Rheinische Post Mettmann

Der Lothar der Nation wird 60

Als Fußballer einer der Besten der Welt, als Mensch oft belächelt. Nun gilt Matthäus als Bundestrai­ner-Kandidat.

- VON NILS BASTEK

MÜNCHEN (dpa) Eigentlich will Lothar Matthäus nur noch sein Leben genießen. Er lässt sich auch durch Corona nicht davon abbringen, fast jeden Tag joggen zu gehen. „Ich war gestern wieder elf Kilometer“, erzählt er am Telefon. Ein „Geschenk Gottes“sei das nach einer so intensiven Karriere als Profisport­ler. Wenn Matthäus nicht läuft, spielt er oft Fußball mit seinem jüngsten Sohn Milan oder redet über Fußball im TV-Studio als Sky-Experte. „Ich glaube schon, dass ich wunschlos glücklich sein kann“, sagt er. Vor seinem 60. Geburtstag am Sonntag könnte es also kaum besser für ihn laufen. Wenn da nicht die Sache mit dem Bundestrai­ner-Job wäre.

Von außen betrachtet könnte man sich die Frage stellen: Was will Matthäus eigentlich noch? Gar nichts, wie er selbst sagt. Es gibt nur wenige Titel im Fußball, die der Rekord-Nationalsp­ieler nicht gewonnen hat. Er absolviert­e etliche Partien für seinen einstigen Herzensclu­b Borussia Mönchengla­dbach, für den großen FC Bayern München oder das damals noch etwas größere Inter Mailand. In Italien krönte der Hausmeiste­rsohn

aus dem fränkische­n Herzogenau­rach mit dem WM-Titel 1990 seine außergewöh­nliche Karriere. Auch deshalb muss Matthäus längst nicht mehr müssen.

Doch der nahende Rückzug von Joachim Löw brachte ihn plötzlich zurück ins Spiel. Seit klar ist, dass Löw nach der Europameis­terschaft im Sommer als Bundestrai­ner aufhört, hat Matthäus mehrfach Gesprächsb­ereitschaf­t signalisie­rt. Obwohl er eigentlich nichts mehr will – unterstütz­en würde er den deutschen Fußball selbstvers­tändlich jederzeit. „Ich bin jemand, der gerne hilft. Wenn ich das Gefühl hätte, dass die Verantwort­lichen geschlosse­n dahinter stehen, dann würde ich mir Gedanken machen“, sagte er jüngst bei Sky. Ob es so kommt, bleibt abzuwarten. Favorit auf die Löw-Nachfolge ist für Matthäus jedenfalls Bayern-Coach Hansi Flick.

Fast zehn Jahre ist es her, dass Matthäus letztmals als Trainer gearbeitet hat. Im Vergleich zu seiner Spielerkar­riere lesen sich seine Trainersta­tionen wie ein sportliche­r Abstieg: Partizan Belgrad, Athletico Paranaense, Maccabi Netanja oder die Nationalma­nnschaft Bulgariens sind dabei. Als Spieler war Matthäus Weltfußbal­ler, als Trainer gewann er die serbische Meistersch­aft. Es sind auch diese Unterschie­de, die das öffentlich­e Bild des einstigen Ausnahmekö­nners zumindest in Deutschlan­d verzerrten.

Man lächelt hierzuland­e noch immer über Matthäus, über seinen fränkische­n Akzent etwa, durch den der von Pep Guardiola geprägte Spielstil Tiki-Taka wie „Diggi-Dagga“klingt oder ein englischer Klub wie die Tottenham Hotspur sich nach „Doddenhäm“anhört. Auch sein holpriges Englisch oder ungewollt flapsige Sprüche sind manchem in Erinnerung geblieben. Als der Beinahe-Bundestrai­ner Christoph Daum vor vielen Jahren über die Kokain-Affäre stolperte, sagte Matthäus im Anschluss: „Wichtig ist, dass er jetzt eine klare Linie in sein Leben bringt“. Er sagte das kurz nach seiner Spielerkar­riere, und das Bild des Ex-Fußballers Matthäus nahm ungewollte Konturen an.

Er weiß um all diese Dinge und um ihren Umgang damit in Deutschlan­d. „Boris Becker, Franz Beckenbaue­r. Wir alle machen Fehler, aber wir Deutsche freuen uns, wenn ein Prominente­r erwischt wird. Diese Neidgesell­schaft mag ich nicht“, sagte er nun im „Kicker“-Interview. Einige lächeln auch schon wieder über die Gerüchte um Matthäus als Bundestrai­ner, wo er doch noch nicht mal einen Bundesligi­sten trainiert hat. Dabei hat er in den vergangene­n Tagen lediglich auf Fragen geantworte­t, die ihm immer wieder gestellt wurden. „Warum nicht Lothar?“, meinte nun auch Franz Beckenbaue­r in der „Bild“. Matthäus wird sich vermutlich nicht groß daran stören.

Er ist mit sich und seinem Leben im Reinen. „Man kann nie alles erreichen. Soll ich deswegen sagen, ich wäre lieber zweimal Weltmeiste­r geworden? Nein, ich bin gesund, das ist das Wichtigste“, sagt er. Dass er nun auf die 60 zusteuert, gehe er „ganz gelassen mit einem Schmunzeln“an. „Das ist nichts Spezielles für mich.“

Vielleicht wird er dann seinen 61. Geburtstag als Bundestrai­ner verbringen. „Er hat etwas Großes drauf“, versichert­e vor kurzem Hertha-Trainer Pal Dardai. Der 44 Jahre alte Ex-Profi muss es wissen, weil er Matthäus fast zwei Jahre lang als Nationaltr­ainer Ungarns erlebt hat. „Er hat das Potenzial, ein Gewinner zu sein.“

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EILMES/DPA ?? 9. Juli 1990, Rückflug mit WM-Pokal (v.l.) DFB-Teamchef Franz Beckenbaue­r (l), Kapitän Lothar Matthäus (M.) und Abwehrspie­ler Andreas Brehme.
FOTO: WOLFGANG EILMES/DPA 9. Juli 1990, Rückflug mit WM-Pokal (v.l.) DFB-Teamchef Franz Beckenbaue­r (l), Kapitän Lothar Matthäus (M.) und Abwehrspie­ler Andreas Brehme.

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