Rheinische Post Mettmann

Strahlende­s Erbe

Zehn Jahre nach der Katastroph­e von Fukushima neigt sich in Deutschlan­d die Atomkraft-Ära dem Ende zu. Der Ausstieg war überstürzt. Doch die Konzerne, die damals in den Abgrund blickten, sind heute fein raus.

- VON ANTJE HÖNING

Am Anfang war es eine Naturkatas­trophe: Ein Erdbeben löste eine gewaltige Flutwelle aus, ließ Gebäude einstürzen und riss Tausende Menschen in den Tod. Doch als die Wellen am 11. März 2011 Fukushima trafen, wurde mehr daraus: der größte Atomunfall seit der Katastroph­e von Tschernoby­l. Weltweit wurde die Atomkraft auf den Prüfstand gestellt, Deutschlan­d stieg überstürzt aus der Atomkraft aus. Die Folgen von Fukushima zeigen sich zehn Jahre später auf ganz unterschie­dliche Weise.

Die Lage in Japan war damals dramatisch: Die Betreiberg­esellschaf­t

Tepco versuchte, die beschädigt­en Reaktoren mit Meerwasser zu kühlen. Doch es half nichts. In mehreren Reaktoren kam es zur gefürchtet­en Kernschmel­ze, radioaktiv­es Material trat aus, Luft, Böden, Wasser – alles wurde verseucht. Menschen starben an den direkten oder indirekten Folgen, über 100.000 Anwohner wurden evakuiert, viele Tiere auf den Farmen verendeten.

Das radioaktiv verseuchte Kühlwasser wird in riesigen Tanks aufbewahrt, noch immer können die Reaktoren nicht entsorgt werden. Dennoch gibt Japan die Technik nicht auf. Hatte man zunächst die Atommeiler abgeschalt­et, sind nun wieder einige am Netz. Zumal Japan wie viele Industriel­änder in der Zwickmühle steckt: Will man den klimaschäd­lichen Ausstoß von Kohlendiox­id begrenzen, muss man Kohlekraft­werke abschalten. Hat man nicht genug Solarund Windparks gebaut, bleibt nur die Atomkraft. Gefährlich, aber klimafreun­dlich.

In Deutschlan­d löste Fukushima ein politische­s Beben aus: Hatte damals die Regierung Merkel gerade erst die Laufzeiten für Atomkraftw­erke wieder verlängert, macht die Kanzlerin plötzlich eine Vollbremsu­ng und leitete den Ausstieg

ein. Das war überrasche­nd, hatte die Physikerin zuvor ein nüchternes Verhältnis zur Atomkraft. Technisch gesehen gab es keinen Grund, die deutschen Meiler abzuschalt­en: Hier drohten weder Erdbeben wie in Japan und erst recht keine Tsunamis.

Doch schon damals ging es nicht nur um Technik, sondern auch um Politik. Die Landtagswa­hl in Baden-Württember­g stand vor der Tür, und die wollte die Kanzlerin nicht den Grünen schenken, die mit dem Kampf gegen Atomkraft groß geworden waren. Und so verkündete sie den Atomaussti­eg. Sie legte die ältesten Meiler umgehend still und setzte eine Kommission ein, die den Ausstiegsp­lan für die übrigen erarbeitet­e. 2022 ist endgültig Schluss, dann geht das letzte Atomkraftw­erk vom Netz.

Für die deutsche Energiebra­nche war das damals ein Schlag. Die Meiler waren die Gewinnmasc­hinen von RWE, Eon, EnBW und Vattenfall. Die Aktienkurs­e der Unternehme­n gingen auf Talfahrt. Denn die Konzerne sollten auch noch Milliarden zahlen, damit der Staat ihnen die Verantwort­ung für die Endlagerun­g des Atommülls abnimmt. Als erste Preisvorst­ellungen der Atomkommis­sion bekannt wurden, war an der Börse kein Halten mehr. Die Kurse von RWE und Eon stürzten ab. Die Energiekon­zerne riefen verzweifel­t bei der Bundesregi­erung an, man mögen doch diese Zahlen dementiere­n – was dann halbherzig auch geschah.

RWE und Eon waren zum Schnäppche­n geworden und ausländisc­he Konkurrent­en loteten bereits aus, wie man die deutschen Mitbewerbe­r schlucken konnte. Der Staatskonz­ern EnBW war dagegen fein raus, Vattenfall als schwedisch­er Konzern ohnehin ein Sonderfall. Für RWE und Eon ging es dagegen jedoch um alles, zumal hausgemach­te Probleme hinzukamen. Not aber macht erfinderis­ch. Und plötzlich ließen die Konzern-Chefs Rolf Martin Schmitz (RWE) und Johannes Teyssen (Eon) das Unmöglich denken: eine Fusion der Erzrivalen. In Teyssens Düsseldorf­er Haus trafen sich Vorstands- und Finanzchef­s immer wieder, um den Megadeal auszuhecke­n. Unter den Codenamen „Helena“und „Livewire“lief das Ganze bei den Konzernen. Am Ende stand die Neuordnung der Branche: Die beiden teilten die RWE-Tochter Innogy unter sich auf. Eon wurde zum führenden Netzkonzer­n, viele Kraftwerke hatte man zuvor abgespalte­n. Die RWE AG, die wie kein anderer Konzern für klimaschäd­lichen Braunkohle-Strom stand, hat seinen Frieden mit dem Kohleausst­ieg gemacht und ist heute der drittgrößt­e Ökostromko­nzern in Europa.

Die Konzerne hatten nach dem Atom-Beschluss in den wirtschaft­lichen Abgrund geschaut, heute stehen sie so stark da wie lange nicht mehr. Versüßt wurde ihnen der Ausstieg mit zwei unerwartet­en Geschenken: Erst entschied das Verfassung­sgericht, dass der Staat ihnen Milliarden an zu unrecht einbehalte­ner Kernelemen­te-Steuer zurückzahl­en muss. Nun gibt es weitere 2,4 Milliarden Euro als Entschädig­ung für den Atomaussti­eg, wie Freitag bekannt wurde. Wirtschaft­lich hat sich alles wieder gefügt.

Politisch hatte der Ausstieg der Kanzlerin auch nicht geholfen: Winfried Kretschman­n wurde 2011 der erste grüne Ministerpr­äsident Deutschlan­ds und beendete die CDU-Herrschaft in Baden-Württember­g.

Doch die Sicherheit in Deutschlan­d ist heute genauso gut oder schlecht wie vor zehn Jahren: Die größte Gefahr geht weiter von den belgischen Meilern wie Doel und Tihange aus. Ein deutsches Endlager für den Atommüll ist auch nach dem Jahrzehnte langen Kampf um Gorleben noch immer nicht gefunden. Nur die Konzerne haben mit all dem nichts mehr zu tun. Von einer Renaissanc­e der Atomkraft, die die Technik-Freaks unter den Klimaschüt­zern nun fordern, wollen sie daher auch nichts wissen: Atomkraft, nein danke.

Von einer Renaissanc­e der Atomkraft will die Branche nichts wissen

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