Wo S-Bahnen ihren Boxenstopp einlegen
Im Abstellbahnhof an der Harffstraße werden Nahverkehrszüge überprüft und auch repariert. Die Hauptarbeitszeit ist in der Nacht.
ELLER/OBERBILK/WERSTEN Ungefähr so dick wie ein Finger ist der Draht, der unter der Hallendecke verläuft. 15.000 Volt fließen durch die Leitung, über die die elektrischen Züge betrieben werden. Schon wer in die Nähe einer solchen Oberleitung kommt, riskiert schwere Verletzungen. Oftmals endet sowas tödlich. Umso strenger sind die Sicherheitsvorkehrungen in der Werkstatthalle an der Harffstraße, bevor ein Mitarbeiter der Deutschen Bahn überhaupt auf das Dach des Triebwagens darf.
Der Zugang hoch zum Gerüst ist durch eine Tür gesichert. Sie lässt sich erst öffnen, wenn der Strom im Sicherungskasten abgestellt wurde. Mit einem Schlüssel wird der Kasten wieder abgeriegelt, „damit nicht aus Versehen der Strom wieder eingeschaltet wird, wenn oben jemand arbeitet“, sagt der Leiter der Werkstatt im Abstellbahnhof, Stefan Hold. Um auf Nummer sicher zu gehen, wird zusätzlich im Außenbereich die Oberleitung mit einer Stange geerdet. Schreckliche Berichte hört man immer wieder, erst vor ein paar Wochen kletterten zwei Jugendliche in Schleswig-Holstein auf einen Kesselwagen. Sie kamen zu dicht an die Oberleitung und erlitten einen tödlichen Stromschlag. „Und das ist auch einer der Gründe, warum die Fahrgäste nicht auf freien Strecken aussteigen dürfen“, sagt Hold.
Seit zwei Jahren ist der 39-Jährige Chef der Werkstatt, die irgendwo zwischen Eller, Oberbilk und Wersten liegt. 1928 begann der Bau der Anlage, als Prototyp für die Einheitsbahnbetriebswerke, mit denen die Betriebskosten gesenkt werden sollten. Zentrum der Anlage war der Ringlokschuppen, er ist es irgendwie noch heute, auch wenn er längst nicht mehr dazu gehört, „den haben wir abgegeben, weil hier keine Loks mehr gewartet werden“, sagt Hold. Viel zu klein sei er außerdem geworden, eine Lok maß damals 20 Meter, die heutigen Triebzüge sind zwischen 70 und 80 Meter lang. Im Ringlokschuppen stehen nun alte Autos, richtige Schätze. Autofans werden sie kennen, die Classic Remise.
130 Mitarbeiter kümmern sich 365 Tage im Jahr um knapp 100 Fahrzeuge, die meisten gehören zu den Baureihen ET 422, 423 und 1440. S- und Regiobahnen, „alle roten Züge“, sagt Hold; für den Fernverkehr sind die Werke in Köln und Dortmund zuständig. Die Hauptarbeitszeit beginnt am frühen Abend, „alles, was hier tagsüber steht, ist eigentlich falsch“, erzählt Hold. Im Schnitt sind pro Tag sechs bis acht Triebwagen zur Inspektion und Wartung im Abstellbahnhof, „auf zwölf bis 15 kommen wir, wenn wir die außerplanmäßigen dazurechnen, die, die größere Schäden haben“, sagt Stefan Hold.
Vandalismus, zerstörte Polster, defekte Toiletten oder Klimaanlagen. Die ganz schlimmen Schäden werden nach Krefeld geschickt, „zum Beispiel nach einer Kollision auf einem Bahnübergang mit einem Lkw“, sagt der Werksleiter. Ruhiger wird es wieder gegen vier Uhr morgens, dann werden die Züge rausgeschickt in die Region, gegen fünf beginnt an vielen Bahnhöfen die morgendliche Rushhour.
Das Herzstück des Abstellbahnhofs ist die große Werkstatthalle, in der es fünf Gleise mit einer Länge von je 250 Metern gibt, ganz unterschiedlich ausgestattet. Am kalibrierten Messgleis etwa prüfen die Mitarbeiter, ob ein Wagenkasten gerade ist, und in welchem Zustand Federung und Dämpfung sind. Außerdem ist in diesem Gleis eine Waage integriert, mit der kontrolliert werden kann, mit wie viel Last ein Rad auf den Schienen steht.
Auf den nächsten Gleisen werden klassische Wartungsarbeiten gemacht, „auf vier Ebenen“, sagt Dirk Pohlmann, Sprecher der Deutschen Bahn. Mitarbeiter können parallel auf und in, neben und unter dem Zug arbeiten. Alle 15.000 bis 17.000 Kilometer muss ein Triebwagen zur Instandhaltung an die Harffstraße, „das klingt nach nicht viel“, sagt Pohlmann. 15.000 bis 17.000 Kilometer seien aber in zehn bis 14 Tagen gefahren.
Dafür muss ein Zug erst nach sechs bis acht Jahren zur Hauptuntersuchung, die vergleichbar mit dem Tüv beim Auto ist. „Da drehen wir das Fahrzeug auf links“, sagt Stefan Hold. Übrig bliebe dann nur noch das Gehäuse – alles, was ausgebaut werden kann, wird auch ausgebaut. Wie zum Beispiel die fünf
Drehgestelle, die jeder vierteilige Triebzug hat. Vier der fünf Drehgestelle sind angetrieben, jede Achse hat einen Motor, „somit kommen wir auf acht Motoren“, sagt Hold.
Regelmäßig werden auch die Räder der Züge überprüft, über einen Laser kann festgestellt werden, ob es Abweichungen beim Profil gibt. „Manchmal hören Sie das, wenn Sie im Zug sitzen, dieses Klackern, dann läuft der Radsatz unrund“, sagt Stefan Hold. Dann ist es Zeit, das Fahrzeug auf die Unterflurradsatzdrehbank zu stellen. Ein Begriff, mit dem man bei Galgenmännchen sicher gute Chancen auf den Sieg hat, „den wir aber nur abgekürzt nutzen, wir nennen es hier URD“, sagt Hold. Mit einer Wendeschneidplatte wird das Profil abgetragen, die Drehspäne sind messerscharf und verfärben sich durch die Hitze blau. Etwa fünf Mal kann so ein Rad bearbeitet werden, zwischen 850 und 800 Millimeter muss das Profil haben.
Wenn Stefan Hold am Bahnsteig steht, nicht in seinem Werk, sondern in Witten, wo er lebt und auf den Zug wartet, mit dem er nach Düsseldorf zur Arbeit fährt, dann passiert es nicht selten, dass er auf Fahrzeugnummern achtet und dann genau weiß, wann der Triebwagen zuletzt mit welchem Problem in der Werkstatt war. „Das ist eine Eisenbahnerkrankheit“, sagt der 39-Jährige, der Züge an sich gar nicht so spannend findet, aber alles, was technisch ist, „die schweren Sachen“, sagt Hold, vor allem das, was sich unter dem Zug befindet. Dafür hat er ein Faible.