„Vielen Männern fehlen väterliche Vorbilder“
Der Psychoanalytiker Matthias Franz von der Heine-Uni hat den Männerkongress gegründet. Er forscht auch zur Vaterrolle.
DÜSSELDORF Am Anfang war Empörung – und Erkenntnis. Empörung darüber, dass der Mann in der Krise steckt, die negativen und gefährlichen Auswirkungen aber von Öffentlichkeit und Politik kaum wahrgenommen werden. „Ein Mann zu sein, ist riskant“, bringt Matthias Franz, Psychoanalytiker und Professor am Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Heine-Uni, seine Forschung auf den Punkt. Um seine Erkenntnisse in die Öffentlichkeit zu transportieren, gründete er vor elf Jahren mit seinem Kollegen André Karger den ersten Männerkongress. Ein Novum in Deutschland – und eine Provokation.
„Sie sind dominant, sie haben Macht, verdienen mehr Geld, unterdrücken die Frauen. Und jetzt sollen wir auch noch Mitleid mit den armen Männern haben!“Feministinnen ging es gründlich gegen den Strich, dass das männliche Innenleben in den Fokus gerückt werden sollte. So versuchten sie mit geballter Frauen-Power 2010 den ersten Kongress „Neue Männer - muss das sein?“zu boykottieren und die Teilnehmer daran zu hindern, den Hörsaal zu betreten. „Ein Männerkongress galt als Tabubruch“, erinnert sich Matthias Franz.
Die Proteste sind längst verstummt. Denn die Kern-Erkenntnis der Düsseldorfer Wissenschaftler – „es ist gefährlich ein Mann zu sein“– stößt nicht nur in der Fachwelt auf Interesse. Zumal solche provozierenden Sätze mit Fakten gestützt werden: Noch immer sterben Männer im Schnitt fünf Jahre früher als Frauen. Der Grund sei ein ganzes Bündel an Risiken: Männer konsumieren mehr Zigaretten und Alkohol, sie treiben öfter Extremsport, sind häufiger in tödliche Verkehrsunfälle verwickelt, gehen seltener zu Vorsorgeuntersuchungen, verdrängen schmerzliche Gefühle nach der Devise „schweigen und durchhalten“, anstatt auf die Warnsignale zu hören. All das, so Matthias Franz, führe auch dazu, dass Suizid bei Männern drei Mal häufiger ist als bei Frauen.
Aber warum geraten viele Männer in diese psychische Sackgasse? „Sie haben den Rollenkäfig immer noch nicht ganz verlassen“, sagt Franz. Er spricht vom „metallischen Mann“, der den Kontakt zu seiner Gefühlswelt verloren habe. „Er hat Angst, seine Männlichkeit zu verlieren, wenn er außerhalb des Fußballstadions über seine Emotionen redet.“Franz erkennt einen „Abhärtungsprozess“, der in der Kindheit beginne. Mädchen seien sich früh ihrer Identität gewiss, die Entwicklung von Jungen sei komplexer und störanfälliger. Das Grundübel sei, dass sie nicht erfahren, wie das geht, ein auch emotional kompetenter Mann zu werden. „Dazu fehlen ihnen oft die väterlichen Vorbilder.“
Die Misere der Männer haben die Düsseldorfer Kongresse im vergangenen Jahrzehnt beleuchtet – aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Auch mit Referentinnen und begleitet von starkem öffentlichen Interesse. Aber haben sie etwas verändert? „Wir sehen eine größere Sensibilität und mehr Verständnis dafür, dass es auch vielen Männern schlecht geht“, sagt Franz. Positiv bewertet der Wissenschaftler, dass immer mehr Männer mittlerweile zur Therapie gehen, „aus eigenem Antrieb und nicht nur, weil sie von ihren Frauen dazu gedrängt werden.“Noch immer seien spezielle Angebote rar, aber immerhin würde beispielsweise die evangelische Kirche Seminare und Gesprächskreise anbieten für „Männer auf der Suche nach sich selbst“. Und an vielen Orten hätten sich Stammtische einer neuen Art etabliert, bei denen die Runde über ihre Probleme redet, Gefühle von Angst und Trauer rauslässt und darüber diskutiert, was ein Mann braucht, um ein glückliches Leben zu führen.
Beim aktuellen (wegen Corona virtuellen) Männerkongress im Februar mit mehr als 400 Teilnehmern ging es um Erotik. Also um das Knistern und Prickeln, das sinnliche Begehren und Verführen – Basis des Liebeslebens. Oder die weniger sinnliche Definition der Wissenschaft: „um die Vermittlung des Triebimpulses“. Aber auch um eine reife Erotik, die einhergeht mit Empathie und die immer die Wünsche und Ängste des anderen berücksichtige. „Sie signalisiert: Du kannst mir nahekommen und ich verspreche dir, deine Bedürfnisse zu erfüllen und deine Grenzen zu respektieren“, so Franz. Letztlich sei Erotik ein Zaubertrick der Evolution, um Erregung zu entfachen und Fortpflanzung zu ermöglichen.
Was Menschen an ihrem Gegenüber erotisch finden, ist allerdings höchst unterschiedlich. Eine wissenschaftliche Erkenntnis mag die Teilnehmer (fast 50 Prozent sind weiblich) überrascht haben: Frauen finden ein markantes Männerkinn anziehend, während ihres Eisprungs reagieren sie auf die männlich ausgeprägte Kinnpartie besonders empfänglich – da scheinen biologische Prozesse das erotische Empfinden zu beeinflussen.
Ob der Einblick in die Männerseele fortgesetzt wird, ist zurzeit allerdings mit einem Fragezeichen versehen. Matthias Franz (66) hatte Ende Februar seinen letzten Arbeitstag als kommissarischer Institutsleiter. „Das wird von den Interessen und Schwerpunkten der neuen Lehrstuhlbesetzung im Bereich Psychosomatische Medizin abhängen.“Die Stelle ist ausgeschrieben, die Zukunft der Männerkongresse offen.