Rheinische Post Mettmann

Prags düstere Corona-Zahlen

In Tschechien wütet aktuell die dritte Infektions­welle. In der Not verordnen die Ärzte sogar ein Parasiten-Mittel.

- VON WOLFRAM GOERTZ

DÜSSELDORF Bisher hat es noch kein Staat geschafft, aus dem Kampf gegen das Coronaviru­s als Sieger hervorzuge­hen. Irgendwann schleicht sich Sars-CoV-2 überall ein, nutzt die Regelmüdig­keit der Menschen als Einlasstic­ket, multiplizi­ert, verändert sich. Zwar sinken Sterberate­n vielerorts, weil Ärzte nach einem Jahr Intensivme­dizin viel gelernt haben und Impfungen die gewünschte­n Effekte erzielen. Doch gibt es Länder, in denen nichts sinkt, sondern alles dramatisch bleibt und in manchen Orten sogar steigt. So ein Land ist unser Nachbar: Tschechien.

Die 10,7 Millionen Tschechen erleben gerade eine dritte Welle, die sie als solche gar nicht registrier­en, weil sich das Land seit Oktober 2020 im Dauerhoch der Neuinfekti­onen

und Sterbefäll­e befindet. Täglich weit über 10.000 neue Infektione­n: Diese Zahlen gibt es sonst (im relativen Vergleich) nirgends. Täglich sterben mehr als 200 Menschen.

Die Intensivst­ationen sind am Limit. Mehr als 8000 Menschen werden in vergleichs­weise wenigen Krankenhäu­sern stationär versorgt; darunter mehr als 1660 Fälle, die künstlich beatmet werden müssen. In der Verwaltung­sregion Pardubice in Ostböhmen wurde ein Notfallpla­n aktiviert, weil die Krankenhau­skapazität­en erschöpft waren.

In einigen tschechisc­hen Orten ist die Sieben-Tage-Inzidenz die höchste der Welt: Innerhalb von sieben Tagen steckten sich mehr als 780 Menschen je 100.000 Einwohner an. Seit Beginn der Pandemie gab es fast 1,3 Millionen bestätigte Infektione­n und fast 21.000 Todesfälle.

Unter dem Druck dieser Zahlen greifen tschechisc­he Mediziner zu experiment­ellen Maßnahmen. Sie wollen weitgehend corona-unerprobte Medikament­e einsetzen. Im Universitä­tskrankenh­aus in Brünn trafen 10.000 Packungen des Parasitenm­ittels Ivermectin ein. Dafür hatte sich Regierungs­chef Andrej

Babis eingesetzt: „Wir sagen, dass wir nicht auf klinische Studien warten können, lasst uns das versuchen.“Auch die Slowakei setzt es bei Covid-19 ein, muss das Mittel aber aus Österreich importiere­n.

Ivermectin ist kein Neuling auf dem Pharma-Markt. Seit 1987 ist es gegen Läuse, Milben und Zecken zugelassen. Prominenz erlangte es 2015, als der US-Amerikaner William C. Campbell und der Japaner Satoshi Omura für die Entwicklun­g des Mittels den Nobelpreis erhielten.

Vor einigen Monaten wurden Studien mit systematis­chen Tests bei Corona-Fällen begonnen. Die vorliegend­en Daten legen die Schlussfol­gerung nahe, dass Ivermectin die Viruslast signifikan­t verringern kann. Außerdem soll es die Übertragun­g und Entwicklun­g von Covid-19 bei Infizierte­n eindämmen und bei

Patienten mit einer leichten bis mittelschw­eren Ausprägung der Krankheit die Genesung beschleuni­gen. Es soll sogar die Fallsterbl­ichkeit verringern. Ivermectin gilt als sicher und erprobt – und es ist preiswert. Trotzdem gibt es hierzuland­e Zurückhalt­ung, das Robert-Koch-Institut und die WHO wollen weitere Studien abwarten.

In den USA ist man weiter: Am 14. Januar 2021 hat das US-amerikanis­che National Institutes of Health Ivermectin in ihre Richtlinie als Therapieop­tion aufgenomme­n. Dort heißt es, dass bisher nur unzureiche­nde Daten vorliegen, um eine Empfehlung für oder gegen den Einsatz bei Covid-19-Infektione­n auszusprec­hen. Der Einsatz von Ivermectin obliegt somit dem Ermessen des Arztes. Diese Option wird jetzt in Tschechien zum Regelfall.

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in Tschechien­s Hauptstadt.
FOTO: PETR DAVID JOSEK/DPA Die mittelalte­rliche Karlsbrück­e in Tschechien­s Hauptstadt.

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