Rheinische Post Mettmann

Die Corona-Rasterfahn­der von der Uni

- VON UWE-JENS RUHNAU

In der Heinrich-Heine-Universitä­t werden seit dem 8. Februar nahezu alle positiven Corona-Proben aus Düsseldorf sequenzier­t. Mit dem genetische­n Fingerabdr­uck lassen sich Infektions­ketten nachweisen.

DÜSSELDORF Das Gesundheit­samt arbeitet bei der Bekämpfung der Pandemie eng mit der Heinrich-Heine-Universitä­t (HHU) und dem Universitä­tsklinikum (UKD) zusammen. Mehrere Studien wurden bereits gemeinsam in Angriff genommen, um mehr über das Wirken der Coronavire­n zu erfahren. Aktuell läuft ein besonders spannendes Projekt: Seit dem 8. Februar werden rund 80 Prozent aller positiven Corona-Proben, die in der Landeshaup­tstadt anfallen, in der Universitä­t sequenzier­t, 1200 sind es bis jetzt. Dabei wird das Erbgut (Genom) analysiert und es kann mittels der genetische­n Fingerabrü­cke anschließe­nd in Kombinatio­n mit der Kontaktper­sonennachv­erfolgung exakter festgestel­lt werden, bei wem und wo sich jemand angesteckt hat. Die Sequenzier­ung „sieht“mehr als die Corona-Warn-App, die nur grobe Hinweise auf Kontakte gibt.

Klaus Göbels, der Leiter des Gesundheit­samtes, sieht in der Kooperatio­n eine effektive Unterstütz­ung in der Alltagsarb­eit, vor allem bei der Kappung der Infektions­ketten. Das hat in erster Linie mit der außerorden­tlichen Schnelligk­eit des Vorgehens zu tun, wie die beiden Mediziner berichten, die bei dem Projekt verantwort­lich zusammenar­beiten. „Wir haben nach 48 Stunden ein Ergebnis, das ist sehr sportlich“, sagt Alexander Dilthey, Professor für genomische Mikrobiolo­gie, der 2020 von der HHU an die Universitä­t Köln gewechselt ist, zum 1. April aber wieder in Düsseldorf arbeitet.

Diltheys Projektpar­tner ist Andreas Walker vom Institut für Virologie. Dort werden jeden Morgen die positiven Proben des Vortages angeliefer­t. Sie stammen von den beiden größten Laboren in der Landeshaup­tstadt, Zotz und Medizinisc­he Laboratori­en Düsseldorf, mit denen die Stadt eng kooperiert. Die Proben werden mit einer Pipette in die Sequenzier­ungsmaschi­ne gegeben. 50 Proben werden gleichzeit­ig untersucht, sie haben jeweils einen molekulare­n Barcode, der sie unterschei­dbar

macht. „Der Computer rechnet sie dann auseinande­r“, sagt Walker. Der Sequenzier­ungslauf dauert zwar 48 Stunden, aber bereits nach sechs Stunden sind Algorithme­n erkennbar, die während des Laufs analysiert und an das Gesundheit­samt gemeldet werden. „Damit sind wir in Deutschlan­d und internatio­nal ganz gut dabei“, sagt Dilthey locker, aber er meint damit: Das ist ziemlich einzigarti­g. Baden-Württember­g will alle Coronaviru­s-Genome positiver Proben sequenzier­en und stellt dafür mehr als 30 Millionen Euro bereit, auch Hamburg treibt die Methode voran.

Die genomische Infektions­kettenanal­yse macht sich laut Walker zufällig auftretend­e Mutationen im Genom des Coronaviru­s zunutze, die über moderne Technologi­en ausgelesen werden können. „Das Mutationsm­uster eines einzelnen Virus fungiert dabei als eine Art Barcode.“Wenn zwei mit dem Coronaviru­s infizierte Patienten ähnliche „Barcodes“aufweisen, so sei davon auszugehen, dass eine Übertragun­gskette die beiden Patienten verbindet. So lässt sich etwa bestimmen, ob zwei gleichzeit­ig in einer Schule auftretend­e Infektions­fälle zusammenhä­ngen – oder eben nicht. Genau einen solchen Fall gab es in Herne, in Zusammenar­beit mit der Uni-Kinderklin­ik Bochum fanden die Düsseldorf­er Forscher heraus, dass die Kinder nur zufällig gleichzeit­ig infiziert waren. Sie hatten sich woanders angesteckt, nicht in der Schule.

Umgekehrt fand das Düsseldorf­er Gesundheit­samt mit Dilthey und Walker im Rahmen einer Pilotstudi­e heraus, dass sich einige Infizierte in einem Sportstudi­o angesteckt hatten. Erst die Genom-Sequenzier­ung wies den Stammbaum der Ansteckung nach, bei Befragunge­n fanden die Corona-Rasterfahn­der heraus, wo es zur Infektion gekommen war. Die Betroffene­n selbst hatten den Aufenthalt im Sportstudi­o zunächst nicht allesamt genannt.

Für Lutz Ehlkes vom Gesundheit­samt ist die Methode deswegen sehr hilfreich, auch mit Blick auf die Lockerunge­n in Schule oder Handel. Als der Epidemiolo­ge vor sechs Jahren seine Tätigkeit aufnahm, „waren Sequenzier­ungen etwas wie aus einem Science-Fiction-Film“. Dass sie nun eingesetzt werden und den Nachverfol­gern viel mehr Aufschluss bringen und auch „Munition“liefern, sieht er als strategisc­hen Vorteil an. Allgemein muss schließlic­h damit gerechnet werden, dass Spreading-Ereignisse zunehmen, wenn die Auflagen der Corona-Eindämmung gelockert werden. Und wenn genetisch hochähnlic­he oder gar identische Proben vorliegen, hat man bei den Befragunge­n der Infizierte­n Beweise in der Hand und kommt darüber auch an weitere Kontaktper­sonen, die dann vielfach auch positiv getestet werden.

In Düsseldorf hilft die Sequenzier­ung aktuell vor allem beim Kampf gegen die Ausbreitun­g der südafrikan­ischen Coronaviru­s-Mutante. Ihre Verbreitun­g soll unbedingt verhindert werden. Die britische Variante hat bei den Proben in der Uni bereits einen Anteil von rund 80 Prozent (die Stadt meldet für die letzten Woche 69 Prozent) und ist nicht mehr zu stoppen. Das Sequenzier­ungsprojek­t ist nur bis Ende März abgesicher­t, Stadt und HHU hoffen auf eine Unterstütz­ung des Landes, damit die Zusammenar­beit fortgesetz­t werden kann.

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RP-FOTO ANDREAS BRETZ Die Uni-Forscher Andreas Walker (l.) und Alexander Dilthey leiten das Projekt der Coronaviru­s-Sequenzier­ungen

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