„Es gibt eine besondere Ebene des Verstehens“
Campino hielt die Laudatio auf Wim Wenders – seinen Freund und „Düsseldorfer des Jahres“. Er sei eine Legende und ein Reisender.
DÜSSELDORF Wie gerne hätte Campino diesen Anlass mit dem Preisträger und seiner Frau Donata zusammen gefeiert: In der Kategorie Lebenswerk hat die Rheinische Post Mediengruppe den weltberühmten Filmregisseur und Fotografen Wim Wenders als „Düsseldorfer des Jahres“ausgezeichnet. „Es ist traurig, wie sehr die Corona-Pandemie die Gesellschaft im Griff hat“, bedauert der Sänger der Toten Hosen, der auf dem Weg zum Proberaum immer am Wim-Wenders-Gymnasium in Oberbilk vorbeifährt – wie er zu dem feierlichen Anlass lächelnd erzählt.
Der Preis wurde Wim Wenders in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin kontaktlos verliehen, Campinos Laudatio auf seinen Freund wurde in Düsseldorf auf dem Areal Böhler aufgezeichnet. Wenders gehöre zu den Menschen, an denen man sich orientieren könne, sagt der Sänger über den Ausgezeichneten. Sein Freund sei eine Legende, eine rastlose Persönlichkeit, ein Reisender, ein Beobachter. „Düsseldorf ist stolz auf dich – nicht nur in diesem Jahr.“
Sie beide verbindet heute eine besondere Freundschaft. Können Sie sich noch an ihr erstes Treffen mit Wim Wenders erinnern?
CAMPINO Unser damaliger Manager Jochen Hülder war ein großer Fan von ihm. Wir hatten zu der Zeit das Album „Unsterblich“veröffentlicht und wollten zur Auskopplung „Warum werde ich nicht satt?“ein Video drehen. Jochen schlug als Regisseur Wim Wenders vor. Das war Ende der 90er Jahre, und wir dachten: „Ja, ja, träum weiter.“Er fand dann aber tatsächlich seine Adresse in Amerika heraus, stellte den Kontakt her und schickte Wim den Song. In der Branche ist man es gewöhnt, dass man entweder gar keine Antwort bekommt oder es zunächst mal nur um Budget- und Gagenfragen geht. Doch es kam anders. Wim schrieb uns ein 15-seitiges Fax aus den USA, in dem er uns erklärte, wie er sich das Video vorstellte. Es war voller leidenschaftlicher Fantasie. Wir wussten: Das ist unser Mann. So kam es ein paar Wochen später zu unserem ersten Treffen in München, um über alles weitere zu sprechen.
Wie darf man sich diese denkwürdige Begegnung vorstellen? Hat es sofort gefunkt?
CAMPINO In den ersten Minuten fiel kaum ein Wort, es herrschte eine fast schon peinliche Stille. Denn Wim kann so gut wie alles, aber keinen Small Talk. Dann machte Andi eine Bemerkung über Punk in den USA, und das Eis war gebrochen. Denn Wim mochte die Punkszene in L.A.. Wir kamen also über die Musik in ein Gespräch, das bis heute eigentlich nicht geendet hat. Es gibt eine besondere Ebene des Verstehens zwischen uns und eine schöne Tiefe in unserer Beziehung. Wim ist der Patenonkel meines Sohnes, und diese Aufgabe nimmt er auch ernst.
Die Toten Hosen erhielten den Preis „Düsseldorfer des Jahres“ja auch schon, jetzt hielten Sie die Laudatio auf Wim Wenders. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
CAMPINO Die Auszeichnung ist schön, weil es auch um das Selbstbild einer Stadt geht. Wie sehr sie sich mit dir als Preisträger identifiziert. Im Laufe unseres Lebens wurde uns Hosen klar, wie wichtig es ist, die Unterstützung der Menschen unserer Stadt zu spüren. Dieser Rückhalt ist immer noch ein gutes Gefühl. Wenn ich zum Beispiel morgens durch die Stadt gehe, und die Jungs von der Awista rufen mir zu: „Hey Campino, wie sieht’s aus mit der Fortuna?“, dann weiß ich, dass die Welt in Ordnung ist. Das zeichnet Düsseldorf auch aus, dass es hier eine große Verbundenheit gibt. Dieses besondere Band hat schon viel Positives für die Stadt bewirkt.
Es ist noch nicht lange her, da veröffentlichten Sie Ihr Buch „Hope Street“, hat sich die Arbeit für Sie eingelöst?
CAMPINO Für mich war der Schreibprozess der große Gewinn, denn ich habe meine eigene Familiengeschichte neu geordnet und viele Details erfahren, von denen ich noch nichts wusste. Das war für mich sehr lohnenswert, und auch die Arbeit an einem Buch entpuppte sich als eine schöne neue Spielwiese. Dass es dann auch noch ein Erfolg geworden ist und in vielen Bestsellerlisten auftauchte, hat mich natürlich sehr gefreut.
Das hört sich nach einer Fortsetzung an. Werden noch weitere Bücher folgen?
CAMPINO Ja, das ist vorstellbar. Seit den späten 80er Jahren schreibe ich
Tagebuch, im Laufe der 90er wurde das immer ausführlicher. Das ist heute für mich ein großer Fundus, um mich zu erinnern, wann was in der Vergangenheit passierte. Ob ich mal etwas mit diesen Aufzeichnungen machen möchte oder die Reise in eine ganz andere Richtung geht, weiß ich noch nicht.
Wim Wenders ist bekannt als Wim Wenders, Sie als Campino. Gibt es eigentlich Menschen, die Sie noch Andreas Frege nennen?
CAMPINO Auf jeden Fall! Meine Familie, die Damen und Herren vom Finanzamt und die Polizei.
Wie ist Ihr Blick auf die Kunst- und Kulturszene in Zeiten der Corona-Pandemie?
CAMPINO Ich bin sehr besorgt und befürchte, dass wir die Konsequenzen der Pandemie noch nicht im Ganzen erahnen können. Es gibt so viele Leute, die wichtig sind für den Kulturbetrieb, sie arbeiten zum Beispiel im Veranstaltungsbereich und haben keine Lobby, viele von ihnen sind öffentlich gar nicht unbedingt präsent, weil sie im Hintergrund agieren. Ich kenne Lastwagenfahrer aus unserer Crew, die haben diesen Job für immer an den Nagel gehängt und fahren jetzt Schwertransporter, weil sie ja von irgendetwas leben müssen. Die werden dann fehlen, wenn es wieder losgeht. In der Branche gibt es auch viele Selbständige, die seit einem Jahr kein Geld verdienen können und sich inzwischen am finanziellen Abgrund bewegen. Viele von ihnen werden aufgeben müssen. Alle, die es sich erlauben können, sollten großzügig sein mit der Stundung von Schulden, und Trinkgelder sollten eine Zeitlang auch üppiger ausfallen.
Wim Wenders im Interview Kultur