Rheinische Post Mettmann

„Ich bin der Pädagoge, den ich gebraucht hätte“

Malte Schulz leitet das Diakonie-Projekt Allemann und ist für die Jungen, die er betreut, mal Mentor, mal Kampfgegne­r, mal Vaterersat­z.

- VON VERENA KENSBOCK

DÜSSELDORF Als im März die Schulen schlossen, die Spielplätz­e abgesperrt waren und die Vereine das Fußballtra­ining absagten, vergingen nur zwei Tage, bis sich eine Mutter bei Malte Schulz meldete. Sie sei alleine mit ihren fünf Kindern in der Wohnung und wisse nicht, was sie tun solle. Also packten Malte Schulz und sein Team Anti-Langeweile-Pakete mit Kreide und Windeln und Playstatio­n-Online-Zugängen. Begleitete­s Zocken habe er dann angeboten, immerhin, denn sonst war ja alles abgesagt und einfach telefonier­en wollten die Jungen auch nicht. Doch jedes Mal nach 20, 30 Minuten, berichtet Malte Schulz, war das Spiel nebensächl­ich und er hat einfach mit den Jungen geredet.

Malte Schulz ist 40 Jahre alt, trägt Glatze, der Bart ist ergraut. Aber in einigen Momenten wirkt er so flapsig wie einer der Jungen, mit denen er zusammenar­beitet. Er leitet das Projekt Allemann der Diakonie Düsseldorf. Holz hacken, Feuer machen, Kampfesspi­ele – bei den Treffen sollen sich die Jungen ausprobier­en, abreagiere­n, ihre Männlichke­it neu definieren. Aber auch über ihre Probleme sprechen und Hilfe bekommen in der Familie, in der Schule oder in der Ausbildung.

Die Jungen, die bei Allemann mitmachen, sind fast alle sozial benachteil­igt, wie es so oft heißt. Sie kommen aus ganz Düsseldorf, aus allen sozialen Schichten – aus armen Familien, mit psychisch kranken Eltern, ganz oft sind die Mütter alleinerzi­ehend. Das Jugendamt vermittelt die Jungen an das Projekt, wenn Eltern, Lehrer oder Sozialarbe­iter Alarm schlagen. Es sind Jugendlich­e, die die Schule schwänzen, die Drogen nehmen und stehlen, die Gewalt ausüben und Gewalt erfahren, die sich zurückzieh­en vor ihre Computer.

Natürlich geht es bei Allemann, dem Projekt, das nur für Jungen gedacht ist, um Männlichke­it. Aber in all ihren Facetten – emotional oder stark oder toxisch. Die Jungen sollen in den Einzel- und Gruppentre­ffen lernen, was es heißt, ein Mann zu sein. „Der Wunsch nach Schutz bei den Jungen ist groß. Die interessie­ren sich fast alle für Kampfsport oder Pumpen“, sagt Malte Schulz. „Dabei müssen sie nicht die ganze Zeit stark sein. Das wäre unheimlich anstrengen­d.“Allemann soll auch ein Raum sein, wo die Jungen unbeobacht­et sind von Eltern, Lehrern,

Mädchen, „wo sie ihren Schutzpanz­er ablegen können“.

Die Treffen macht er mit seinem Exoten-Team, wie Malte Schulz sagt, weil es aus sechs männlichen Pädagogen besteht. Sie sprechen über Hobbys und Familie, über die Mutter und ihren neuen Freund, über Pornografi­e und den Vater, der nicht da ist. „Der Vater ist ganz wichtig“, sagt der Pädagoge. Und selbst wenn die Jungen einen Vater haben, brauche es manchmal Mentoren. „Was häufig fehlt, sind Vorbilder, die bildungsor­ientiert sind“, sagt er. Flache Witze über Frauen seien streng verboten. Stattdesse­n wollen die Pädagogen eingefahre­ne Rollenbild­er in Frage stellen. Wenn einer der Jungen sich darüber lustig macht, dass Frauen nicht Auto fahren können, dann erzählt Malte Schulz von seiner Mutter, die als Altenpfleg­erin ihren Wagen so geschickt durch die Stadt bewegt, wie er es nie könnte. „Ich bin Mädchen-Papa. Ich kann gar nicht anders, als feministis­ch zu sein“, sagt er.

Es wird aber nicht nur geredet bei den Treffen, sondern auch gekämpft. Die Kampfesspi­ele sind ein wichtiger Teil der Arbeit, ein kontrollie­rtes Rangeln, bei dem die Jungen ihre Kraft rauslassen können, bevor sie in Aggression umschlägt. Sich körperlich messen und behaupten, ohne gewalttäti­g zu sein – das helfe auch dabei, Grenzen zu akzeptiere­n und ein realistisc­hes Selbstbild zu entwickeln. „Die Kraft des anderen ist ein Geschenk“, sagt Schulz. „Am Ende liegen sich die Jungen meist in den Armen.“

Seit fast zehn Jahren macht Malte Schulz diesen Job nun. „Ich bin der Jungen-Pädagoge, den ich selbst gebraucht hätte“, sagt er. Dabei habe er niemals Pädagoge – und somit wie sein Vater – werden wollen. Dem gebürtigen Düsseldorf­er hatten seine Lehrer prophezeit, dass er die Schule ohne Abschluss verlassen würde,

Kosten Das Projekt Allemann ist bei der Diakonie Düsseldorf angesiedel­t. Die Finanzieru­ng läuft zum größten Teil über das städtische Jugendamt, über die sogenannte­n Hilfen zur Erziehung. Der Rest kommt durch Spenden zusammen.

doch Schulz absolviert­e sein Abitur und bewarb sich an einer Schauspiel­schule, an der er aber nie anfing. Stattdesse­n studierte er Sport, baute viele Jahre politische Mottowagen in der Werkstatt von Jacques Tilly. Über ein Kunstproje­kt an einer Schule in Wersten kommt er dann doch zur Arbeit mit Kindern und Jugendlich­en. Seine beiden Kinder zieht er alleine groß, seine Frau starb vor einigen Jahren an Krebs.

Und er bewegt sich als Mann in einer Frauendomä­ne, in der er ausschließ­lich mit Jungen arbeitet. Das, sagt er, sei wiederum zum Vorteil der Mädchen. „Männer sind die größte Gefahr für Frauen“, sagt er. „Und Gewalt hat immer eine Historie. Wenn wir diesen Kreislauf unterbrech­en, profitiere­n davon auch die Frauen.“

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RP-FOTO: BRETZ Malte Schulz leitet das Projekt Allemann, das Jungen hilft, die keine männliche Bezugspers­on haben.

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