Sinn in einer Welt des Zufalls
Alles hängt zusammen, nichts geschieht aus Zufall, nichts ist so wie es scheint und qui bono – wem nützt es – führt zur Wahrheit: Das sind die vier Annahmen, auf denen jeder Verschwörungsmythos aufbaut. Im eigentlichen Sinn ist eine Verschwörung der im Geheimen durchgeführte Plan einer Gruppe, um Macht zu erlangen. Das gibt es. Noch häufiger gibt es Vertuschung oder Lüge, um Macht zu erhalten. Doch die Weltgeschichte ist kein von geheimen Mächten gesteuerter Prozess, sondern das Ergebnis einzelner, ineinander greifender oder zufällig zusammenfallender Ereignisse und Entscheidungen. Nicht anders als im alltäglichen Leben, in dem Zufälle entscheidend sein können, Menschen von Ereignissen profitieren, die sie gerade nicht selbst herbei geführt haben und der erste Anschein oft der Realität entspricht.
Gründe für den Anstieg an Verschwörungsglauben sind oft Ohnmachtserfahrungen und die Suche nach Sinn. Aber Sinn und Ursache
sind völlig getrennte Ebenen, die verwechselt werden, wenn ein metaphysisches oder psychologisches Konzept wie „Alles hängt mit allem zusammen“herangezogen und politisiert wird. Zwei Ereignisse hängen nur dann ursächlich miteinander zusammen, wenn der Einfluss des einen auf das andere real geschieht. Die Ebene der Sinngebung ist etwas ganz anderes: wir schreiben unserem Leben und dem, was geschieht, einen Sinn zu. Das mag ein gläubiger Sinn sein, die Überzeugung, dass von Gott her unser Leben einen roten Faden hat, dass in dem, was geschieht, eine Bedeutung liegt, oder ein esoterischer oder psychologischer. Solche Sinngebung ist jedoch immer ein Vorgang oberhalb der Ereigniskette: wir verleihen dem, was geschieht, eine Bedeutung. Das genau ist Ostern: Da gerät ein Mensch ins Zentrum der Machtkämpfe
seiner Zeit, wird Opfer der Unruhe fürchtenden römischen Besatzungsmacht wie der religiösen Oberschicht.
Das ist die Ereignisebene. Auf der Ebene der Sinngebung aus christlichem Glauben gibt es hinter den Zufällen, die zum Tode Jesu führten, einen alles verändernden Sinn: Der Tod ist nicht das Ende, keine Situation ist mehr ausweglos. Aus der absoluten Ausweglosigkeit des Toten, in Leinentüchern gebunden, in einem Felsengrab eingeschlossen, eröffnet Gott einen Ausweg: Der Tote, Gottes Sohn, steht auf, der Gefesselte befreit sich, der Eingeschlossene rollt den Stein hinweg und tritt heraus ins Leben.
Jessica Weis ist Pastoralreferentin in der katholischen Kirchengemeinde St. Bonifatius