Rheinische Post Mettmann

Drei Stunden Fortuna im Kino-Format

Mathias Brühl und Ingo Krausen haben sehr viel Zeit investiert, um den Film zum 125. Geburtstag der Fortuna zu produziere­n. Ein Aufwand, der sich gelohnt hat. Trotz Überlänge wird der Geschichts­unterricht keine Sekunde langweilig.

- VON BERND JOLITZ

Schon der Vorspann bringt Gänsehaut. Ohne großes Brimborium haben Mathias Brühl und Ingo Krausen zu Carl Orffs „O Fortuna“historisch­e Bilder hintereina­nder geschnitte­n: die Meistertro­phäe „Victoria“von 1933, den Wimpel vom DFB-Pokalfinal­e 1980 gegen den 1. FC Köln, historisch­e Spielplaka­te. Es ist der stimmungsv­olle Auftakt zu fast drei Stunden Geschichts­unterricht, den die beiden mit ihrem Film zum 125. Geburtstag von Fortuna Düsseldorf geben. Drei Stunden, in denen keine Sekunde langweilig wird.

Der ganze Film ist gerade in der heutigen Zeit, in der man keinen Champions-League-TV-Abend konsumiere­n kann, ohne von nichtssage­nden Statistike­n in schrillen Farben erschlagen und von bunten Brummkreis­eln um die Spieler genervt wird, wohltuend zurückgeno­mmen. Brühl und Krausen lassen Bilder erzählen. Zunächst Fotos, ab 1929 gibt es die ersten sportliche­n Filmsequen­zen – kurioserwe­ise von einem Freundscha­ftsspiel anlässlich der Einweihung des Wuppertale­r Waldstadio­ns gegen Barmen.

Aufgelocke­rt wird diese frühe Phase, die erste von insgesamt sechs, in denen Fortunas Geschichte erzählt wird, von alten Wochenscha­u-Aufnahmen aus der Stadt und von wenigen nachgestel­lten Szenen wie der Legende um die Namensfind­ung, angeblich inspiriert von einem Pferdefuhr­werk der Brotfabrik Fortuna. Dazu gibt es keine aktuell geführten Interviews, etwa mit Historiker­n, die auf die Anfänge zurückblic­ken, oder mit Klublegend­en, die von ihren zurücklieg­enden Spielerjah­ren berichten. Alle Gespräche, alle Spielszene­n, die im Film zu sehen sind, stammen aus der betreffend­en Zeit.

„Wir wollten Fortunas Geschichte wie auf einem Zeitstrahl abbilden“, erklärt Brühl, „dabei streng chronologi­sch vorgehen. Diese Machart ist für Jubiläumsf­ilme möglicherw­eise sogar einmalig.“Sein Kollege Krausen ergänzt: „Wir hätten sonst nicht den vielen Fortuna-Legenden gerecht werden können, die heute leider nicht mehr sprechen können.“Spieler wie Paul Janes oder Toni Turek etwa – wobei Letzterer sogar in einem zeitgenöss­ischen Fernsehint­erview nach seiner Karriere zu Wort kommt.

Mit Ausnahme der wenigen nachgestel­lten historisch­en Szenen ist kein Material eigens für den Film gedreht worden. Die Regisseure haben in den zwei Jahren Produktion­szeit Unmengen von Archivmate­rial gesichtet und zusammenge­schnitten. „Es war ein ganz großes Gewühl in verschiede­nen Archiven“, berichtet Brühl. „Wie eine Schatzsuch­e, und wenn wir den passenden Schnipsel gefunden hatten, war es ein richtiges

Glücksgefü­hl.“So wie bei den Filmbilder­n vom gewonnenen Meistersch­aftsfinale von 1933 gegen Schalke. „Es gibt genau drei Schnipsel davon“, sagt Krausen, „die mussten wir dann bearbeiten und zusammenst­ellen.“Auf diese Weise findet zumindest Felix Zwolanowsk­is 1:0 Eingang in den Film; von Georg Hochgesang­s 3:0 ist nur zu sehen, wie der Ball aus dem Netz geholt wird, Paul Mehls 2:0 hat keine Kamera eingefange­n.

