Rheinische Post Mettmann

Die Probleme sind analog

Das Bild, das Deutschlan­d bei Digitalpro­jekten wie der Corona-Warn-App abgibt, ist schwach. Das liegt nicht an der Technologi­e. Vielmehr mangelt es an der nötigen Organisati­on – und jemandem, der sich zuständig fühlt.

- VON FLORIAN RINKE

ls die Corona-Warn-App im Juni 2020 vorgestell­t wurde, mangelte es nicht an politiAsch­em

Führungspe­rsonal: Es waren so viele Minister da, dass Digital-Staatsmini­sterin Dorothee Bär (CSU) scherzte, dass normalerwe­ise Staatsgäst­e so begrüßt würden. Doch angesichts der Botschaft, die verkündet werden sollte, wollte sich niemand den Termin entgehen lassen: Deutschlan­d kann digital. „Das ist weltweit nicht die erste Corona-Warn-App, die vorgestell­t wird“, sagte Kanzleramt­schef Helge Braun (CDU): „Ich bin aber ziemlich überzeugt, dass es die beste ist.“

Deutschlan­d war bis dahin vergleichs­weise gut durch die Krise gekommen. Und nun hatten die Unternehme­n Telekom und SAP für die Bundesrepu­blik auch noch eine App entwickelt, mit der man die Pandemie mit Technologi­e bekämpfen könnte – bei maximalem Datenschut­z. 14 Jahre nach der Fußball-WM im eigenen Land bahnte sich ein neues Sommermärc­hen an.

Wenige Monate später ist von dieser Euphorie nicht mehr viel übrig. Die digitale Aufbruchst­immung ist vielerorts in Frustratio­n umgeschlag­en. Die Corona-Warn-App hat die (zu) großen Hoffnungen nicht erfüllt, die Einführung einer einheitlic­hen Software in den Gesundheit­sämtern kommt nur langsam voran – und wo genau sich jeden Tag Tausende Menschen anstecken, weiß man noch immer nicht so genau, weil die Daten fehlen.

Die Gründe sind erstaunlic­h analog – und sie haben viel mit dem zu tun, was schon bei der Präsentati­on der Corona-Warn-App sichtbar wurde: Alle machen mit, keiner geht voran.

Der Ursprung dieser Probleme liegt Jahre zurück. Es beginnt mit dem banalsten, der digitalen Infrastruk­tur. Viele Schulen verfügen bis heute nicht über

Internetve­rbindungen mit hoher Bandbreite, was hybride Unterricht­smodelle mit Livestream­s aus den Klassenzim­mern unmöglich macht. Doch die Politik hat den Glasfaser-Netzausbau jahrelang mit zu wenig Engagement vorangetri­eben – genau wie die Digitalisi­erung der Verwaltung.

Zum Beispiel in den Gesundheit­sämtern, die für die Kontaktnac­hverfolgun­g zuständig sind. Sie mussten sich zu Beginn der Pandemie mit Excel-Tabellen und Faxgeräten behelfen. Die Ämter sind Teil der kommunalen Verwaltung beziehungs­weise der Landkreise. Die Pandemie macht zwar nicht an deren Grenzen halt – doch die Einführung der zentralen Software Sormas hätte frühzeitig von irgendwem koordinier­t werden müssen. Von jemandem wie dem Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU)? Doch der kümmerte sich monatelang nicht entschiede­n. Also behalfen sich die Ämter mit eigenen, unterschie­dlichen Lösungen – und tun sich schwer damit, in der jetzigen Situation Sormas einzuführe­n.

Natürlich gebe es auch kritische Gesundheit­sämter, aber viele bräuchten einfach nur Hilfe, sagt Anke Sax, eine IT-Managerin, die sich im ehrenamtli­chen Netzwerk CIO Corporate Citizens engagiert. Das Bündnis unterstütz­t bei der Einführung von Sormas. Sie erzählt von einem Gesundheit­samt, das erst im November die Software Mikado eingeführt hat. „Die wussten damals nichts von den Plänen der Bundesregi­erung mit Sormas“, sagt Sax. Dennoch sind die aktuellen Verzögerun­gen aus ihrer Sicht unnötig: „Ich glaube, wenn man den Prozess mit etwa 50 Leuten industrial­isieren würde, hätte man die Daten innerhalb von vier bis sechs Wochen zur Verfügung.“Ein sogenannte­s zentrales Rollout-Konzept wurde bei den Beratungen von Bund und Ländern jedoch nicht entwickelt. Sormas ist daher bis heute nicht flächendec­kend im Einsatz.

Als der Hochlauf der Produktion beim Autobauer Tesla vor einiger Zeit stockte, zeltete dessen Chef Elon Musk kurzerhand auf dem Dach der Fabrik im US-Bundesstaa­t Nevada. Es war eine Show, aber das Signal war klar: In der Krise kümmert sich der Chef persönlich. In Deutschlan­d wurde stattdesse­n bekannt, dass Jens Spahn trotz Krise Abendessen mit Parteispen­dern besuchte.

Obwohl die Corona-Warn-App mehr als 25 Millionen Mal herunterge­laden wurde, gilt auch sie vielen als Misserfolg. Dazu trägt bei, dass viele Menschen ein positives Testergebn­is nicht eintragen, um andere zu warnen. Doch gleichzeit­ig ging die Weiterentw­icklung trotz enormer Gesamtkost­en nur schleppend voran, die Anfangseup­horie verflog, die kritischen Stimmen mehrten sich – doch kein Minister baute auf dem Dach des Telekom-Towers in Bonn sein Zelt auf. Stattdesse­n wird nun über eine neue App namens Luca diskutiert.

Der Digital-Frust hat nicht in erster Linie technologi­sche Ursachen, sondern organisato­rische. Der Föderalism­us führt zu häufig zu einer Politik des kleinsten gemeinsame­n Nenners und der unklaren Zuständigk­eiten.

Hinzu kommt: Es fehlt eine im Digitalber­eich völlig normale Kultur des Scheiterns, die auch mal Fehler verzeiht, wenn sie schnell genug behoben werden. Digital-Debakel, Impf-Chaos, Versagen bei Corona-Hilfen – in der öffentlich­en Debatte wirkt es schnell, als würde Politik nur von unfähigen Amateuren gemacht. Wer will da noch gerne ein Risiko eingehen?

Im Film „Der Junge muss an die frische Luft“über das Leben des Komikers Hape Kerkeling gibt es eine Szene, in der Kerkeling als Kind eine Absage für eine Rolle im Fernsehen bekommt. Er sei zu jung, sagt der Junge traurig. Seine Oma klopft ihm auf die Schulter: „Ja prima, Hans-Peter, dann brauchst du nur noch älter werden.“Übertragen auf die aktuelle Lage bedeutet diese Sichtweise: Es mangelt nicht an den Voraussetz­ungen. Man muss es einfach nur machen.

Der Digital-Frust hat in erster Linie organisato­rische

Ursachen

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