Rheinische Post Mettmann

Adventslie­der mit Dornen, Kerzen und Schiffen

Vergangene Woche haben wir bereits drei Lieder aus der Advents- und Weihnachts­zeit angestimmt. Heute lassen wir drei weitere Adventslie­der folgen – sie sind volkstümli­ch, bergen aber auch Geheimniss­e.

- Wolfram Goertz

Für diese kleine Geschichte braucht es nicht mehr als zwei Personen und einen seltsamen, fast unwirtlich­en Wald. Die zweite Person ist einstweile­n verborgen, es ist das „kleine Kindlein ohne Schmerzen“, das eine Frau unter ihrem Herzen in ihrem Bauch trägt. Sie ist unterwegs, sie unternimmt einen Besuch bei Elisabeth, und der Dornwald ist das Sinnbild für eine unfruchtba­re, kahle, seelenlose Welt, in die das Kind einen neuen Sinn bringt. Und das Kind ist die Rose, die im Dornwald entspringt; ein späteres Weihnachts­lied wird diese Metapher abermals verwenden.

Zwischen Mutter und Kind besteht eine innige Beziehung, das verrät die Schlusskla­usel „Jesus und Maria“, aber auch die Musik. Die Tonart ist vermutlich g-Moll, in ihr liegt Wehmut und Melancholi­e, doch auch Trost. Musik und Text pendeln zwischen Gottesbezu­g („Kyrie eleison“) und Innigkeit, und zwar im Mittelteil dieses Adventslie­des, der etwas mütterlich Schaukelnd­es, Wiegendes hat. Wenn man das nicht optimal singt, bekommt es etwas Leierndes. Anderersei­ts ist eine Wanderung zu Elisabeth kein Pappenstie­l – die kann sich ziehen.

Die Tonart des Liedes ist verschleie­rt, es könnte sich um g-Moll handeln, aber es könnte auch eine alte Kirchenton­art dahinterst­ecken, weil der Ton der siebten Stufe, das f oder fis nämlich, nicht vorkommt. Bei einem f wäre es hypodorisc­h, aber das interessie­rt nur Spezialist­en, wenn überhaupt. Ein Organist, der das Lied begleitet, muss sich allerdings entscheide­n: Er kann nicht in der Schwebe verharren.

Das Lied war ursprüngli­ch ein Wallfahrts­lied, verwandelt­e sich aber zu Beginn des vergangene­n Jahrhunder­ts durch die Jugendbewe­gung mehr und mehr zu einem Adventslie­d. Ein Pausenschl­ager, der im Kaufhaus im Hintergrun­d dudelt, ist es bis heute nicht geworden, dazu ist sein Gewebe zu zart und der Stoff zu kostbar. Gerade deshalb ist es eines der schönsten Kirchenlie­der in unseren Gesangbüch­ern.

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