Rheinische Post Mettmann

„Es erfüllt mich mit Stolz, denn ich kenne das Schicksal dieser Bäume“

In Frankreich werden die ersten Bäume zum Wiederaufb­au des niedergebr­annten Dachstuhls der Pariser Kathedrale geschlagen. Es ist eine Aufgabe von nationaler Tragweite, doch es regt sich auch Widerstand.

- VON KNUT KROHN

PARIS Viele der mächtigen Eichen im Wald von Millançay wuchsen bereits, als sich Napoleon 1804 in Paris selbst zum Kaiser von Frankreich krönte. Einige der Bäume sind mehrere Hundert Jahre alt. Doch nun wurden sechs dieser Riesen gefällt, um allerdings im fernen Paris auf gewisse Weise weiterzule­ben. „Ich fühle keinen Schmerz“, sagt Bertrand Vallier, als er einen der Stämme am Boden sieht. „Es erfüllt mich sogar mit Stolz, denn ich kenne das Schicksal dieser Bäume. Es ist eine Ehre für die Holzfäller und den Besitzer des Waldes, für alle hier in der Gegend,“erklärte der Mann, der diese urwüchsige Waldlandsc­haft unweit von Orléans verwaltet.

Bestimmt sind die Eichen für den Wiederaufb­au der Pariser Kathedrale Notre-Dame. Sie werden Teil des markanten Vierungstu­rms, der bei dem verheerend­en Großbrand im April 2019 im Flammenmee­r versank, mit Getöse ins Kirchensch­iff stürzte und Frankreich in ein nationales Trauma stürzte. Allein für die Konstrukti­on dieses hölzernen Dachreiter­s sind viele Hundert Eichen notwendig. Im gesamten Dachstuhl sollen insgesamt rund 2000 verbaut werden.

Über Monate sind die Mitarbeite­r der Nationalen Forstbehör­de durch die Wälder Frankreich­s gezogen, um nach geeigneten Bäumen zu suchen. Die Kriterien sind streng: Das Holz muss einen Durchmesse­r zwischen 50 Zentimeter und einem Meter haben, gerade gewachsen und mindestens acht Meter hoch sein. Für das Fällen des ersten Baumes reisten sogar die französisc­he Kulturmini­sterin Roselyne Bachelot und ihr Amtskolleg­e für Landwirtsc­haft, Julien Denormandi­e, in den Wald von Bercé in der Region Pays de Loire, nur wenige Kilometer vom Wald von Millançay entfernt.

Der „Baum Nummer Eins“ist ein außergewöh­nlich stattliche­s Exemplar

seiner Art, mit mehr als einem Meter Durchmesse­r und einer Höhe von mehr als 20 Metern. Dieser Stamm, weit älter als 200 Jahre, wird einer der sechs langen Balken sein, die den Sockel des Vierungstu­rmes bilden und am Ende die gesamte Konstrukti­on tragen werden. Nach

Holzfäller im Wald von Millançay

dem Inferno waren Architekte­n aus der ganzen Welt mit ihren Ideen in Paris vorstellig geworden, wie das Dach von Notre-Dame in Zukunft aussehen könnte. Wagemutige Entwürfe von Glasgewölb­en machten die Runde, eine Lichtkuppe­l sollte entstehen oder sogar ein Schwimmbad in schwindeln­der Höhe. All diese Pläne fanden bei den Verantwort­lichen allerdings keine Gnade, und sie entschiede­n, dass das Dach nach dem Brand aussehen sollte wie vor dem Brand. Dazu gehörte auch, dass der beeindruck­ende Dachstuhl, der vor der Katastroph­e voller Ehrfurcht „der Wald“genannt wurde, wieder aus Eichenholz sein sollte.

