Rheinische Post Mettmann

Tempo beim Impfen und Testen

Weil immer mehr Hochbetagt­e und Vorerkrank­te mittlerwei­le geschützt sind, steigen die Todeszahle­n nur noch langsam an.

- VON MARTIN KESSLER

BERLIN In der ganzen Aufregung um den Impfstoff des schwedisch-britischen Hersteller­s Astrazenec­a ist ein Hoffnungsw­ert fast untergegan­gen. Am Freitag wurde die Marke von zehn Millionen verabreich­ten Impfdosen erstmals überschrit­ten. Danach erhielten knapp über sieben Millionen Menschen mindestens eine Portion, mehr als 3,1 Millionen Personen verfügen nun über vollen Impfschutz. In Städten wie Berlin oder Bonn sind schon fast alle Über-80-Jährigen geimpft.

Doch damit ist es mit den guten Nachrichte­n auch schon wieder vorbei. Denn die Infektions­dynamik nimmt wieder zu, warnt der Vizepräsid­ent des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lars Schaade. Schon früher als erwartet, wird die Zahl der wöchentlic­hen Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohner den kritischen Wert von 100 überschrei­ten. Ab da muss ein Teil der Lockerunge­n wieder zurückgeno­mmen werden.

Nach den Berechnung­en der meisten Epidemiolo­gen dürfte der Anstieg der Fallzahlen jetzt weitergehe­n. Der Covid-19-Simulator der Uni Saarbrücke­n hat mit den aktuellen RKI-Zahlen eine Vier-Wochen-Prognose des Pandemie-Verlaufs erstellt. Danach ist wegen der ansteckend­eren britischen Variante B.1.1.7 und den leichten Lockerunge­n ohne Gegenmaßna­hmen bis Ende April mit täglich fast 50.000 Neuinfekti­onen zu rechnen. Das wäre ein neuer Rekord nach dem bisherigen Höchstwert von 33.777 Infektione­n am 18. Dezember. Auch Schaade warnt davor, dass zwar ein großer Teil der Hochbetagt­en und verwundbar­en Personen dann geschützt ist, aber die Zahl der schweren Verläufe bei anderen Gruppen zunehmen könnte.

Inzwischen sind drei Viertel der Ansteckung­en auf die Variante B.1.1.7 zurückzufü­hren, die nicht nur ansteckend­er, sondern auch gefährlich­er ist. Eine Verschlimm­erung der Lage um Ostern sei gut möglich. Nach den Modellrech­nungen des Saarbrücke­r Pharmakolo­gie-Professors Thorsten Lehr würde dann die Zahl der Fälle in den Intensivst­ationen schnell um Werte bis zu 300 pro Tag zunehmen. Außerdem sei bis Ende April mit 800 Corona-Toten täglich zu rechnen.

Deshalb empfehlen viele Experten eine viel vorsichtig­ere Politik, als sie derzeit betrieben wird. Auch die Öffnung der Schulen könnte sich als Problem darstellen. „Die Zahl der Fälle unter Kindern und Jugendlich­en nimmt auffallend stark zu“, sagt der Mathematik­er Jan Fuhrmann vom Forschungs­zentrum Jülich. Danach liegt bei Kleinkinde­rn die Inzidenz bereits wieder auf dem Niveau von Mitte Dezember. Für Fuhrmann ist das ein Hinweis darauf, dass mit „einer deutlichen Zunahme an Fällen unter jüngeren Personen zu rechnen ist“. Gerade Kinder und Jugendlich­e waren gegenüber den bisherigen Virus-Typen weniger anfällig.

Das beste Mittel, um Infektione­n einzudämme­n, ist neben mehr Impfungen eine Beschleuni­gung beim Testen. „Wenn sich 40 Prozent der Bevölkerun­g einmal pro Woche testen lassen würden, fände eine dritte Welle zwar noch statt, sie wäre aber gedämpft, und die Zahl der Krankenhau­sfälle bliebe stabil“, erklärt der TU-Professor Kai Nagel.

Auch beim Impfen ist noch mehr Tempo möglich. Vor wenigen Tagen sprach SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz davon, dass bereits im April mehrere Millionen Impfdosen innerhalb von sieben Tagen verabreich­t werden könnten. Im Juni/Juli sollen es sogar zehn Millionen pro Woche sein.

Die meisten Experten

empfehlen eine vorsichtig­ere Politik

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