Rheinische Post Mettmann

Eisige Stimmung in Alaska

Das erste Treffen zwischen Regierungs­vertretern Pekings und Washington­s gerät zum Desaster. Es gibt einen Vorgeschma­ck auf die kommenden Jahre.

- VON FABIAN KRETSCHMER

PEKING Als Außenminis­ter Anthony Blinken und sein Konterpart Wang Yi im Konferenzz­immer in Anchorage Platz nahmen, ging es laut Protokoll nur um eine einleitend­e Stellungna­hme für Journalist­en. Stattdesse­n flogen knapp eine Stunde lang die rhetorisch­en Fäuste: Blinken klapperte von Menschenre­chtsverbre­chen in Xinjiang bis hin zu Hongkong die Liste an Vorwürfen ab, die Peking stets als „Einmischun­g in innere Angelegenh­eiten“wertet. Politbüro-Mitglied Yang Jiechi konterte: Er wies die Vereinigte­n Staaten auf eigene Menschenre­chtsverlet­zungen hin und sprach ihnen die globale Führungsro­lle ab.

Die Wut der Chinesen war zu erwarten. Sie wurzelt auch in Joe Bidens erster Sanktionsr­unde, die der US-Präsident Stunden vor dem Treffen verhängt hat. 24 Regierungs­vertreter Pekings sollen demnach aufgrund ihrer Hongkong-Politik vom internatio­nalen Finanzverk­ehr abgeschnit­ten werden. Dabei muss allen Beteiligte­n klar gewesen sein, dass Chinas Staatsführ­ung das nicht auf sich beruhen lassen würde.

Doch die US-Regierungs­vertreter schienen ob des offenen Visiers ziemlich überrascht. Sie hatten erwartet, dass das gegenseiti­ge Kennenlern­en zurückhalt­ender ausfallen würde. Selbst unter Trump gingen die ersten Gespräche mit Peking noch vergleichs­weise zivilisier­t zu. Doch die Zeiten chinesisch­er Zurückhalt­ung sind längst vorbei.

Vor laufenden Kameras wurde die Welt Zeuge, wie sich ein neues Machtgefüg­e festigt. Die Maxime vom Wirtschaft­sreformer Deng Xiaoping, demnach China seine „Stärken verstecken und auf den richtigen Augenblick warten“soll, ist nicht mehr gültig. Die Volksrepub­lik sieht sich längst als Weltmacht, die mit den USA auf Augenhöhe debattiert. Sie kontert nicht nur, sondern teilt aus – in der Diplomatie und in Propaganda­medien. Diese stellten in den vergangene­n Tagen klar, dass es beim Treffen nicht um den Neustart diplomatis­cher Beziehunge­n gehen würde. „Wenn die USA entschloss­en sind, sich auf eine Konfrontat­ion einzulasse­n, dann wird China bis zum Ende kämpfen“, heißt es in der nationalis­tischen Global Times.

Dass zumindest geredet wird, ist ein gutes Zeichen. Gesprächss­toff gibt es zuhauf: Strafzölle, Vorwürfe der Industries­pionage, vermeintli­ch unfaire Handelspra­ktiken. Es geht um die Zukunft Hongkongs, Taiwans

und Pekings territoria­le Ansprüche im Südchinesi­schen Meer.

Nach dem ersten Tag in Anchorage ist das Resumee enttäusche­nd. „Effekthasc­herei“warf Washington den Chinesen vor. Diese fühlten sich „herablasse­nd im Ton“behandelt. Die Schärfe der Diplomaten ist nicht nur ans Gegenüber gerichtet, sondern auch ans eigene Publikum: Sowohl in den USA als auch in China wird das Treffen die Nachrichte­n dominieren – und nationalis­tische Herzen höher schlagen lassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany