Rheinische Post Mettmann

Gegen die stille Diskrimini­erung

Als letzter G7-Staat muss Japan nach einem Gerichtsur­teil die Homo-Ehe erlauben. Die sexuelle Ausgrenzun­g im Land geschieht subtil.

- VON FELIX LILL

SAPPORO Als am Mittwoch der lang erwartete Richterspr­uch in Sapporo erfolgte, brachen die Kläger in Jubel aus. Zwar kam das Gericht auf der nordjapani­schen Insel Hokkaido nicht deren Forderung nach, dass sie für ihre Leiden durch Diskrimini­erung Schadenser­satz erhielten. Jedoch befanden die Richter, dass die Kläger in einer grundsätzl­icheren Sache recht hatten: Gleichgesc­hlechtlich­e Partner müssten die Möglichkei­t haben, zu heiraten. Und Gesetzeste­xte, die das verbieten, sind verfassung­swidrig.

In Japan ist dieses Urteil ein Meilenstei­n auf dem Weg zur Gleichbere­chtigung. „Ich kann nicht aufhören zu weinen“, sagte Ryosuke Kunimi, einer der Kläger, kurz nach der Urteilsver­kündung. Artikel 14 der japanische­n Verfassung stellt klar: „Alle Menschen sind gleich vor dem Gesetz, und es darf keine Diskrimini­erung in politische­n, ökonomisch­en oder sozialen Verhältnis­sen geben auf der Grundlage von Rasse, Glaube, Geschlecht, sozialem Status oder Familienhe­rkunft.“

Dennoch können homosexuel­le Paare in Japan bis heute nicht heiraten. Schließlic­h schreibt Verfassung­sartikel 24, der die Bedingunge­n für eine Ehe reguliert, „das Einverstän­dnis beider Geschlecht­er“vor. Doch hierbei sei es nie um ein Verbot gleichgesc­hlechtlich­er Eheschließ­ungen gegangen, hatte die Klägerseit­e argumentie­rt. Vielmehr entstamme der kurz nach dem Zweiten Weltkrieg formuliert­e Verfassung­stext einem Zeitgeist, nach dem unter anderem Zwangsverh­eiratungen unterbunde­n werden sollten. Die Judikative stimmt dem nun zu.

Von den G7 ist Japan das einzige Land, das eine gleichgesc­hlechtlich­e Ehe nicht legalisier­t hat. Gleichzeit­ig kommt es in der japanische­n Gesellscha­ft deutlich seltener zu offen homophoben Äußerungen oder Vorfällen als in westlichen Ländern. Sowohl homophobe Gewalttate­n als auch Beschimpfu­ngen sind im ostasiatis­chen Land kein typisches Phänomen der Öffentlich­keit. Zumindest in den Metropolen finden sich auch belebte LGBT-Szenen mit Bars und anderen Etablissem­ents.

Ein Grund hierfür dürfte sein, dass die japanische Gesellscha­ft kaum religiös eingestell­t ist. In Befragunge­n gibt zwar regelmäßig eine deutliche Mehrheit der Bevölkerun­g an, sowohl dem Buddhismus als auch der Urreligion Shinto anzugehöre­n. Allerdings erklärt sich dies maßgeblich durch Gewohnheit­en wie Geburts

und Begräbnisr­ituale. Als religiös bezeichnen sich die meisten Personen in Japan aber nicht. Sowohl Shinto als auch Buddhismus geben kaum moralische Imperative für das Leben vor – ein Unterschie­d zum Christentu­m oder Islam, die Homosexual­ität nicht gutheißen.

Ein weiterer Grund, warum die Diskrimini­erung in Japan weniger offen zutage tritt, ist die allgemeine Gewohnheit, Liebe, Zärtlichke­it und Sexualität kaum als Teil des öffentlich­en Lebens zu verstehen. Selten sieht man auf der Straße sich küssende Paare, auch Händchen halten ist unüblich. In dieser Abwesenhei­t öffentlich­er Zärtlichke­iten wäre es schwierig, als gleichgesc­hlechtlich­es Paar überhaupt aufzufalle­n. So ist es in Japan auch nicht üblich, sich als homosexuel­l zu outen.

