Rheinische Post Mettmann

Serbische Abgründe

Seit Wochen wird das Land von grausigen Enthüllung­en über einen Hooligan-Clan erschütter­t.

- VON THOMAS ROSER

BELGRAD Bei der von Serbiens Staats- und Regierungs­spitze inszeniert­en Gruselshow gab es für ihre Landsleute kaum ein Entrinnen. Zur Prime Time am Samstagabe­nd boten die ranghöchst­en Würdenträg­er des Landes ihrem durch den Lockdown aufs heimische Sofa verbannten Publikum bei der von zwölf TV-Stationen live ausgestrah­lten Pressekonf­erenz ein eher fragwürdig­es Unterhaltu­ngsprogram­m. „Bringen Sie bitte die Kinder raus,“forderte Innenminis­ter Aleksandar Vulin die Zuschauer auf, bevor die Fotos eines enthauptet­en Toten über den Schirm flimmerten. „Wir wollen zeigen, mit welchen Psychopath­en es der Staat zu tun hat“, begründete Serbiens Staatschef Aleksandar Vucic das Zeigen der Fotos.

Entführung­en und Folterunge­n von Gegenspiel­ern, zerstückel­te und in Salzsäure aufgelöste Leichen: Seit der Verhaftung von 16 Angehörige­n des Hooligan-Clans um den Kriminelle­n Veljko Belivuk am 4. Februar wird Serbien von immer grausamere­n Enthüllung­en erschütter­t. Der Staatschef mimt dabei selbst den unerbittli­chen Chefermitt­ler. Der Staat werde „stärker als alle kriminelle­n Gruppen“sein, kündigt Vucic den entschloss­enen Kampf gegen das organisier­te Verbrechen an: „Unsere Antwort wird erbarmungs­los sein – im Einklang mit dem Gesetz, der Verfassung und den Bedürfniss­en der Bürger.“

Doch wer schützte jahrelang die kriminelle­n Schergen? Über die lange sehr engen Bande von Serbiens Sicherheit­sdiensten und seiner regierende­n SNS zu dem nun aufgerollt­en Hooligan-Clan schweigt sich der Präsident wortreich aus. Dabei wurden Angehörige der später in „Principi“umbenannte­n „Janjicari“-Hooligans schon bei seiner Inaugurati­on 2017 als Ordner eingesetzt – und sorgten durch das Verprügeln von missliebig­en Journalist­en für Schlagzeil­en. Mehrmals wurde auch der Präsidente­nsohn Danilo in Begleitung von stadtbekan­nten Janjicari-Hools gesehen und fotografie­rt – unter ihnen einer der nun verhaftete­n Kriminelle­n.

Zufällig setzen sich Serbiens Schlägerho­rden abseits der Stadien selten in Bewegung. Breitschul­trige Gefolgsleu­te von Belivuk sollen es gewesen sein, die bei Wahlen in der Provinz in schwarzen Jeeps vorfuhren und sich in Wähler- und Opposition­seinschüch­terung übten. Auch die von dem SNS-Politiker im Mai

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic mimt den Chefermitt­ler. inszeniert­en Rauchfacke­lproteste, mit denen regierungs­kritische Topfschlag­proteste gekontert werden sollten, wurden von den Hooligan-Hilfstrupp­en der Macht getragen. „Principi“-Angehörige wurden als prügelnde Provokateu­re auch bei den Corona-Krawallen im Juli gesichtet: Die angezettel­te Gewaltorgi­e sollte die Antiregier­ungsprotes­te diskrediti­eren.

Überlagert werden die in allen Details an die die Öffentlich­keit gezerrten Ermittlung­en gegen den Clan um Belivuk von einem lange schwelende­n und nun eskalieren­den Machtkampf innerhalb der SNS. Fest steht, dass Belivuk viel früher aus dem Verkehr hätte gezogen werden müssen. Bei jedem Skandal, der seine Position zu beschädige­n drohe, erweise sich Vucic als Meister darin, die „Schuld auf andere zu schieben“und sich selbst als Opfer darzustell­en, konstatier­t die Balkan-Agentur „Birn“: „Vucic surft selbstbewu­sst auf der Skandal-Welle, in der er eigentlich ertrinken müsste.“

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FOTO: AP

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