„Zum Glück haben wir alle Aufzeichnu­ngen über die Arbeit von Eugène Viollet-le-Duc“, erklärt Rémi Fromont, einer der zahlreiche­n Architekte­n, die am Wiederaufb­au von Notre-Dame beteiligt sind. Der Baumeister Viollet-le-Duc hatte die umfassende Sanierung der Kathedrale im 19. Jahrhunder­t geleitet. Zusammen mit seinen Plänen, unzähligen Fotos und 3D-Modellen wurde genauesten­s berechnet, wie viele Eichen benötigt werden. „Jeder für

Notre-Dame gefällte Baum bekommt eine eigene Nummer“, erklärt Sylvain Jannaire, Mitarbeite­r der Nationalen Forstbehör­de. „Diese Nummer korrespond­iert mit der entspreche­nden Nummer auf den

Bauplänen.“So ist sofort erkennbar, wo der gefällte Baum eines Tages im Dachstuhl von Notre-Dame seinen Platz finden wird.

Die Zahl von 2000 Eichen für den Wiederaufb­au scheint enorm, doch ein Mangel an Bäumen herrscht nicht. Schwierige­r war es, die Regionen auszusuche­n, aus denen die Eichen geholt werden. Fast jede Gemeinde des Landes wollte sich an dieser einzigarti­gen Aufgabe von nationaler Tragweite beteiligen. Auch viele private Waldbesitz­er wollte unbedingt Bäume spenden.

„Als Symbol war es auf jeden Fall notwendig, das ganze Land abzudecken, was nicht so einfach war, weil im Süden Frankreich­s oder auf Korsika nur wenige Eichen wachsen“, sagt Philippe Gourmain, der die Suche nach tauglichen Bäumen im Auftrag der Nationalen Waldbehörd­e koordinier­t.

Aber natürlich regt sich auch Kritik an dem Abholzen der Eichen. Umweltschü­tzer sprechen sogar von einem „Ökozid“und haben sich mit einer Petition an die Umweltmini­sterin Barbara Pompili gewandt. Warum werde der zerstörte Dachstuhl – wie bei den Kathedrale­n in Nantes oder Reims – nicht aus Beton oder Stahl nachgebaut, lautet eine Frage? Die Kommission für den Wiederaufb­au der Kathedrale habe sich nach reiflicher Überlegung für die identische Rekonstruk­tion entschiede­n, heißt es vonseiten der Verantwort­lichen. Zudem sei es ja auch eine Art Ehre für die Bäume, die nächsten 1000 Jahre das Dach von NotreDame zu tragen.

Wesentlich pragmatisc­her argumentie­ren die Forstwirte. Sie betonen, dass für Notre-Dame nur 0,1 Prozent der jährlich in Frankreich abgeholzte­n Eichen verwendet würden, also eine verschwind­end geringe Menge. Hinter der Hand sprechen sie allerdings auch etwas spöttisch von einem „Idefix-Reflex“der selbsterna­nnten Eichenschü­tzer. In den Asterix-Comics weint der kleine Hunde Idefix jedes Mal erbärmlich, wenn sein etwas ungeschick­tes Herrchen Obelix aus Versehen einen Baum umwirft.

Eine kleine, vielleicht überlebens­wichtige Änderung wird es bei der kühnen Konstrukti­on aus 2000 Eichen allerdings geben. Damit sich ein möglicher Brand in Zukunft nicht mehr rasend schnell ausbreiten kann, werden im Dachstuhl der Kathedrale von Notre-Dame zur Sicherheit Feuertüren eingebaut.

Bertrand Vallier

 ?? FOTO: THIBAULT CAMUS/AP/DPA ?? Im ehemaligen königliche­n Wald von Bercé in der Region Pays de la Loire werden vier 200 Jahre alte Eichen gefällt, um den Turm der Kathedrale Notre-Dame de Paris zu rekonstrui­eren.
FOTO: THIBAULT CAMUS/AP/DPA Im ehemaligen königliche­n Wald von Bercé in der Region Pays de la Loire werden vier 200 Jahre alte Eichen gefällt, um den Turm der Kathedrale Notre-Dame de Paris zu rekonstrui­eren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany