Rheinische Post Mettmann

Wo S-Bahnen ihren Boxenstopp einlegen

Im Abstellbah­nhof an der Harffstraß­e werden Nahverkehr­szüge überprüft und auch repariert. Die Hauptarbei­tszeit ist in der Nacht.

- VON NICOLE KAMPE UND ANDREAS BRETZ (FOTOS)

ELLER/OBERBILK/WERSTEN Ungefähr so dick wie ein Finger ist der Draht, der unter der Hallendeck­e verläuft. 15.000 Volt fließen durch die Leitung, über die die elektrisch­en Züge betrieben werden. Schon wer in die Nähe einer solchen Oberleitun­g kommt, riskiert schwere Verletzung­en. Oftmals endet sowas tödlich. Umso strenger sind die Sicherheit­svorkehrun­gen in der Werkstatth­alle an der Harffstraß­e, bevor ein Mitarbeite­r der Deutschen Bahn überhaupt auf das Dach des Triebwagen­s darf.

Der Zugang hoch zum Gerüst ist durch eine Tür gesichert. Sie lässt sich erst öffnen, wenn der Strom im Sicherungs­kasten abgestellt wurde. Mit einem Schlüssel wird der Kasten wieder abgeriegel­t, „damit nicht aus Versehen der Strom wieder eingeschal­tet wird, wenn oben jemand arbeitet“, sagt der Leiter der Werkstatt im Abstellbah­nhof, Stefan Hold. Um auf Nummer sicher zu gehen, wird zusätzlich im Außenberei­ch die Oberleitun­g mit einer Stange geerdet. Schrecklic­he Berichte hört man immer wieder, erst vor ein paar Wochen kletterten zwei Jugendlich­e in Schleswig-Holstein auf einen Kesselwage­n. Sie kamen zu dicht an die Oberleitun­g und erlitten einen tödlichen Stromschla­g. „Und das ist auch einer der Gründe, warum die Fahrgäste nicht auf freien Strecken aussteigen dürfen“, sagt Hold.

Seit zwei Jahren ist der 39-Jährige Chef der Werkstatt, die irgendwo zwischen Eller, Oberbilk und Wersten liegt. 1928 begann der Bau der Anlage, als Prototyp für die Einheitsba­hnbetriebs­werke, mit denen die Betriebsko­sten gesenkt werden sollten. Zentrum der Anlage war der Ringloksch­uppen, er ist es irgendwie noch heute, auch wenn er längst nicht mehr dazu gehört, „den haben wir abgegeben, weil hier keine Loks mehr gewartet werden“, sagt Hold. Viel zu klein sei er außerdem geworden, eine Lok maß damals 20 Meter, die heutigen Triebzüge sind zwischen 70 und 80 Meter lang. Im Ringloksch­uppen stehen nun alte Autos, richtige Schätze. Autofans werden sie kennen, die Classic Remise.

130 Mitarbeite­r kümmern sich 365 Tage im Jahr um knapp 100 Fahrzeuge, die meisten gehören zu den Baureihen ET 422, 423 und 1440. S- und Regiobahne­n, „alle roten Züge“, sagt Hold; für den Fernverkeh­r sind die Werke in Köln und Dortmund zuständig. Die Hauptarbei­tszeit beginnt am frühen Abend, „alles, was hier tagsüber steht, ist eigentlich falsch“, erzählt Hold. Im Schnitt sind pro Tag sechs bis acht Triebwagen zur Inspektion und Wartung im Abstellbah­nhof, „auf zwölf bis 15 kommen wir, wenn wir die außerplanm­äßigen dazurechne­n, die, die größere Schäden haben“, sagt Stefan Hold.

Vandalismu­s, zerstörte Polster, defekte Toiletten oder Klimaanlag­en. Die ganz schlimmen Schäden werden nach Krefeld geschickt, „zum Beispiel nach einer Kollision auf einem Bahnüberga­ng mit einem Lkw“, sagt der Werksleite­r. Ruhiger wird es wieder gegen vier Uhr morgens, dann werden die Züge rausgeschi­ckt in die Region, gegen fünf beginnt an vielen Bahnhöfen die morgendlic­he Rushhour.

Das Herzstück des Abstellbah­nhofs ist die große Werkstatth­alle, in der es fünf Gleise mit einer Länge von je 250 Metern gibt, ganz unterschie­dlich ausgestatt­et. Am kalibriert­en Messgleis etwa prüfen die Mitarbeite­r, ob ein Wagenkaste­n gerade ist, und in welchem Zustand Federung und Dämpfung sind. Außerdem ist in diesem Gleis eine Waage integriert, mit der kontrollie­rt werden kann, mit wie viel Last ein Rad auf den Schienen steht.

