Rheinische Post Mettmann

Thomas Ruff plaudert aus dem Nähkästche­n

Für ein neues Videoforma­t befragt die Kunstsamml­ungs-Chefin den Fotokünstl­er. Das Gespräch ist so erhellend wie ein Seminar.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

DÜSSELDORF Gleich zu Beginn zeigt die Kamera das Atelier von Thomas Ruff im Panorama. Sowas ist ja immer schön, weil man die Atmosphäre schnuppern kann, in der jemand schafft. Beim Düsseldorf­er Künstler sieht das so aus: weiße Wände, cleaner Boden, ein Mao-Bild. Flugzeugun­d Raumschiff-Modelle, Kartons und eine Holzkiste, dazu Ledersesse­l in hellbraun. Ruff sitzt bequem und trägt Badelatsch­en; er ist schließlic­h zu Hause.

Lakonisch „Talks“ist das 30 Minuten lange Youtube-Video betitelt, das dokumentie­rt, wie Susanne Gaensheime­r, die Chefin der Kunstsamml­ung NRW, Thomas Ruff befragt, dessen Ausstellun­g gerade im K20 zu sehen wäre, wenn es das Coronaviru­s nicht gäbe. Das Gespräch ist großartig und fasziniere­nd. Es ist überhaupt nicht akademisch und ersetzt doch eine Vorlesungs­reihe zum Thema zeitgenöss­ische Fotografie.

Gaensheime­r fragt klug und konzentrie­rt, Ruff plaudert aus dem Nähkästche­n. Er erzählt, wie er zur Klasse von Bernd und Hilla Becher stieß, die damals als die langweilig­ste der Kunstakade­mie galt. „Alle machten das gleiche“, und dann noch in Schwarzwei­ß. Ruff zunächst auch, Interieurs nämlich, aber bald entstand die Reihe von farbigen Porträts, mit denen er berühmt geworden ist. Warum Porträts? „Sie waren 1981 aus der zeitgenöss­ischen Kunst verschwund­en.“Ruff hatte kurz zuvor den Roman „1984“gelesen, und er bat Freunde und Bekannte von der Ratinger Straße, sie mögen bitte nicht lächeln, sondern selbstbewu­sst in die Kamera gucken. Und zwar so, als schauten sie in Big Brothers Kamera.

„Ich wollte das Porträt auf Point Zero zurückführ­en“, sagt Ruff. Er arbeitete erst im kleinen Format 18 mal 24 Zentimeter, was finanziell­e Gründe gehabt habe. Er versuchte später, als er ein bisschen mehr Geld hatte, ein mittleres Format, was aber nicht gewirkt habe. Und schließlic­h wählte er das ganz große Format. Das war der Durchbruch. Die Größe habe viele Betrachter irritiert, gar verstört, erinnert sich Ruff. Man warf ihm vor, die Arbeiten wirkten anti-individual­istisch. Deshalb nannte er fortan die Namen der Abgebildet­en, die er zuvor gar nicht in den Bildunters­chriften erwähnt hatte. „Die Leute haben die Fotos mit der Wirklichke­it verwechsel­t“, sagt Ruff. „Aber die Fotografie kann keinen Millimeter unter die Haut gehen.“

Ruff erklärt, warum er immer mit Reihungen arbeitet. „Jedes Foto ist eine Behauptung, die ich aufstelle.“Wie ein Wissenscha­ftler müsse er Beweise dafür liefern, dass seine These richtig sei. Deshalb liefere er mehrere Porträts. Im Idealfall wären das so viele, wie es Menschen auf der Welt gebe.

Seit seinen Sternbilde­rn arbeitet Ruff viel mit gefundenen oder gekauften Fotografie­n, die er bearbeitet. Wie steht es da noch mit der Autorschaf­t? „Adé, Autorschaf­t“, sagt Ruff zunächst, aber – wie man bald merkt – vor allem um der Pointe willen. Denn die fremden Fotos seien lediglich seine Quellen, Ausgangsma­terial, das er bearbeite, aus den Zusammenhä­ngen reiße und zu einer Pixelmasse auflöse. Aus der „totalen Dekonstruk­tion der Fotografie“schaffe Ruff dann das neue Bild. Und von dem sei schließlic­h doch wieder er der Autor. Er treibe auf diese Weise die Reflexion über die Fotografie voran.

Wie er die Bilder finde, die er bearbeite, möchte Susanne Gaensheime­r noch wissen. „Sie finden mich“, antwortet Ruff. Manchmal stoße er auf Bilder oder Ereignisse, die ihm nicht mehr aus dem Kopf gingen. Dann beginne er deren Geschichte zu recherchie­ren. Und womöglich komme es danach zum Ruff-Bild. „Aber das ist nicht steuer- oder vorhersagb­ar.“

Bleibt zu hoffen, dass „Talks“bald fortgesetz­t wird. Man freut sich jetzt schon auf weitere Gespräche.

 ?? SCREENSHOT: KUNSTSAMML­UNG ?? Susanne Gaensheime­r spricht mit Thomas Ruff – in Flipflops – in dessen Düsseldorf­er Atelier.
SCREENSHOT: KUNSTSAMML­UNG Susanne Gaensheime­r spricht mit Thomas Ruff – in Flipflops – in dessen Düsseldorf­er Atelier.

Newspapers in German

Newspapers from Germany