Die Pollen und das Virus
Die schlechte Nachricht: Starker Pollenflug kann einer Studie zufolge das Corona-Risiko erhöhen. Die positivere Nachricht: Allergiker können sich mit Masken auch vor dem Blütenstaub schützen.
MÜNCHEN/BERLIN (dpa) Starker Pollenflug kann einer Studie zufolge das Corona-Risiko erhöhen. Gebe es viele Pollen in der Außenluft, stiegen die Infektionszahlen, berichtet ein internationales Team unter Leitung von Forschern der Technischen Universität München (TUM) und des Helmholtz Zentrums München im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“(„PNAS“). Anlass zu übermäßiger Sorge gibt die Beobachtung nach Ansicht von nicht an der Studie beteiligten Experten aber nicht.
Die Forscher hatten Daten zu Pollenbelastung und Infektionsraten mit Sars-CoV-2 aus 130 Regionen in 31 Ländern auf fünf Kontinenten analysiert. Die Forscher berücksichtigten auch demografische Faktoren und Umweltbedingungen, darunter Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Bevölkerungsdichte sowie die Ausprägung des Lockdowns. An Orten ohne Lockdown-Regelungen stieg die Infektionsrate im Schnitt um vier Prozent, wenn sich die Anzahl der Pollen in der Luft um 100 pro Kubikmeter erhöhte. In manchen deutschen Städten seien im Untersuchungszeitraum zeitweise pro Tag bis zu 500 Pollen auf einen Kubikmeter gekommen – zugleich stiegen laut Studie die Infektionsraten um mehr als 20 Prozent.
Die täglichen Infektionsraten korrelierten mit der Pollenzahl in Ländern mit und ohne Lockdown. Galten in den untersuchten Gebieten Lockdown-Regeln, halbierte sich die Zahl der Infektionen im Schnitt bei vergleichbarer Pollenkonzentration in der Luft. Luftgetragene
Pollen könnten einen Teil der Variabilität bei den Infektionsraten erklären; aber auch Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur spielten dabei eine Rolle, schreiben die Wissenschaftler weiter.
Jörg Kleine-Tebbe, Allergologe und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) sagte in einer ersten Einschätzung: „Die Korrelation zwischen Pollenflug und Infektionen ist offenbar vorhanden, aber gering ausgeprägt.“Es dürfe nun nicht Panik verursacht werden: „Das ist kein extremer Befund.“
Der Münchner Infektiologe Clemens Wendtner sagte, dass Pollenexposition im Frühjahr zu einer erhöhten Infektanfälligkeit gegenüber bestimmten Viren führen könne, sei in der Fachliteratur beschrieben und prinzipiell bekannt. „Neu ist, dass dieser Effekt nun auch für das neue Coronavirus, also Sars-CoV-2, wissenschaftlich belegt wurde.“
Man dürfe sich aufgrund eines vermeintlich schützenden Effekts der UV-Strahlen im Frühjahr nicht zu sehr in Sicherheit wiegen und das Masken- und Abstandsgebot vergessen, sagte der Chefarzt für Infektiologie an der Münchner Klinik Schwabing. „Vielmehr sollte im Frühjahr, wenn besonders viele Pollen die Luft belasten können, ganz besonders auf das Tragen einer Partikelfiltermaske geachtet werden: die Maske filtert nicht nur zuverlässig die Pollen aus der Luft, sondern auch die Sars-CoV-2 Viren.“
Experten zufolge führen Pollen zu einer veränderten Immunabwehr im Menschen, sodass weniger der gegen Viren gerichteten Abwehr-Botenstoffe produziert werden, sogenannte antivirale Interferone.
Die Autoren der Studie geben darüber hinaus an, dass die Pollen die eigentlich heilsame Entzündungsreaktion beeinflussen, die der Körper auslöse, um Viren zu bekämpfen. Wenn viele Pollen fliegen, kann die Zahl der Atemwegserkrankungen daher steigen – dies gilt auch für Covid-19. Dabei spiele es keine Rolle, ob Betroffene an Allergien gegen diesen Pollen leiden oder nicht. „Betrachtet man die Verbreitung
„Egal welche Maske man trägt, es ist sehr wahrscheinlich, dass Pollen abgehalten
werden“Karl-Christian Bergmann
Leiter der Stiftung Deutscher
Polleninformationsdienst
des Sars-CoV-2, müssen Umweltfaktoren wie Pollen mit in die Rechnung aufgenommen werden. Das Wissen um diese Auswirkungen eröffnet neue Wege für die Prävention und Abmilderung von Covid-19“, sagte Erstautor Athanasios Damialis. Die TUM-Umweltmedizinerin und Mitautorin Claudia Traidl-Hoffmann rät, in den kommenden Monaten Pollenflugvorhersagen zu Rate zu ziehen. „Staubfiltermasken zu tragen, wenn die Pollenkonzentration hoch ist, kann das Virus und den Pollen gleichermaßen von den Atemwegen fernhalten.“
Der Allergologe und Leiter der Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst, Karl-Christian Bergmann,
sagt: „Egal welche Maske man trägt, es ist sehr wahrscheinlich, dass Pollen durch das Material abgehalten werden.“Dadurch könne die Menge eingeatmeter Pollen zumindest reduziert werden.
Erreichen die Pollen die Schleimhäute in Nase und Mund nicht mehr, können sie dort keine Symptome auslösen. „In den meisten Fällen werden Symptome wie eine laufende Nase, Juckreiz im Mund oder Niesen deutlich gemildert“, erläuterte der Allergologe Arthur Helbling in einem Interview mit dem Schweizer Allergiezentrum. FFP2-Masken filterten zwar kleinere Partikel als Standard-Hygienemasken, die nur Partikel über etwa drei Mikrometer
abhielten. Da Pollenkörner aber zwischen zehn und 100 Mikrometer groß seien, könnten beide Maskentypen Pollenkörner filtern, so Helbling, Leiter der Allergologisch-Immunologischen Poliklinik am Inselspital Bern. Wer trotz Maske niesen müsse, solle diese regelmäßig wechseln. „Ist die Maske feucht, bietet sie kaum mehr Schutz, weder vor Pollen noch vor Viren.“Den Schutzeffekt von Masken mindert zudem, dass Augen und Haut ungeschützt bleiben. „Die Maske kann rote, tränende oder juckende Augen nicht verhindern“, erklärte Helbling. Ein gewisser Schutz vor Pollen lasse sich mitunter durch das Tragen einer Brille erreichen.