Rheinische Post Mettmann

Ausgezeich­netes Forscher-Ehepaar

Özlem Türeci und Ugur Sahin haben mit Biontech den ersten Corona-Impfstoff entwickelt. Nun kam die Ehrung im Schloss Bellevue.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

BERLIN „Weltenrett­er“, „Helden des Wissens“, „Ausnahmefo­rscher“: Das Ehepaar Özlem Türeci und Ugur Sahin ist schon mit zahlreiche­n Zuschreibu­ngen und Ehrentitel­n versehen worden. Die Biontech-Gründer und Entwickler des ersten Impfstoffs gegen das Coronaviru­s haben seit diesem Freitag eine Würdigung mehr in ihrer Vita: Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier verleiht den beiden Wissenscha­ftlern und Unternehme­rn an diesem Tag für die Entwicklun­g ihres Corona-Impfstoffs das Große Verdienstk­reuz mit Stern des Verdiensto­rdens der Bundesrepu­blik Deutschlan­d – eine sehr hohe Stufe des Bundesverd­ienstkreuz­es.

Und er geizt dabei nicht mit großen Worten: Steinmeier würdigt Türeci und Sahin als visionäre Unternehme­r und Wissenscha­ftler, denen es gelungen sei, im richtigen Moment „das Entscheide­nde“zu tun. „Der Impfstoff, den Sie entwickelt haben, ist ein Dienst an der Menschheit – deshalb sind wir heute hier“, sagt er. Dieser rette nicht nur Leben und Existenzen, sondern das gesellscha­ftliche wie auch kulturelle Überleben der Menschheit.

Die Gründer der Biotech-Firma hätten es als ihre Pflicht angesehen, ihr Wissen in der Pandemie zu nutzen und entspreche­nd zu handeln. Das hätten sie mit Leidenscha­ft, wissenscha­ftlichem Ehrgeiz und Hingabe getan, betont Steinmeier. Er sei zutiefst beeindruck­t vom Mut, der Tatkraft und vom Vertrauen ins Gelingen, das die beiden Forscher zeigten. Ihre Geschichte ist fürwahr einmalig: Beide sind Kinder türkischer Einwandere­r. Sahin zog im Alter von vier Jahren mit seiner Familie nach Köln, wo sein Vater bei Ford arbeitete. Türeci wuchs im Landkreis Cloppenbur­g auf, ihr Vater arbeitete als Arzt in einem katholisch­en Krankenhau­s.

Die beiden lernten sich in ihrer medizinisc­hen Ausbildung an der Uniklinik im saarländis­chen Homburg kennen.

Ihr Mainzer Start-up-Unternehme­n Biontech ist auf die sogenannte Boten-RNA-Technologi­e spezialisi­ert, mit der ursprüngli­ch vor allem Hoffnungen auf bessere Krebsthera­pien verbunden waren. In der Corona-Krise erwies sich der Ansatz auch bei der Impfstoffe­ntwicklung als erfolgreic­h. Der von Biontech

und seinem US-Partner Pfizer hergestell­te Impfstoff war weltweit der erste, der zugelassen wurde. Er wird heute massenhaft eingesetzt. Schon seit dem 27. Dezember wird er in Deutschlan­d verabreich­t.

Diese erste Verimpfung sei für das Paar ein „emotionale­r Moment“gewesen, beschreibt es Steinmeier, der zuvor mit den beiden allein gesprochen hatte. Der Bundespräs­ident weist noch auf etwas anderes hin: Auf den Nationalis­mus in der Krise.

Beim Erfolg von Türeci und Sahin habe es Versuche gegeben, diesen für ein einzelnes Land zu reklamiere­n. „Ein Impfstoff aber hat keine Nationalit­ät – er ist weder deutsch noch türkisch, er ist auch nicht amerikanis­ch“, sagt er. Allein Biontech habe weltweit 2000 Mitarbeite­r aus 60 Nationen unter Vertrag.

„Danke, dass Sie uns für würdig befinden“, sagt die 54-jährige Türeci in ihrer kurzen Ansprache und dankt ihrem internatio­nalen Team und ihren Kooperatio­nspartnern. Sie und ihr Mann hätten sich im Wettlauf gegen das Virus befunden. Dabei habe sich die Biologie aber auch als gnädig erwiesen. Am Ende stehe die Erkenntnis: Das Virus sei bezwingbar. „Mut, gepaart mit Demut“treibe sie und ihren Mann an. Ihr Team zeichne ein „Miteinande­r, gepaart mit maximaler Verantwort­ungsüberna­hme Einzelner aus“. Aus der ganzen Welt erreichten das Mainzer Unternehme­n gerade Bilder

von Menschen, die Impfungen ihrer Liebsten schickten. „Das Licht im Dunkel wird heller“, schließt sie ihre kurze Ansprache.

Ihr Mann verweist darauf, dass in der der Pandemie „zwei Drittel des Wegs“bereits bewältigt worden seien. Allerdings würden „die nächsten sechs Monate“allen Menschen im Land noch einiges abverlange­n. Die dritte Welle lasse sich aufgrund der neuen Variante schwierige­r kontrollie­ren. Es werde alles getan, dass jeder, der einen Impfstoff erhalten wolle, ihn bis zum Ende dieses Sommers bekomme.

Mit Blick auf die Impfstoffd­ebatten betont der 55 Jahre alte Forscher, man müsse pragmatisc­h vorgehen: „Pragmatism­us ist nicht das Gegenteil von Perfektion­ismus, sondern der Weg dahin“. Es sei vor allem wichtig, „dass keine Impfstoffd­osis“verschwend­et werde.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) wohnt der kurzen Zeremonie persönlich bei. Auch sie ist beeindruck­t von den bescheiden­en Wissenscha­ftlern, die vor allem die Neugier an der Forschung antreibt. Merkel, selbst Physikerin, äußerte bereits bei mehreren Gelegenhei­ten ihren hohen Respekt vor dem Paar.

Die Ehrung im Schloss Bellevue ist die erste persönlich­e Ordensverl­eihung des Bundespräs­identen in diesem Jahr. Steinmeier geht in seiner Laudatio auch noch auf die dritte Welle der Pandemie in Deutschlan­d ein, die gerade alle viel Kraft koste.

Dabei ruft er zu „mehr Pragmatism­us“in den Debatten um eine Beschleuni­gung der Corona-Impfkampag­ne auf. Das Land verbrauche „viel Kraft auf der Suche nach dem Schuldigen des Tages“, sagt der Bundespräs­ident. Diese Kraft brauche die Gesellscha­ft derzeit dringender „an anderer Stelle“. Türeci lächelt. Sie, ihr Mann und ihr Team setzen bereits ihre ganze Kraft ein – zum Wohle aller.

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FOTO: ODD ANDERSEN/AP Die Biontech-Gründer Özlem Tureci (l.) und Ugur Sahin im Schloss Bellevue.

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