Myanmar steht vor dem Kollaps
Die Proteste gegen den Militärputsch weiten sich aus. Zum Streik von Menschen in diversen Sektoren kommt der Zusammenbruch des Finanzsystems.
MANDALAY Eine Nonne kniet vor Polizisten nieder, damit diese nicht auf Demonstranten schießen. Am selben Tag aber werden in der nördlich gelegenen Stadt Myitkyina zwei Personen getötet. Kurz nachdem laut lokalen Medienberichten mehrere Polizisten auf die Seite der Putschgegner übergelaufen waren. In Myanmar überschlagen sich dieser Tage die dramatischen Bilder und Meldungen. Die einen machen Hoffnung, die anderen sind nur noch niederschmetternder als die vorigen.
Anfang der Woche haben sich die Proteste im südostasiatischen Land erneut ausgeweitet. Längst sind es nicht mehr nur die größten Ballungszentren des 54-Millionen-Landes, in denen der Alltag zum Erliegen kommt. In vielen Städten herrscht Chaos, getrieben von gegen den Militärputsch protestieren Menschenmengen auf der einen Seite und kompromisslos auftretenden Soldaten und Polizisten auf der anderen. Ein Gemisch aus Angst und Wut nennen es die Demokratieaktivisten. Doch sowohl das Militär als auch das demokratische Lager lassen immer wieder wissen, dass man nicht nachgeben werde.
Vergangene Woche mahnte die Schweizer Diplomatin Christine Schraner Burgener, Gesandte der Vereinten Nationen nach Myanmar, dass ein „echter Krieg“eine reale Gefahr sei. Allmählich kann man sich fragen, inwieweit dieses Szenario wohl schon eingetreten ist. Denn auf einen Aufruf durch 18 Gewerkschaften zum Generalstreik hin, der zur Ausweitung der Proteste beigetragen hat, haben die Kräfte des Putschregimes ihre mitunter gewaltsamen Anstrengungen nur weiter verstärkt.
So sind in der Metropole Mandalay Soldaten in ein Krankenhaus eingedrungen, nachdem Arbeitskräfte aus dem Gesundheitssektor seit Wochen zu den treibenden Kräften der Proteste gehören. In Yangon, der größten Stadt des Landes, haben Soldaten Medizinpersonal attackiert und deren Krankenwagen zerstört. An mehreren Kliniken haben sich über die Tage Soldaten positioniert, um die erwünschte Ordnung zu erzwingen. Staatsmedien haben am Wochenende mit Entlassungen gedroht, sollten die Personen aus dem Gesundheitssektor nicht an ihre Arbeitsplätze zurückkehren.
Ähnlich sieht es mit dem Bildungssektor aus, einer weiteren tragenden Säule der Proteste. Die Nachrichtenseite Myanmar Now berichtet, dass Soldaten unter anderem in die Räume der Technischen Universität Mandalay eingedrungen sind und auf Personen schossen, die die Soldaten aufhalten wollten.
So offenbart diese politische Krise des südostasiatischen Entwicklungslandes längst auch eine ökonomische Dimension. Schon Mitte Februar berichtete die von burmesischen Exiljournalisten gegründete Nachrichtenseite Irrawaddy, dass es in Yangon zu sogenannten Bank Runs kam. So werden Situationen bezeichnet, in denen gleichzeitig eine große Zahl von Menschen Geldinstitute aufsucht, um an Bargeld zu kommen.
Weil das wirtschaftliche Leben in immer mehr Gegenden des Landes darniederliegt, ist mit weiteren solchen Situationen zu rechnen. Problematisch ist dies dann, wenn die Banken die von ihren Kunden angeforderten Bargeldmengen nicht vorrätig haben. Wohl auch aus diesem Grund öffnen mehrere Banken im Land schon gar nicht mehr ihre Türen. Die südkoreanische Website „Business Korea“titelte vor einigen Tagen: „Jede Bank in Myanmar ist gelähmt.“
„Die Zentralbank wird nicht umhinkommen, große Mengen an Geld zu drucken“, sagte vergangene Woche ein Risikoanalyst, der sich mit Myanmar auseinandersetzt, unter der Bedingung der Anonymität. Bisher hat die Zentralbank diesen Schritt zwar nicht gemacht. Wenn er aber kommt, dürfte sich so die Inflation verstärken, die durch die protestbedingte Mangelwirtschaft ohnehin unausweichlich scheint.
„Die Zentralbank wird nicht umhinkommen, große Mengen an Geld zu drucken“
Ein Risikoanalyst