Der Verein stößt an wirtschaftliche Grenzen
Die Einnahmeverluste im Lockdown sind groß, zugleich laufen die Kosten für Personal, Gebäude und Darlehen jedoch weiter.
HOCHDAHL Zwar gibt es nach der letzten Bund-Länder-Konferenz die ersten Lockerungen im Corona-Lockdown, doch der Amateursport in Deutschland muss weiterhin mit erheblichen Einschränkungen leben. Das gilt auch für den TSV Hochdahl, einer von vielen Großvereinen in Nordrhein-Westfalen, die in den vergangenen Wochen nicht müde wurden, die Bedeutung von Sport gerade in diesen Zeiten zu betonen und zugleich auf ihre finanzielle Notlage hinzuweisen. „Großvereine sind Innovationsführer und Motor im Sport und übernehmen in besonderem Maße soziale Verantwortung vor Ort“, heißt es in einem Positionspapier, das 32 große Klubs in NRW vor kurzem veröffentlichten. Dazu stellen die Klubs fest: „Durch unsere Eigeninitiative beim Bau und dem Betrieb von Sportstätten entlasten wir auch die Kommunen erheblich und tragen maßgeblich zur sportlichen Grundversorgung in den Regionen bei.“
Zu den Unterzeichnern zählt auch der TSV Hochdahl mit seinem Sportzentrum an der Sedentaler Straße. Vorsitzender Clemens Mittelviefhaus betont die gesellschalltiche Rolle des Vereins für die rund 27.000 Bürger, die in Hochdahl leben. 3556 Mitglieder zählte der Klub am 1. Januar 2020. Mit seinem breitgefächerten Sportangebot bringt er Jung und Alt in Bewegung. Mit der Corona-Krise kamen jedoch die Probleme. Zunächst bei den Mitgliedern, die im März 2020 von jetzt auf gleich nicht mehr im Verein aktiv sein konnten. So erfolgte wenige Tage vor dem Startschuss die Absage für den traditionellen Neandertallauf, der gemeinhin über 1000 Läufer auf die Strecke durchs Neandertal lockt. Gleichwohl sagt Mittelviefhaus im Rückblick: „Den ersten Lockdown haben wir noch sehr glimpflich überstanden.“Die Angestellten des TSV nutzten die sechs Wochen Stillstand zu Reparaturarbeiten an Sportstätten und Geräten, erstellten erste Online-Angebote. Damit konnte der Verein Kurzarbeit vermeiden. Freiberufliche Trainer hingegen kamen nicht mehr zum Einsatz.
Der zweite Lockdown Anfang November schlug jedoch ins Kontor. Kurzarbeit für die Mehrheit der Mitarbeiter war nicht mehr zu vermeiden, freie Trainer und Übungsleiter blieben ohne Beschäftigung. Und das Murren der Mitglieder nahm zu. „Irgendwann ist die Geduld der Sporttreibenden erschöpft“, erklärt Mittelviefhaus und fährt fort: „Die größte Herausforderung ist die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung, deshalb werden die Fragen der Mitglieder immer drängender und wir können keine Antwort geben.“Wegen der Kurzarbeit war zudem das Klub-Büro nur noch halbtags besetzt – zu wenig Personal, um aufgebrachte Mitglieder zu beruhigen. „Die Angestellten hatten mehr Arbeit als je zuvor“, sagt Mittelviefhaus und stellt fest: „Das sind die zwei Gesichter der
Vorsitzender TSV Hochdahl
Kurzarbeit.“
Mit jedem Monat des Lockdowns setzte sich selbst bei langjährigen Mitgliedern im eingetragenen Verein der Gedanke durch: Keine Leistung, kein Geld. Die Folge: Am 1. Januar 2021 vereinte der TSV nur noch 3007 Mitglieder – und damit 549 weniger als ein Jahr zuvor – unter seinem Dach. Im Gespräch mit unserer Redaktion offenbart Mittelviefhaus: „In den ersten beiden Monaten dieses Jahres gab es bereits weitere 70 Kündigungen. Die Mitglieder
verlieren die Geduld.“
Der Rückgang der Mitgliederzahlen beläuft sich auf 15,5 Prozent – Tendenz steigend. Das liegt auch an den durch die Corona-Pandemie fehlenden neuen Mitgliedern. 2019 noch traten 717 Sportinteressierte in den TSV ein, 2020 waren es zumindest noch 373. Aktuell tendiert das Interesse an einem Eintritt in den Verein gen null.
