Rheinische Post Mettmann

Iran dringt auf Vergeltung

Die Landesführ­ung will den Mordanschl­ag auf den Atomwissen­schaftler Mohsen Fachrisade­h rächen. Doch der beschuldig­te politische Gegner ist mächtig.

- VON THOMAS SEIBERT

TEHERAN Nach dem Mord an dem iranischen Atomwissen­schaftler Mohsen Fachrisade­h fordern Hardliner in Teheran Rache an Israel. Eine Zeitung verlangte am Sonntag einen Angriff auf die israelisch­e Hafenstadt Haifa. Parlaments­präsident Mohammad Bagher Ghalibaf, ein führender Konservati­ver und Ex-Offizier der Revolution­sgarde, sagte mit Blick auf Israel, ohne „starke Antwort“werde der Feind seine Taten nicht bereuen. Eine Vergeltung für den Anschlag ist schon aus innenpolit­ischen Gründen sehr wahrschein­lich – der Mord hat die Schwäche des Sicherheit­sapparats entblößt. Doch die Antwort dürfte begrenzt bleiben. Das Regime der Islamische­n Republik will keinen regionalen Krieg auslösen, der die eigene Existenz gefährden könnte.

Fachrisade­h, der Leiter des 2003 eingestell­ten Atombomben­programms des Iran, wurde am Freitagnac­hmittag in Absard, einem Ferienort der iranischen Elite rund 70 Kilometer östlich der Hauptstadt Teheran, von Unbekannte­n erschossen. Die Täter konnten fliehen, doch die iranische Führung gibt Israel die Schuld. Experten und US-Politiker vermuten, dass Regierungs­chef Benjamin Netanjahu

die Spannungen mit dem Iran vor der Amtsüberna­hme des neuen US-Präsidente­n Joe Biden im Januar hochtreibe­n will, um Bidens geplante Wiederannä­herung an Teheran nach vier Jahren offener Feindschaf­t unter Amtsinhabe­r Donald Trump zu sabotieren. Der Anschlag habe den Zweck gehabt, „die amerikanis­ch-Diplomatie zu untergrabe­n“, schimpfte der US-Senator Bernie Sanders auf Twitter.

Der Mord an Fachrisade­h war die dritte schwere Demütigung der iranischen Sicherheit­sbehörden in diesem Jahr. Im Januar töteten die USA den legendären General Kassem Soleimani, Chef der Auslandstr­uppe

der Revolution­sgarde, in Bagdad. Im Sommer explodiert­e ein stark gesicherte­s Atomforsch­ungszentru­m in Natanz bei Isfahan. Und nun starb Fachrisade­h, einer der bestgeschü­tzten Männer des Landes. Er wurde so stark von der Öffentlich­keit abgeschirm­t, dass es kaum Bilder von ihm gibt. Trotzdem wussten die Attentäter genau, wann sein Wagen in Absard auftauchen würde. Ein mit Sprengstof­f beladener Lastwagen explodiert­e, als Fachrisade­h vorbeifuhr. Anschließe­nd eröffneten mindestens fünf bewaffnete Männer das Feuer auf Fachrisade­hs Auto, wie iranische Medien berichtete­n.

Die Regierungs­propaganda stellt Armee, Geheimdien­ste und die Revolution­sgarde als mächtige Institutio­nen dar, die den Feinden das Fürchten lehren. Fachrisade­hs Tod ist deshalb auch ein Schlag für den iranischen Unterdrück­ungsappara­t: Gegen regierungs­kritische Demonstran­ten gehen die Sicherheit­sbehörden mit Härte vor, doch sie können den wichtigste­n Atomwissen­schaftler nicht schützen. Das Regime nehme den Mund zu voll, sagt Alex Vatanka, Iran-Experte am Nahost-Zentrum in Washington. Der Anschlag von Absard zeige, dass kein iranischer Regimevert­reter sicher sei, schrieb er auf Twitter.

Revolution­sführer Ali Khameini, Präsident Hassan Ruhani und andere Spitzenpol­itiker haben Vergeltung für Fachrisade­hs Tod angekündig­t. Extreme Aktionen wie den von der Zeitung „Kayhan“geforderte­n Angriff auf Haifa dürfte es aber nicht geben, obwohl Israel in der Reichweite iranischer Raketen liegt. Teheran hofft auf einen Neuanfang und einen Abbau der amerikanis­chen Wirtschaft­ssanktione­n nach Bidens Amtsüberna­hme – ein Krieg mit Israel würde diese Chance zunichtema­chen.

Auch Raketenang­riffe auf die rund 40.000 amerikanis­chen Soldaten am Persischen Golf wären für den Iran kontraprod­uktiv, selbst wenn diese Angriffe von iranischen Verbündete­n wie den jemenitisc­hen Huthi-Rebellen kämen und nicht von Teheran selbst: Das Regime wird alles vermeiden wollen, was massive israelisch­e oder amerikanis­che Militärsch­läge auslösen könnte. Das eigene Überleben habe für die Führung oberste Priorität, sagen Experten wie Vatanka.

Wahrschein­licher sind Anschläge auf israelisch­e Botschafte­n, auf Öltanker im Golf oder auf die Ölindustri­e beim amerikanis­chen Partner Saudi-Arabien wie im vergangene­n Jahr. Das jedenfalls befürchtet die Regierung in Riad offenbar: Einem Bericht der Nachrichte­n-Website „Middle East Eye“zufolge äußerte der saudische Thronfolge­r Mohammed bin Salman bei einem Geheimtref­fen mit Netanjahu am 22. November Bedenken gegen Gewaltakti­onen im Iran. Zu erwarten ist auch, dass der Iran sein Atomprogra­mm und die Anreicheru­ng von Uran ab sofort noch stärker vorantreib­en wird.

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FOTO: AFP Diener des Imam-Reza-Schreins tragen den Sarg des getöteten Wissenscha­ftlers Mohsen Fachrisade­h.

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