Einsame Spitze
Die Automobilindustrie war jahrelang ein reiner Männerclub. In Wuppertal leitet hingegen mit Natalie Mekelburger seit vielen Jahren eine Frau die Geschicke des Zulieferers Coroplast. Und das ziemlich erfolgreich.
WUPPERTAL Der Vorstand des mächtigen Verbands der Automobilindustrie (VDA) besteht aus 19 Mitgliedern. An der Spitze des Verbands steht zwar inzwischen mit Hildegard Müller eine Frau, doch das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass VDA-Vorstandssitzungen ziemlich männlich dominierte Veranstaltungen sind. Um es anders zu sagen: Es sitzen weniger Frauen im Vorstand des VDA (zwei) als Männer aus dem Volkswagen-Konzern (vier). Neben der früheren Berufspolitikerin Müller gibt es nur noch ein weiteres weibliches Mitglied: Natalie Mekelburger.
Mehr als 100 Jahre nach der Erfindung des Automobils wird die Industrie bezeichnender Weise noch immer von Männern dominiert – in den Vorständen der Autokonzerne, aber auch auf Seiten der Käufer. Laut Zahlen des Duisburger Center Automotive Research, kurz Car, wurde 2020 nur jeder dritte privat gekaufte Neuwagen in Deutschland von einer Frau zugelassen – obwohl sie die Hälfte der Bevölkerung stellen. Auch in der Zuliefererindustrie stehen fast immer Männer an der Spitze. Die Chefin des Wuppertaler Zulieferers Coroplast ist also noch immer eine Ausnahmeerscheinung.
Sogar ihr Vater tat sich anfangs schwer mit der Vorstellung, seine Tochter könne irgendwann mal die Firma übernehmen. Am Ende war er doch überzeugt – und die Unternehmensentwicklung zeigte, dass er mit ihrer Berufung richtig entschieden hatte: Seit Natalie Mekelburger 2006 den Vorsitz in der Geschäftsführung des Unternehmens übernommen hat, stieg der Umsatz von 200 auf zuletzt mehr als 530 Millionen Euro. Das Unternehmen beliefert mit seinen Kabeln und Klebebändern heute Autohersteller in aller Welt, von Volkswagen bis Tesla.
Angefangen hatte alles am 3. Februar 1928. Fritz Müller war 25 Jahre alt, als er die Firma „Fritz Müller Isoliermaterial“in Wuppertal aus der Taufe hob. Die Stadt war ein Zentrum der Textilindustrie. Und je weiter die Elektrifizierung voranschritt, umso häufiger umwickelte man Kabel mit Textilien als Isolierung. Auch Müller experimentiert damit. Später benannte sich das Unternehmen um – und nach einer Phase unter familienfremder Leitung übernahm 1976 Natalie Mekelburgers Vater Kurt, der Neffe des Firmengründers, die Geschäfte.
30 Jahre lang prägte er die Geschichte des Unternehmens und baute das Geschäft mit der Automobilindustrie weiter aus, bevor er die Leitung an seine Tochter weitergab. Diese hatte eigentlich Biologie studieren oder Ärztin werden wollen, sich dann aber frühzeitig doch für BWL entschieden. Bereut habe sie diese Entscheidung nie, hat sie mal erzählt, heute sei sie mit Leib und Seele Unternehmerin.
Viele Mitarbeiter kannten Natalie Mekelburger noch als Kind, das auf dem Firmengelände auf Bäume geklettert ist oder als Abiturientin Klebebänder verpackte. In neuer Rolle war sie plötzlich verantwortlich für die Zukunft der Firma – und die Sicherheit von zahlreichen Arbeitsplätzen. 2019 waren weltweit rund 7500 Menschen bei Coroplast beschäftigt. Die Zahl ist unter ihrer
Leitung ebenso gestiegen wie der Umsatz.
Das vergangene Jahr hat Natalie Mekelburger besonders gefordert. Die Corona-Pandemie sorgte in vielen Ländern dafür, dass die Automobil-Produktion teilweise gestoppt wurde. Die Umsätze brachen ein, auch in Wuppertal. „In den Monaten April bis Juni 2020 haben wir erhebliche Umsatzrückgänge erlebt, die aber mit dem Wiederanlauf internationaler Lieferketten zum Ende des letzten Jahres wieder aufgefangen werden konnten“, sagt Natalie Mekelburger. Inzwischen schaue sie optimistisch nach vorne.
Doch die Branche steht vor großen Herausforderungen. Einerseits müssen die Flotten der Hersteller auf alternative Antriebe umgestellt werden, andererseits lässt die Digitalisierung Software eine immer wichtigere Rolle in Fahrzeugen einnehmen – während neue Mobilitätsangebote dem privat genutzten Pkw Konkurrenz machen. Auch Zulieferer wie Coroplast müssen sich mit diesen Themen beschäftigen, um rechtzeitig die richtigen Produkte und Lösungen zu entwickeln.
Natalie Mekelburger hat mal erzählt, dass es an Weihnachtsabenden in ihrem Elternhaus neben dem Baum und Geschenken auch immer eine „Jahrespredigt“gegeben habe. Am Weihnachtsbaum habe ihr Vater das vergangene Jahr Revue passieren lassen – und die Kinder beteten mit, dass es dem Unternehmen gut geht.
Ihr Vater ist inzwischen verstorben, für das Wohl des Unternehmens Sorge zu tragen, ist nun Sache von Natalie Mekelburger. Sie hat selbst zwei Töchter, doch ob diese mal irgendwann die Führung im Unternehmen in dann vierter Generation übernehmen, will sie ihnen selbst überlassen. Dass Frauen in der Automobilindustrie perfekte Führungsfiguren sein können, hat sie jedenfalls selbst inzwischen zu Genüge bewiesen. Und Natalie Mekelburger ist überzeugt, dass die gesamte Wirtschaft in Zukunft diverser wird: „In meinem Umfeld erlebe ich viele junge, aufstrebende, engagierte intelligente und kreative Frauen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir zukünftig auf viel mehr Unternehmerinnen und Frauen in Führungspositionen treffen werden.“