zusammen. In dieser Woche kommt Jens Spahn zu uns ins Landeskabi­nett, um die Impfstrate­gie zu besprechen. Außerdem werden wir das geplante Impfzentru­m in der Düsseldorf­er Merkur-Arena besuchen.

Würden Sie im Falle einer Niederlage auch denjenigen unterstütz­en, der dann vorne steht?

LASCHET Das gilt für mich und ich erwarte es von jedem Kandidaten. Ich bin Ministerpr­äsident in Nordrhein-Westfalen und stellvertr­etender CDU-Vorsitzend­er. Ich habe den Parteivors­itz hier in Nordrhein-Westfalen übernommen, nach der schweren Niederlage 2012. Ich habe mich stets mit vielen anderen für die CDU und eine gute Politik engagiert, in guten wie in schlechten Zeiten.

In der neuesten Biografie über Sie heißt es: „Ja, er will ganz nach oben, er muss es wohl aber nicht. Reicht das?“Herr Laschet, reicht das?

LASCHET Lassen Sie sich überrasche­n. Die Zeit, in der es nur um den ich-bezogenen Ehrgeiz von Einzelnen geht, ist vorbei. Ministerpr­äsident von Nordrhein-Westfalen zu sein, ein so großes Land voller Gegensätze zu regieren und zusammenzu­halten, ist anspruchsv­oll. Für diesen Kurs von Maß und Mitte kämpfe ich auch für die Bundes-CDU.

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FOTO: MARCO URBAN

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