Zu den regulären Vereinsmitgliedern kommen auch noch die Teilnehmer am Reha-Sport des TSV. Anfang 2020 zählte der Verein noch 817 Reha-Mitglieder. Zwölf Monate später sind es nur noch 400.
Zahlen, die aufschrecken lassen und zeigen, wie prekär die Lage der Sportvereine in der Corona-Pandemie ist. Denn es fehlen nicht nur die Menschen im Verein – auch die finanziellen Ressourcen sinken. Bis zum 1. Juli 2020 verzeichnete der TSV Hochdahl 30.000 Euro weniger Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen, dazu 10.000 Euro weniger aus den Kursangeboten. Noch krasser stellte sich die Lage am 1. Januar 2021 dar: Das Beitragsminus beläuft sich auf 110.000 Euro, dazu gibt es 65.000 Euro weniger Einnahmen aus den Kursen. Noch nicht erfasst sind dabei weitere Verluste, weil momentan zum Beispiel auch keine Spenden fließen.
Doch die Kosten fürs Personal (trotz Kurzarabeit), für Gebäude, Darlehensverpflichtungen und sonstige Verträge laufen weiter.
Clemens Mittelviefhaus weiß sich mit der Entwicklung des TSV in guter Gesellschaft mit anderen Klubs. „Die Mindereinnahmen anderer Vereine liegen zwischen 5 und 30 Prozent. Da fehlt sehr schnell ein großer Betrag“, berichtet der Vorsitzende. Dabei kommt der TSV Hochdahl mit einem Jahresetat von rund 1,3 Millionen Euro, 39 Angestellten und rund 100 Übungsleitern und Trainern längst einem mittelständischen Unternehmen gleich.
Die TSV-Verantwortlichen entwickelten in der Corona-Krise neue Ideen, um dem Abwärtstrend Einhalt zu gebieten. So legte der Verein drei Outdoor-Fitness-Parcours an. Einer geht rund um das Fritz-Hoppe-Haus, das Vereinszentrum. Der zweite beginnt gegenüber den Fußballplätzen an der Grünstraße und der dritte führt durch den Willbecker Busch. Dazu baute der Verein Online-Angebote auf. Der Teppich im Wohnzimmer ersetzt dabei die Gymnastikmatte, Wasserflaschen die Hanteln. „Wir tun alles, um im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten den Kontakt zu unseren Mitgliedern zu halten und ihnen auch Möglichkeiten zur Bewegung und zum Sport anzubieten“, erklärt Mittelviefhaus.
Die Angestellten überarbeiten bestehende Konzepte und kreieren neue Ideen, um die rund 20 Sportarten unter dem Dach des TSV mit frischem Schwung anzugehen, sobald es die Corona-Schutzmaßnahmen wieder erlauben. Und auch die Planungen für eine umfassende Sanierung des Fritz-Hoppe-Hauses sind vorangeschritten. „Wir wollen unsere Mitglieder wenigstens über die Bereitstellung intakter und gepflegter Einrichtungen wieder zurückgewinnen“, erläutert der Vorsitzende. Zugleich betont er: „Jeder Tag, den der Stillstand früher beendet ist, ist ein gewonnener Tag.“
Die Wünsche der großen Sportvereine in NRW an die Politik lassen in diesen Tagen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Dazu zählt die umfassende Förderung von notwendigen Investionen, die weitgehend auf die Bereitstellung von Eigenmitteln verzichtet – weil die Klubs inzwischen klamm sind. Unterstützung erhoffen sich die Vereine auch beim Stemmen der Betriebskosten für Sporteinrichtungen, die einer breiten Bevölkerungsgruppe zur Verfügung gestellt werden. Letztlich ist auch Hilfe bei der Qualifizierung von Trainern und dem Erhalt von hauptamtlichen Arbeitsplätzen notwendig.
Die Sportvereine in NRW wollen endlich eine Perspektive sehen. Ihr Ziel: „Wir wollen unsere Mitglieder zurückgewinnen und schnellstmöglich die Bevölkerung wieder in Bewegung bringen. Gerade in der Zeit der Corona-Pandemie sind dafür erhebliche zusätzliche Anstrengungen erforderlich.“Sätze, die den Verantwortlichen des TSV Hochdahl aus der Seele sprechen.
„Die größte Herausforderung ist die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung“Clemens Mittelviefhaus
„Wir tun alles, um im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten den Kontakt zu unseren Mitgliedern zu halten
Clemens Mittelviefhaus
Vorsitzender des TSV Hochdahl