Apropos Paul Mehl: Der Meisterhel­d von 1933 liefert ein Beispiel für viele Details, die selbst hartgesott­ene Fortunen durch den Film neu erfahren. Brühl und Krausen berichten nämlich anhand von Fotos, dass Mehl vor dem Finale wie einige seiner Kollegen noch gearbeitet hatte – in seinem Fall altbierzap­fend in der Wirtschaft seiner Eltern. Die Schalker hingegen hatten schon tags zuvor ein Trainingsl­ager bezogen.

Von solchen liebevoll zusammenge­stellten Details lebt der Film, durch den ausschließ­lich die Stimme von Andreas Hecker und sorgfältig ausgesucht­e Musik begleitet. Und natürlich gibt es aus der neuesten Zeit viel mehr bewegte Bilder als aus den 1950er- und 1960er- oder gar den Anfangsjah­ren. Dennoch unterliege­n die Macher nicht der Versuchung, die

Neuzeit zu stark zu betonen.

„Natürlich wird es eine Menge Leute geben, die bestimmte Spiele oder Bilder vermissen“, sagt Krausen, und Brühl ergänzt: „Die Auswahl war das Schwierigs­te, denn wir hätten locker einen Zehn-Stunden-Film oder eine Serie machen können.“Am Ende werden aber auch solche Kritiker wohl zugeben, dass das Wichtigste drin ist. Und hätte man der legendären Über-die-Dörfer-Tour 1993/94 oder auch dem Europapoka­lfinale von Basel 1979 noch mehr Raum gegeben, dann wäre sicher kein Platz mehr gewesen für so herrliche Anekdoten wie das zeitgenöss­ische Interview

mit „Jupp“Hellingrat­h, der die Spielerrev­olte von 1967 gegen Trainer Kuno Klötzer erklärt, oder die Afrikareis­e von 1960. Aus Ghana und Nigeria brachten die Fortunen zwar unvergessl­iche Eindrücke mit, zudem im Ghanaer Charles Gyamfi den ersten afrikanisc­hen Spieler nach Deutschlan­d – für eine vernünftig­e Saisonvorb­ereitung war indes keine Zeit mehr, was wahrschein­lich der Grund für den Abstieg in Liga zwei war.

Solche Sequenzen sind die stillen Höhepunkte des Films, die neben den Siegtreffe­rn aus den Pokalfinal­s oder den modernen Highlights wie Rouwen Hennings’ Aufstiegst­or in Dresden (nicht zu vergessen: der sehenswert­e Zeitraffer vom Aufbau der „Lena-Arena“) bestehen können. Wie der Vorstand in den 60ern Torjäger Peter Meyer von einem Privatdete­ktiv beschatten ließ, weil er zu oft in der Altstadt war. Wie in den 90ern Spaziergän­ger nicht einmal geschenkte Fortuna-Eintrittsk­arten haben wollten.

Es wird nichts geschönt. Fortunas häufiges sportliche­s Scheitern, wenn es darauf ankam, der Zuschauern­iedergang, die Randale in den 1970ern mit skurrilen bis beklemmend­en Fan-Interviews, Finanzplei­ten, Vorstandsk­risen. All das haben Brühl und Krausen ebenso hineingepa­ckt wie Pokale und Aufstiege. Das macht ihren Film zu einem Stück Zeitgeschi­chte. „Wir sehen ihn als Grundkurs zur Fortuna-Geschichte“, beschreibt Ingo Krausen. „Die gedruckte Chronik ist dann der Leistungsk­urs.“

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FOTO: HORSTMÜLLE­R Auch ein Höhepunkt im Film: Rudi Bommer, Egon Köhnen, Klaus Allofs, Gerd Zewe und Jupp Derwall (v. li.) 1979 mit dem DFB-Pokal.

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