Neue Eskalation im Jemen-Krieg
Die saudische Luftwaffe bombardiert Sanaa. Das ist eine Katastrophe für Zivilisten und droht zur Schlappe für Joe Biden zu werden.
ISTANBUL Als „humanitäre und strategische Katastrophe“hat US-Präsident Joe Biden den Krieg im Jemen verdammt. Seine Regierung hat deshalb die militärische Unterstützung für die Offensive des amerikanischen Partners Saudi-Arabien im ärmsten Land der arabischen Halbinsel eingestellt. Zugleich lancierte sie Gespräche mit den Huthi-Rebellen, die gegen die Saudis kämpfen. Doch zwei Monate nach Bidens Amtsantritt ist von einem Ende des sechsjährigen Krieges nichts zu sehen, im Gegenteil. Die Gefechte im Jemen eskalieren, und die Huthis greifen zudem Ölanlagen in Saudi-Arabien an. Hunderttausende Menschen im Jemen könnten vertrieben werden. Ohne rasche Lösung steht Biden vor der ersten schweren außenpolitischen Schlappe seiner Amtszeit.
Das liegt vor allem daran, dass beide Seiten in dem Krieg weiter militärische Vorteile wittern. Obwohl Saudi-Arabien und Huthis wissen, dass sie den 2015 begonnenen Konflikt nicht gewinnen können, weiten sie die Gefechte aus, um sich vor möglichen Verhandlungen eine möglichst gute Ausgangsbasis zu sichern. Auch der ungelöste Streit um das iranische Atomprogramm spielt eine Rolle, denn der Jemen-Konflikt ist ein Stellvertreterkrieg zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und schiitischen Iran.
Die schiitischen Huthis kontrollieren die Hauptstadt Sanaa und weite Teile von Nordwest-Jemen, während die von Saudi-Arabien unterstützte jemenitische Regierung im Osten des Landes und in der Hafenstadt Aden im Süden herrscht. Keine der beiden Seiten nimmt Rücksicht auf Zivilisten. Zehntausende sind in den vergangenen Jahren bei Luftangriffen und Bombardements getötet worden. Vier von fünf der rund 30 Millionen Jemeniten sind auf ausländische Hilfe angewiesen. Biden versucht es mit Deeskalation.
Zehntausende sind in den vergangenen Jahren bei Luftangriffen und Bombardements
getötet worden
Dazu gehört der Lieferstopp amerikanischer Angriffswaffen für Saudi-Arabien und die Rücknahme einer Entscheidung der Regierung von Donald Trump, mit der die Huthis zur Terrorgruppe erklärt worden waren. Bidens Jemen-Beauftragter Timothy Lenderking traf sich laut der Nachrichtenagentur Reuters außerdem Ende Februar im jemenitischen Nachbarland Oman mit dem Huthi-Unterhändler Mohammed Abdusalam. Auch der saudische Außenminister Faisal bin Farhan besuchte kürzlich den Oman, der im Jemen-Konflikt vermitteln will.
Doch die Friedensbemühungen haben nichts gebracht. Die Huthis wittern ihre Chance, die ölreiche Provinz Marib östlich von Sanaa zu erobern: Ihr Sieg dort könnte kriegsentscheidend sein. Allerdings kommt ihr Angriff kaum voran. Als Reaktion auf die neue Huthi-Offensive bombardierte die saudische Luftwaffe in den vergangenen Tagen die von den Rebellen gehaltene Hauptstadt Sanaa. Das Leid der Zivilbevölkerung, die nach sechs Jahren Krieg von Hunger und Krankheit zermürbt ist, wird noch schlimmer. Eine neue Fluchtwelle von Hunderttausenden Menschen aus Marib würde „unvorstellbare humanitäre Folgen“haben, warnt die UNO.
Wie schon oft in den vergangenen Jahren greifen die Huthis saudische Ölanlagen an, um das Königreich zur Einstellung der Luftangriffe zu zwingen. Am Sonntag zielten Raketen und Drohnen der Rebellen auf Ras Tanura, die größte Ölverladestation der Welt – die weltweiten Ölpreise stiegen daraufhin auf den höchsten Stand seit einem Jahr. Wenige Tage zuvor hatten die Huthis andere saudische Ölanlagen angegriffen. Saudi-Arabien sieht den Grund für die Angriffslust der Rebellen in Bidens sanfter Politik, durch die sich die Huthis angeblich ermutigt fühlen.
Allerdings ist die Taktik der Huthis innerhalb der Gruppe umstritten,
sagt der Jemen-Experte Raiman al-Hamdani von der Denkfabrik ECFR. In Marib haben die Huthis kaum Aussichten auf Erfolg, denn die Gegend wird nicht nur von der Regierung verteidigt, sondern auch von bewaffneten sunnitischen Stämmen: Den Rebellen stehen verlustreiche und am Ende möglicherweise vergebliche Kämpfe bevor. Hamdani sieht deshalb Möglichkeiten für die USA, die EU und führende europäische Staaten wie Deutschland, die Huthis zu einem Stopp der Offensive zu bewegen. Auch Fortschritte im Konflikt um das iranische Atomprogramm könnten die Aussichten auf einen Waffenstillstand im Jemen verbessern, schrieb Hamdani in einer ECFR-Analyse.
Gesichtswahrende Lösungen sind der Schlüssel. Angebote an die Huthis wie die Aufhebung der saudischen Seeblockade vor der jemenitischen Westküste könnten den Stein ins Rollen bringen, schätzt Hamdani. Saudi-Arabien signalisiert bereits seit Längerem seine Bereitschaft, den Krieg zu beenden – doch Riad braucht eine Lösung, die Kronprinz Mohammed bin Salman, der den Krieg vor sechs Jahren begann, am Ende nicht als Verlierer dastehen lässt. Bisher hat Bidens Regierung eine solche Formel noch nicht gefunden.