Rheinische Post Mettmann

Neue Eskalation im Jemen-Krieg

Die saudische Luftwaffe bombardier­t Sanaa. Das ist eine Katastroph­e für Zivilisten und droht zur Schlappe für Joe Biden zu werden.

- VON THOMAS SEIBERT

ISTANBUL Als „humanitäre und strategisc­he Katastroph­e“hat US-Präsident Joe Biden den Krieg im Jemen verdammt. Seine Regierung hat deshalb die militärisc­he Unterstütz­ung für die Offensive des amerikanis­chen Partners Saudi-Arabien im ärmsten Land der arabischen Halbinsel eingestell­t. Zugleich lancierte sie Gespräche mit den Huthi-Rebellen, die gegen die Saudis kämpfen. Doch zwei Monate nach Bidens Amtsantrit­t ist von einem Ende des sechsjähri­gen Krieges nichts zu sehen, im Gegenteil. Die Gefechte im Jemen eskalieren, und die Huthis greifen zudem Ölanlagen in Saudi-Arabien an. Hunderttau­sende Menschen im Jemen könnten vertrieben werden. Ohne rasche Lösung steht Biden vor der ersten schweren außenpolit­ischen Schlappe seiner Amtszeit.

Das liegt vor allem daran, dass beide Seiten in dem Krieg weiter militärisc­he Vorteile wittern. Obwohl Saudi-Arabien und Huthis wissen, dass sie den 2015 begonnenen Konflikt nicht gewinnen können, weiten sie die Gefechte aus, um sich vor möglichen Verhandlun­gen eine möglichst gute Ausgangsba­sis zu sichern. Auch der ungelöste Streit um das iranische Atomprogra­mm spielt eine Rolle, denn der Jemen-Konflikt ist ein Stellvertr­eterkrieg zwischen dem sunnitisch­en Saudi-Arabien und schiitisch­en Iran.

Die schiitisch­en Huthis kontrollie­ren die Hauptstadt Sanaa und weite Teile von Nordwest-Jemen, während die von Saudi-Arabien unterstütz­te jemenitisc­he Regierung im Osten des Landes und in der Hafenstadt Aden im Süden herrscht. Keine der beiden Seiten nimmt Rücksicht auf Zivilisten. Zehntausen­de sind in den vergangene­n Jahren bei Luftangrif­fen und Bombardeme­nts getötet worden. Vier von fünf der rund 30 Millionen Jemeniten sind auf ausländisc­he Hilfe angewiesen. Biden versucht es mit Deeskalati­on.

Zehntausen­de sind in den vergangene­n Jahren bei Luftangrif­fen und Bombardeme­nts

getötet worden

Dazu gehört der Lieferstop­p amerikanis­cher Angriffswa­ffen für Saudi-Arabien und die Rücknahme einer Entscheidu­ng der Regierung von Donald Trump, mit der die Huthis zur Terrorgrup­pe erklärt worden waren. Bidens Jemen-Beauftragt­er Timothy Lenderking traf sich laut der Nachrichte­nagentur Reuters außerdem Ende Februar im jemenitisc­hen Nachbarlan­d Oman mit dem Huthi-Unterhändl­er Mohammed Abdusalam. Auch der saudische Außenminis­ter Faisal bin Farhan besuchte kürzlich den Oman, der im Jemen-Konflikt vermitteln will.

Doch die Friedensbe­mühungen haben nichts gebracht. Die Huthis wittern ihre Chance, die ölreiche Provinz Marib östlich von Sanaa zu erobern: Ihr Sieg dort könnte kriegsents­cheidend sein. Allerdings kommt ihr Angriff kaum voran. Als Reaktion auf die neue Huthi-Offensive bombardier­te die saudische Luftwaffe in den vergangene­n Tagen die von den Rebellen gehaltene Hauptstadt Sanaa. Das Leid der Zivilbevöl­kerung, die nach sechs Jahren Krieg von Hunger und Krankheit zermürbt ist, wird noch schlimmer. Eine neue Fluchtwell­e von Hunderttau­senden Menschen aus Marib würde „unvorstell­bare humanitäre Folgen“haben, warnt die UNO.

Wie schon oft in den vergangene­n Jahren greifen die Huthis saudische Ölanlagen an, um das Königreich zur Einstellun­g der Luftangrif­fe zu zwingen. Am Sonntag zielten Raketen und Drohnen der Rebellen auf Ras Tanura, die größte Ölverlades­tation der Welt – die weltweiten Ölpreise stiegen daraufhin auf den höchsten Stand seit einem Jahr. Wenige Tage zuvor hatten die Huthis andere saudische Ölanlagen angegriffe­n. Saudi-Arabien sieht den Grund für die Angriffslu­st der Rebellen in Bidens sanfter Politik, durch die sich die Huthis angeblich ermutigt fühlen.

Allerdings ist die Taktik der Huthis innerhalb der Gruppe umstritten,

sagt der Jemen-Experte Raiman al-Hamdani von der Denkfabrik ECFR. In Marib haben die Huthis kaum Aussichten auf Erfolg, denn die Gegend wird nicht nur von der Regierung verteidigt, sondern auch von bewaffnete­n sunnitisch­en Stämmen: Den Rebellen stehen verlustrei­che und am Ende möglicherw­eise vergeblich­e Kämpfe bevor. Hamdani sieht deshalb Möglichkei­ten für die USA, die EU und führende europäisch­e Staaten wie Deutschlan­d, die Huthis zu einem Stopp der Offensive zu bewegen. Auch Fortschrit­te im Konflikt um das iranische Atomprogra­mm könnten die Aussichten auf einen Waffenstil­lstand im Jemen verbessern, schrieb Hamdani in einer ECFR-Analyse.

Gesichtswa­hrende Lösungen sind der Schlüssel. Angebote an die Huthis wie die Aufhebung der saudischen Seeblockad­e vor der jemenitisc­hen Westküste könnten den Stein ins Rollen bringen, schätzt Hamdani. Saudi-Arabien signalisie­rt bereits seit Längerem seine Bereitscha­ft, den Krieg zu beenden – doch Riad braucht eine Lösung, die Kronprinz Mohammed bin Salman, der den Krieg vor sechs Jahren begann, am Ende nicht als Verlierer dastehen lässt. Bisher hat Bidens Regierung eine solche Formel noch nicht gefunden.

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FOTO: MOHAMMED AL-AZAKI/XINHUA/DPA Das von Saudi-Arabien angeführte Bündnis startete mehrere Luftangrif­fe auf die von Huthi-Rebellen besetzte Stadt Sanaa. Dabei sollen mindestens 120 Kämpfer der Huthi-Rebellen getötet worden sein.

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