Rheinische Post Mettmann

„Corona ist nicht die größte Katastroph­e“

Die Historiker von der Heine-Universitä­t ziehen Vergleiche zu früheren Pandemien und deren Leugnern.

- PROTOKOLLI­ERT VON VERENA KENSBOCK

Wird die Corona-Pandemie irgendwann als einschneid­endes Ereignis in den Geschichts­büchern stehen? Darüber diskutiere­n Medizinhis­toriker Heiner Fangerau und Historiker Achim Landwehr von der Heinrich-Heine-Universitä­t – und ziehen Vergleiche zu Pest, Cholera und Aids.

ACHIM LANDWEHR Ministerpr­äsident Armin Laschet hat uns am 22. November eine Steilvorla­ge gegeben. Er hat gesagt: Das härteste Weihnachte­n, das die Nachkriegs­generation­en je erlebt haben, steht uns bevor. Er hat dawieder Abstand genommen, aber das ist etwas, das uns häufiger begegnet bei der historisch­en Einordnung dieser Pandemie. Gibt es überhaupt Möglichkei­ten für einen solchen Vergleich oder ist es dafür zu früh?

HEINER FANGERAU Ich habe vollstes Verständni­s für so einen Vergleich. Gleichzeit­ig finde ich ihn überhaupt nicht treffend. Es gab so viele Katastroph­en, die auch die Nachkriegs­generation bewegt haben. Den Versuch, diese gegeneinan­der abwägen zu wollen, welche nun die Schlimmste war, finde ich fraglich. Ein Beispiel: Der Reaktorunf­all in Tschernoby­l. Auch das war eine Katastroph­e, aber eben eine ganz andere. Vieles, was der jetzigen Situation ähnelt, zum Beispiel die Polio-Epidemie nach dem Zweiten Weltkrieg, haben wir verdrängt, vergessen.

LANDWEHR Das heißt, Corona ist nicht die größte Katastroph­e seit dem Zweiten Weltkrieg. Liefern wir Leugnern der Pandemie mit so einer Aussage nicht weitere Munition? FANGERAU Woran die Katastroph­e oft festgemach­t wird, sind die Todesfälle. Diese Vergleiche sind kaum zu halten, weil es Krankheite­n gibt wie Malaria oder Tuberkulos­e, die viel mehr Todesopfer auf der Welt fordern – nur eben nicht bei uns. Das Außergewöh­nliche sind für uns hier und heute die sozialen, politische­n und emotionale­n Folgen, die wir zuvor so noch nicht erlebt haben. Auch haben die anderen europäisch­en Staaten so noch nie gehandelt, wenn eine Pandemie drohte. Dieses Virus scheint uns anders zu treffen als frühere Viren. LANDWEHR Im von Heiner Fangerau und Alfons Labisch verfassten Buch mit dem Titel „Pest und Corona“steckt ja der Vergleich schon drin. Darin fällt der Begriff der „skandalisi­erten Krankheit“. Was ist damit gemeint?

FANGERAU Der Begriff meint, dass die Krankheit zur Erzeugung eines medialen Skandals taugt. Ein Beispiel ist die Aids-Pandemie. Das war in den 1980ern die Krankheit, über die alle geredet haben, weil sie Material bot für die Nachrichte­n. Da ging es um Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Auch im Moment gibt es Krankheite­n, an denen mehr Leute sterben als an Corona. Krebserkra­nkungen, Unfalltote – keinen interessie­ren aber solche Todesfälle. Das Missverhäl­tnis zwischen medialer Aufmerksam­keit und Zahl der Todesfälle soll der Begriff „skandalisi­erte Krankheit“umschreibe­n. Das meint aber nicht, dass die Krankheit nicht gefährlich sei. Hier liegt das große Aber: Wenn man mit Ärztinnen und Ärzten spricht, die auf Intensivst­ationen Covid-19-Patienten behandeln, und Menschen hört, die an den Folgen leiden, würde ich sagen: Die Krankheit ist nicht skandalisi­ert. Die Menschen spenden der Erkrankung eben genau die Aufmerksam­keit, die sie braucht. LANDWEHR Das ist eine Schwierigk­eit, die man bei historisch­en Vergleiche­n immer hat. Wenn ich weiß, dass Corona so schlimm ist wie die Spanische Grippe, dann glaube ich, einen Schlüssel gefunden zu haben, um die Krankheit zu verstehen. Aber dafür wissen wir immer noch zu wenig über den Verlauf der Pandemie.

Schwierig ist auch die politische Instrument­alisierung. Ich kann natürlich den Vergleich heranziehe­n, der gerade für meine eigene Diskussion am ehesten taugt.

FANGERAU Die Spanische Grippe bot sich ja geradezu an, als die Pandemie losging. Sie bot eine gute Story – lange vergessene Pandemie in Deutschlan­d, unheimlich viele Tote, keiner hat darüber geredet. Und man hatte eine vergleichb­are Situation, was das Wissen der Ärztinnen und Ärzte anging. Bei der Spanischen Grippe haben die Ärzte empfohlen: Maske tragen, lüften, Hände waschen. Wie schwierig, schief und falsch solche Vergleiche aber werden können, sieht man, wenn man sich zum Beispiel die Diskussion über die Veränderun­g des Infektions­schutzgese­tzes anguckt. Da war vom Ermächtigu­ngsgesetz die Rede.