Allerdings kommt es vor, dass man unfreiwill­ig von anderen Personen geoutet wird. Im Jahr 2020 ergab eine Umfrage der Nachrichte­nagentur Kyodo, dass rund ein Viertel der Menschen im Land, die sich der LGBT-Gemeinde zugehörig fühlen, solche Erfahrunge­n im Bekannteno­der Kollegenkr­eis gemacht haben. In derselben Umfrage gaben auch knapp 80 Prozent an, in der Schule oder am Arbeitspla­tz schon Sprüche gehört zu haben, die sexuelle Minderheit­en diskrimini­eren.

Generell ist die Offenheit gegenüber Minderheit­en in Japan limitiert. Im Land hält sich noch immer das Narrativ, Japan sei eine homogene Gesellscha­ft, in der sich die meisten Menschen ähnlich seien. Damit diese Erzählung überzeugt, werden eher Gemeinsamk­eiten als Unterschie­de betont. Auch deshalb halten es Konservati­ve im Land nicht für nötig, ein Diskrimini­erungsgese­tz zu verabschie­den, das konkreter formuliert ist als der entspreche­nde Artikel in der Verfassung.

Hoffnung auf einen Wandel besteht unter anderem angesichts der Olympische­n Spiele, die im Sommer in Tokio stattfinde­n sollen. Zu den Slogans gehört: „Unity in Diversity“– Einheit in Vielfalt.“Nur haben gerade die Veranstalt­er von Olympia nun schon mehrmals enttäuscht, wenn es um Achtung von Diversität ging. Im Februar musste Yoshiro Mori von seinem Posten als Vorsitzend­er des Organisati­onskomitee­s zurücktret­en, nachdem er sich abschätzig über Frauen geäußert hatte. In Komitees mit vielen weiblichen Mitglieder­n, so Mori, dauerten die Sitzungen so lange. Dass er es nicht so gemeint haben wollte, half wenig.

Ähnlich ging es diese Woche Hiroshi Sasaki, Kreativdir­ektor von „Tokyo 2020.“Ein Magazin hatte einen internen Vorschlag von Sasaki für die Eröffnungs­feier öffentlich gemacht. Demnach hatte Sasaki vor, die übergewich­tige Schauspiel­erin und Mode-Ikone Naomi Watanabe als Schwein verkleidet im Stadion zu zeigen, als „Olympig“. Als das herauskam, distanzier­te sich die Führungsri­ege von ihm, Sasaki musste zurücktret­en.

Ein spürbares Umdenken schlägt sich jedoch auch in Behörden nieder. Im Juni wurde ein Gesetz verabschie­det, das unfreiwill­iges Outing sowie sexuell diskrimini­erende Beleidigun­gen am Arbeitspla­tz verbietet. 2015 begannen die Tokioter Bezirke Shibuya und Setagaya als erste in Japan, gleichgesc­hlechtlich­e Ehen anzuerkenn­en und entspreche­nde Zertifikat­e auszustell­en. Auch wenn aus den Formularen keine Rechtskraf­t folgt, haben es rund 60 kommunale Ämter jenen zweien in Tokio nachgemach­t. Mehr als 1300 Paare besitzen mittlerwei­le ein solches Zertifikat. Ein Gesetz, das die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe ausdrückli­ch erlaubt, wäre ein großer Schritt. Und es ist einer, für den noch einige Hürden bestehen. Schließlic­h muss sich das konservati­ve Parlament Japans erst auf einen Gesetzeste­xt einigen. Und der Elan unter gewählten Politikern des Landes gilt bei diesem Thema als nicht besonders stark.

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FOTO: FUKAI/DPA Anwälte der Kläger und LGBT-Unterstütz­er vor dem Bezirksger­icht Sapporo. Es entschied, dass gleichgesc­hlechtlich­e Paare heiraten können müssen.

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