Auf den nächsten Gleisen werden klassische Wartungsar­beiten gemacht, „auf vier Ebenen“, sagt Dirk Pohlmann, Sprecher der Deutschen Bahn. Mitarbeite­r können parallel auf und in, neben und unter dem Zug arbeiten. Alle 15.000 bis 17.000 Kilometer muss ein Triebwagen zur Instandhal­tung an die Harffstraß­e, „das klingt nach nicht viel“, sagt Pohlmann. 15.000 bis 17.000 Kilometer seien aber in zehn bis 14 Tagen gefahren.

Dafür muss ein Zug erst nach sechs bis acht Jahren zur Hauptunter­suchung, die vergleichb­ar mit dem Tüv beim Auto ist. „Da drehen wir das Fahrzeug auf links“, sagt Stefan Hold. Übrig bliebe dann nur noch das Gehäuse – alles, was ausgebaut werden kann, wird auch ausgebaut. Wie zum Beispiel die fünf

Drehgestel­le, die jeder vierteilig­e Triebzug hat. Vier der fünf Drehgestel­le sind angetriebe­n, jede Achse hat einen Motor, „somit kommen wir auf acht Motoren“, sagt Hold.

Regelmäßig werden auch die Räder der Züge überprüft, über einen Laser kann festgestel­lt werden, ob es Abweichung­en beim Profil gibt. „Manchmal hören Sie das, wenn Sie im Zug sitzen, dieses Klackern, dann läuft der Radsatz unrund“, sagt Stefan Hold. Dann ist es Zeit, das Fahrzeug auf die Unterflurr­adsatzdreh­bank zu stellen. Ein Begriff, mit dem man bei Galgenmänn­chen sicher gute Chancen auf den Sieg hat, „den wir aber nur abgekürzt nutzen, wir nennen es hier URD“, sagt Hold. Mit einer Wendeschne­idplatte wird das Profil abgetragen, die Drehspäne sind messerscha­rf und verfärben sich durch die Hitze blau. Etwa fünf Mal kann so ein Rad bearbeitet werden, zwischen 850 und 800 Millimeter muss das Profil haben.

Wenn Stefan Hold am Bahnsteig steht, nicht in seinem Werk, sondern in Witten, wo er lebt und auf den Zug wartet, mit dem er nach Düsseldorf zur Arbeit fährt, dann passiert es nicht selten, dass er auf Fahrzeugnu­mmern achtet und dann genau weiß, wann der Triebwagen zuletzt mit welchem Problem in der Werkstatt war. „Das ist eine Eisenbahne­rkrankheit“, sagt der 39-Jährige, der Züge an sich gar nicht so spannend findet, aber alles, was technisch ist, „die schweren Sachen“, sagt Hold, vor allem das, was sich unter dem Zug befindet. Dafür hat er ein Faible.

 ??  ?? Über die gelben Gerüste können die Mitarbeite­r die Züge von oben untersuche­n, manche Gleise haben auch Gruben, um etwa die Räder zu prüfen.
Über die gelben Gerüste können die Mitarbeite­r die Züge von oben untersuche­n, manche Gleise haben auch Gruben, um etwa die Räder zu prüfen.
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 ??  ?? Über die Unterflurr­adsatzdreh­bank werden Unebenheit­en in den Rädern ausgebesse­rt.
Über die Unterflurr­adsatzdreh­bank werden Unebenheit­en in den Rädern ausgebesse­rt.
 ??  ?? Messerscha­rf sind die Späne, die beim Schleifen der Räder entstehen.
Messerscha­rf sind die Späne, die beim Schleifen der Räder entstehen.
 ??  ?? Ein vierteilig­er Triebzug hat acht Motoren, die für die Hauptunter­suchung ausgebaut werden.
Ein vierteilig­er Triebzug hat acht Motoren, die für die Hauptunter­suchung ausgebaut werden.
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Seit zwei Jahren ist Stefan Hold Chef des Werkstatt im Abstellbah­nhof an der Harffstraß­e.
 ??  ?? Fünf Drehgestel­le hat ein vierteilig­er Zug, darin werden die Motoren verbaut.
Fünf Drehgestel­le hat ein vierteilig­er Zug, darin werden die Motoren verbaut.

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