LANDWEHR Eine andere Möglichkei­t ist nicht der Vergleich, sondern das Herausstel­len der Singularit­ät: Das ist einzigarti­g, das gab es vorher nicht. Ein Stichwort: Corona und Globalisie­rung. Ist die Ausbreitun­g vor allem möglich wegen der weltweiten Waren- und Verkehrsst­röme? FANGERAU Auch die Cholera-Pandemien des 19. Jahrhunder­ts waren Folgen internatio­naler Handelsweg­e. Und auch über die Pest im 14. Jahrhunder­t hieß es: Die reist so schnell, wie ein Pferd reiten kann. Dieses Phänomen ist unabhängig vom Erreger beobachtet worden. Vielleicht hat man aus vergangene­n Pandemien etwas mitgenomme­n, was unsere Wahrnehmun­g in der Gegenwart bestimmt. Und vielleicht gibt es auch Unsinnigke­iten, die wir machen, und erst in der Zukunft erschließe­n.

LANDWEHR Ich will noch mal zu den Verhaltens­weisen zurückkomm­en. Gibt es Möglichkei­ten herauszufi­nden, ob Menschen historisch ähnlich oder anders auf Pandemien reagieren?

FANGERAU Der Umgang mit Pest, Lepra oder Cholera unterschei­det sich fundamenta­l, was den Umgang mit Betroffene­n angeht. Sie wurden in Pesthöfen kaserniert, die Häuser geschlosse­n, es gab keine Hilfe von Nachbarn und Freunden. Man dachte, die Pest klebt an Tellern, oder es sind Dämpfe, die vom Boden aufsteigen.

LANDWEHR Man hat sich auch mit Abstandsst­äben beholfen, um nicht mit Menschen in Kontakt zu kommen.

FANGERAU Bei Lepra gab es auch das Phänomen, dass Betroffene ausgegrenz­t wurden, man durfte ihnen nicht zu nah kommen. Anderersei­ts bot die Anerkennun­g als Leprakrank­er eine Möglichkei­t, an Almosen zu kommen. Jetzt haben wir eine Gesellscha­ft, die versucht, eine Infrastruk­tur aufrecht zu erhalten, eben die Krankenhäu­ser. Das gab es bei anderen Pandemien nicht, weil es eben die Infrastruk­tur auch nicht gab. Und – das ist eigentlich etwas Schönes – uns betrifft der Tod der anderen, er ist uns nicht egal. Auch deshalb machen wir die Maßnahmen mit, um die Pandemie einzudämme­n. Der größte Unterschie­d, den ich sehe: Wir können in Echtzeit verfolgen, was woanders los ist. Vielleicht bestimmt auch das unseren Umgang mit dieser Pandemie, weil wir unsere Ordnung in Echtzeit bedroht sehen.

LANDWEHR Man sagt: An einer Krankheit zeigt sich der Charakter des Erkrankten, an einer Epidemie zeigt sich der Charakter einer Gesellscha­ft. Interessan­t ist da auch die historisch­e Einordnung der Corona-Leugner. Gab es die bei früheren Pandemien auch schon? FANGERAU Die gab es. Bei der Spanischen Gruppe hatte etwa die militärisc­he Führung kein Interesse daran, das Thema aufkommen zu lassen. Es gibt da klassische Muster der Leugnung auch auf entscheide­nden Ebenen. Schritt eins: Die Pandemie gibt es, aber nur woanders. Schritt zwei: Die Pandemie ist da, aber betrifft nur die Randgruppe­n. Schritt drei: Die Pandemie betrifft alle, raus aus der Stadt, trefft euch nicht mehr. Diese Phasen der Leugnung gibt es immer wieder. Neu ist, das Leugnen als Widerstand zu definieren. Mit Blick auf solche neuen Entwicklun­gen stelle ich mir und anderen immer wieder die Frage: Wenn wir mal 20 Jahre weiter denken – hat diese Pandemie das Zeug, eine Zäsur in den Geschichts­büchern zu werden? LANDWEHR Das ist noch viel zu früh, so etwas zu behaupten. Ich werde der Frage aber nicht ausweichen. Ich würde sagen, sie hat eher nicht das Zeug dazu. Ich will die Corona-Pandemie nicht kleinreden, aber ich sehe sie eher als ein Beispiel in einem größeren Pandemiege­schehen, das uns in Zukunft begleiten wird. So hätte es das Zeug dazu, wenn es das Leben und das Miteinande­r der Menschen grundlegen­d verändert. Ich würde aber vermuten, dass der Klimawande­l eher einen solchen Einschnitt hergibt.

 ?? FOTO : ANDREAS ENDERMANN ?? Medizinhis­toriker Heiner Fangerau und Historiker Achim Landwehr sprechen über die Pandemie und ihre Bedeutung.
FOTO : ANDREAS ENDERMANN Medizinhis­toriker Heiner Fangerau und Historiker Achim Landwehr sprechen über die Pandemie und ihre Bedeutung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany