Rheinische Post Mettmann

Sehnsucht in der Highschool

Die sehenswert­e Serie „Love, Victor“erzählt bei Disney+ eine Liebesgesc­hichte aus schwuler Perspektiv­e.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Alles in Greg Berlantis „Love, Simon“(2018) war so, wie man es von romantisch­en High-School-Komödien kannte: Ein sympathisc­her Held, der sich unglücklic­h verliebt, ein Hindernis-Parcours, der auf dem Weg zum Happy End absolviert werden musste, ein Kreis von Freunden und ein paar Fieslingen, die im sozialen Mikrokosmo­s des Schulhofs das interaktiv­e Spektrum erweiterte­n. Nur einen kleinen, aber wesentlich­en Unterschie­d gab es: Der Titelheld war schwul und musste ein Coming-out wagen, um über die romantisch­e Ziellinie laufen zu können.

„Love, Simon“war die erste größere Studioprod­uktion, die eine schwule Liebesgesc­hichte nicht in der Nische verhandelt­e, sondern an ein jugendlich­es Mainstream-Publikum adressiert­e. Und es funktionie­rte: 66 Millionen Dollar spielte die queere Rom-Com ein – ein Ergebnis, das sich vor der heterosexu­ellen Konkurrenz nicht verstecken musste. Im abgesicher­ten Modus des Genres und vor einer heilen Mittelklas­senwelt wickelte die herzzerrei­ßende Coming-OutStory seine breite Zielgruppe um den Finger. Gerade weil hier nicht mit politisch korrektem Anspruchsd­enken gearbeitet wurde, sondern sich die Empathie durch die Nähe zur Hauptfigur herstellte, wirkte die Angelegenh­eit angenehm unangestre­ngt.

Nun bekommt „Love, Simon“auf Disney+ etwas, das normalerwe­ise nur Marvel-Superhelde­n oder Mandaloria­nern aus dem Star-Wars-Universum vorbehalte­n ist: ein Spin-off.

„Love, Victor“heißt die zehnteilig­e Serie, die eine neue schwule Selbstfind­ungsgeschi­chte vor vertrauter Kulisse erzählt. Aus dem tiefsten Texas ist Victor (Michael Cimino) mit seiner Familie nach Atlanta gezogen und geht nun auf die Greek High School, in der Simons Liebesgesc­hichte ihren Anfang nahm, die an der Schule als Legende gefeiert wird. Aber auch wenn ihm hier der ungewohnte Wind großstädti­scher Liberalitä­t um die Nase weht, traut sich Victor nicht zu sagen, dass er auf Jungs steht. Schließlic­h wissen die religiösen Latino-Eltern, die ohnehin gerade mit eigenen Problemen zu kämpfen haben, nichts von den schwulen Neigungen ihres Sohnes.

Anders als Simon, mit dem er per Instagram in Kontakt steht, verfügt Victor nicht über das liberale, soziale Umfeld der oberen Einkommens­schichten. Und so lässt er sich zunächst halbherzig, aber mit zunehmende­r Zuneigung auf eine Beziehung mit der allseits beliebten Mitschüler­in Mia (Rachel Hilson) ein, die für den sensiblen Neuling das breite Feld der Verehrer links liegen lässt.

Auch wenn sich hier schon bald seelenverw­andtschaft­liche Gefühle einstellen, fühlt sich Victor immer deutlicher zu Benji (George Sear) hingezogen, mit dem er nach der Schule gemeinsam in einem Café jobbt. Benji macht aus seinem Schwulsein kein Geheimnis, entwickelt bei der Milchschau­mproduktio­n beträchtli­ches Barista-Sex-Appeal, singt mit seiner Band eine superroman­tische Cover-Version von „Call Me Maybe“– und hat einen festen Freund. Und so beginnt über zehn halbstündi­ge Episoden für Victor eine emotionale Berg- und Talfahrt, auf der er sich selbst und seine Sehnsüchte neu kennenlern­t. Auch im Serienform­at hält „Love, Victor“den Geist des Vorgängerf­ilmes wach und erzählt seine Liebesund Selbstfind­ungsgeschi­chte aus einer schwulen Perspektiv­e für eine breites Mainstream-Publikum auf harmlos-herzallerl­iebste Weise.

Für den Auftraggeb­er Disney+ jedoch nicht harmlos genug. In den USA durfte die Serie zunächst nicht auf die um ihre Familienfr­eundlichke­it besorgte Plattform und wurde von dem Streaming-Kanal Hulu ausgestrah­lt. Nun hat Disney+ mit „Star“eine Abteilung eingericht­et, in dem mit einer einstellba­ren Kindersich­erung versehen ein beträchtli­ches Angebot von 276 Filmen und 55 Serien für Erwachsene hochgelade­n wird. In Deutschlan­d darf „Love, Victor“dort nun seine Premiere mit einer Altersfrei­gabe von zwölf Jahren feiern.

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FOTO: MITCHELL HAASETH/HULU/DISNEY+/DPA Michael Cimino spielt in der neuen Serie den texanische­n Teenager Victor, der sich auf seiner neuen Schule in seinen Mitschüler Benji verliebt.

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