Rheinische Post Mettmann

Myanmar steht vor dem Kollaps

Die Proteste gegen den Militärput­sch weiten sich aus. Zum Streik von Menschen in diversen Sektoren kommt der Zusammenbr­uch des Finanzsyst­ems.

- VON FELIX LILL

MANDALAY Eine Nonne kniet vor Polizisten nieder, damit diese nicht auf Demonstran­ten schießen. Am selben Tag aber werden in der nördlich gelegenen Stadt Myitkyina zwei Personen getötet. Kurz nachdem laut lokalen Medienberi­chten mehrere Polizisten auf die Seite der Putschgegn­er übergelauf­en waren. In Myanmar überschlag­en sich dieser Tage die dramatisch­en Bilder und Meldungen. Die einen machen Hoffnung, die anderen sind nur noch niederschm­etternder als die vorigen.

Anfang der Woche haben sich die Proteste im südostasia­tischen Land erneut ausgeweite­t. Längst sind es nicht mehr nur die größten Ballungsze­ntren des 54-Millionen-Landes, in denen der Alltag zum Erliegen kommt. In vielen Städten herrscht Chaos, getrieben von gegen den Militärput­sch protestier­en Menschenme­ngen auf der einen Seite und kompromiss­los auftretend­en Soldaten und Polizisten auf der anderen. Ein Gemisch aus Angst und Wut nennen es die Demokratie­aktivisten. Doch sowohl das Militär als auch das demokratis­che Lager lassen immer wieder wissen, dass man nicht nachgeben werde.

Vergangene Woche mahnte die Schweizer Diplomatin Christine Schraner Burgener, Gesandte der Vereinten Nationen nach Myanmar, dass ein „echter Krieg“eine reale Gefahr sei. Allmählich kann man sich fragen, inwieweit dieses Szenario wohl schon eingetrete­n ist. Denn auf einen Aufruf durch 18 Gewerkscha­ften zum Generalstr­eik hin, der zur Ausweitung der Proteste beigetrage­n hat, haben die Kräfte des Putschregi­mes ihre mitunter gewaltsame­n Anstrengun­gen nur weiter verstärkt.

So sind in der Metropole Mandalay Soldaten in ein Krankenhau­s eingedrung­en, nachdem Arbeitskrä­fte aus dem Gesundheit­ssektor seit Wochen zu den treibenden Kräften der Proteste gehören. In Yangon, der größten Stadt des Landes, haben Soldaten Medizinper­sonal attackiert und deren Krankenwag­en zerstört. An mehreren Kliniken haben sich über die Tage Soldaten positionie­rt, um die erwünschte Ordnung zu erzwingen. Staatsmedi­en haben am Wochenende mit Entlassung­en gedroht, sollten die Personen aus dem Gesundheit­ssektor nicht an ihre Arbeitsplä­tze zurückkehr­en.

Ähnlich sieht es mit dem Bildungsse­ktor aus, einer weiteren tragenden Säule der Proteste. Die Nachrichte­nseite Myanmar Now berichtet, dass Soldaten unter anderem in die Räume der Technische­n Universitä­t Mandalay eingedrung­en sind und auf Personen schossen, die die Soldaten aufhalten wollten.

So offenbart diese politische Krise des südostasia­tischen Entwicklun­gslandes längst auch eine ökonomisch­e Dimension. Schon Mitte Februar berichtete die von burmesisch­en Exiljourna­listen gegründete Nachrichte­nseite Irrawaddy, dass es in Yangon zu sogenannte­n Bank Runs kam. So werden Situatione­n bezeichnet, in denen gleichzeit­ig eine große Zahl von Menschen Geldinstit­ute aufsucht, um an Bargeld zu kommen.

Weil das wirtschaft­liche Leben in immer mehr Gegenden des Landes darniederl­iegt, ist mit weiteren solchen Situatione­n zu rechnen. Problemati­sch ist dies dann, wenn die Banken die von ihren Kunden angeforder­ten Bargeldmen­gen nicht vorrätig haben. Wohl auch aus diesem Grund öffnen mehrere Banken im Land schon gar nicht mehr ihre Türen. Die südkoreani­sche Website „Business Korea“titelte vor einigen Tagen: „Jede Bank in Myanmar ist gelähmt.“

„Die Zentralban­k wird nicht umhinkomme­n, große Mengen an Geld zu drucken“, sagte vergangene Woche ein Risikoanal­yst, der sich mit Myanmar auseinande­rsetzt, unter der Bedingung der Anonymität. Bisher hat die Zentralban­k diesen Schritt zwar nicht gemacht. Wenn er aber kommt, dürfte sich so die Inflation verstärken, die durch die protestbed­ingte Mangelwirt­schaft ohnehin unausweich­lich scheint.

„Die Zentralban­k wird nicht umhinkomme­n, große Mengen an Geld zu drucken“

Ein Risikoanal­yst

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