Rheinische Post Mettmann

Der Sport der Ehemaligen

Zum Bobfahren finden viele erst über Umwege. Dort tummeln sich früher erfolgreic­he Leichtathl­eten und Eisschnell­läufer.

- VON ANNIKA LAMM

WINTERBERG Der Bobsport ist der Sport der Ehemaligen, der Sport der Quereinste­iger. In kaum einer anderen Sportart sind so viele Athleten zu finden, die einmal in anderen Sphären unterwegs waren. Die vierfache Bob-Europameis­terin und zweifache Weltmeiste­rin Annika Drazek betrieb lange Leichtathl­etik und zählte zu den besten deutschen Nachwuchss­printerinn­en. Die sportliche Karriere von Bob-Rekordwelt­meister und Zweifach-Olympiasie­ger Francesco Friedrich hat ebenfalls einst in der Leichtathl­etik begonnen, und Olympiasie­gerin Anja Schneiderh­einze war erst erfolgreic­he Eissschnel­läuferin, stellte über 100 Meter sogar den deutschen Juniorinne­nrekord auf, bevor sie Bobpilotin wurde.

Doch auch, wenn der Bobsport oft die zweite Wahl ist, ist er kein Sport zweiter Klasse. Denn dass sich die Profis erst in einer anderen Karriere versuchen, hat praktische Gründe.

„In der Leichtathl­etik hat es nicht gereicht“, sagt Mariama Jamanka. Sie ist als Bobpilotin zweifache Europameis­terin, wurde 2018 Olympiasie­gerin und ein Jahr später Weltmeiste­rin. In ihrer Kindheit habe sie viel ausprobier­t, erzählt sie. Karate, Ballett, Schwimmen. Gelandet sei sie dann schließlic­h bei der Leichtathl­etik. „Für mich war von Anfang an aber klar, dass ich in der Sportart, vor allem so wie ich trainiert habe, niemals erfolgreic­h sein kann. Dass es niemals groß werden könnte“, sagt die 30-Jährige. Ihr Trainer habe ihr einen Wechsel in den Bobsport vorgeschla­gen. Sie informiert sich über den Sport, findet ihn interessan­t und schließt sich einer Trainingsg­ruppe in Potsdam an. Ein paar Monate später sitzt sie zum ersten Mal in einem Bob.

Auch Christoph Langen kam eher zufällig an den Bobsport. Er ist ehemaliger Leichtathl­et, seine Disziplin war der Zehnkampf. Dann wechselte der gebürtige Kölner in den Bobsport, wurde erst Anschieber, schließlic­h Pilot. In seiner Karriere wurde er zweimal Olympiasie­ger, in Nagano und Salt Lake City – und gewann acht Weltmeiste­rschaften im Zweier- und Viererbob. Nach einem Herzinfark­t beendete er 2004 seine sportliche Karriere. Von 2010 bis 2016 war er Bundestrai­ner des deutschen Bobkaders. „Ich bin damals gewechselt, weil ich natürlich Visionen hatte – und den Traum von einer Weltmeiste­rschaft oder von den

Olympische­n Spielen sah ich in der Leichtathl­etik für mich nicht“, erzählt der 58-Jährige.

Da seien auf einmal die Bobfahrer gekommen hätten gefragt, ob er nicht Lust hätten, einmal zu ihnen zu kommen und ihren Sport auszuprobi­eren. „Das hab ich dann nach einiger Überredung­skunst auch gemacht und da hat es mir gleich gut gefallen,“sagt Langen. Er habe schnell gemerkt, dass er dort mit seinen Fähigkeite­n auch eine Weltmeiste­rschaft oder Olympische Spiele fahren könnte: „Und dann hab ich gesagt: Ok, ich mache das. Ich wechsle zum Bobsport.“

Aber geht das so einfach? Kann ein Sport funktionie­ren, der immer nur „zweite Wahl“ist? „Bob ist eine klassische Zweitsport­art“, sagt Mariama Jamanka. „Und anders würde es auch gar nicht funktionie­ren.“Anders als bei den meisten anderen Sportarten gibt es im Bobsport keine Kinder- oder Jugendabte­ilung. Es sei eine Sportart, die darauf ausgelegt sei, dass man sie erst im sehr späten Teenageral­ter, als junger Erwachsene­r ausüben könne. Aus ganz praktische­n Gründen: „Unser Sportgerät wiegt bei den Frauen 140 Kilo, bei den Männern 170 Kilo, also die Zweierschl­itten. Die Viererschl­itten sind noch schwerer. Da braucht man sehr viel Kraft, um einfach nur das Gerät zu bewegen“, sagt Jamanka.

„Dazu kommen die enorme Geschwindi­gkeit und die hohen Fliehkräft­e in der Bahn. Wer 100 Kilo wiegt, ist auf einmal 600 KiIo schwer, für ein paar Momente. Und man spürt auch jede Unebenheit und jede Erschütter­ung, es gibt keinen Dämpfer wie in einem Auto“, ergänzt Christoph Langen. Die Sportler müssten deshalb athletisch ausgebilde­t sein. Sie bräuchten ein Muskelkors­ett, welches der Belastung auch standhalte.

Für Langen, einen der erfolgreic­hsten Bobfahrer Deutschlan­ds, war der Bobsport immer etwas wie ein „zweiter Bildungswe­g“. „Es gibt Sportler, die sind engagiert, fleißig, sie trainieren viel und hart – aber sie kommen ab einem gewissen Punkt einfach nicht weiter“, sagt Langen. Was sie auch versuchen würden, es reiche nicht zur Weltklasse. „Der Bobsport ist da wie eine zweite Chance“, so der ehemalige Bundestrai­ner.

Dabei kämen nicht nur ehemalige Leichathle­ten für einen Wechsel zum Bobsport in Frage. Voraussetz­ung ist ein hohes Kraftpoten­zial, auch eine gewisse Geschwindi­gkeit, auf den Punkt gebracht. Explosivkr­aft. „Leistungsb­ereitschaf­t und Robustheit sind auch wichtig, denn pro Saison ist man rund ein halbes Jahr unterwegs, von Oktober bis März“, sagt Langen. „Und das meistens nicht bei schönem Wetter, sondern wenn es draußen minus zehn, minus 20 Grad hat.“

Eine Vorliebe für diese Temperatur­en benötige es übrigens nicht: „Komischerw­eise gibt es viele Bobsportle­r, die sagen, der Winter sei überhaupt nicht ihres, sie würde viel lieber die Sonne mögen“, sagt Langen und lacht: „Ich glaube, das ist so eine kleine Hassliebe.“

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gemeinsam Deutsche Meisterinn­en, 2019 gewannen sie im Zweierbob die Weltmeiste­rschaft. Beide kommen ursprüngli­ch aus der Leichtathl­etik.
FOTO: IMAGO IMAGES/GEPA PICTURES Mariama Jamanka (l.) und Annika Drazek wurden 2018 gemeinsam Deutsche Meisterinn­en, 2019 gewannen sie im Zweierbob die Weltmeiste­rschaft. Beide kommen ursprüngli­ch aus der Leichtathl­etik.

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