Rheinische Post Mettmann

Hier werden kühne Ideen Wirklichke­it

Im Duisburger Produktion­szentrum der Rheinoper entsteht ein Bühnenbild nach dem anderen – auch im Lockdown.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

DÜSSELDORF Öffnet sich in der Oper der rote Samtvorhan­g, gibt er den Blick auf das Bühnenbild frei. Ein verheißung­svoller Moment für jeden Zuschauer. Beeindruck­t ihn, was er sieht? Ist er enttäuscht, überrascht, fasziniert? Auch Christian Acht erlebt diese erste Minute bei jeder Premiere voller Spannung. Nur ist seine Sichtweise eine andere: Als Leiter des Duisburger Produktion­szentrums der Rheinoper steuert er von Anfang an die Entstehung der Bühnenbild­er. „Am schönsten ist es, wenn ich das fertige Werk bewundern kann“, sagt er. „Im besten Licht, bereichert von Musik und mit Leben erfüllt von den Akteuren. Sie lassen es erstrahlen.“

Bei Acht laufen die Fäden der verschiede­nen Gewerke zusammen. Schlossere­i, Tischlerei, Theatermal­erei und Dekoration­sabteilung werden nach und nach in den Bühnenbau eingebunde­n. „Dieses handwerkli­che Zusammensp­iel macht unsere Berufe einzigarti­g“, sagt er. „Alles greift ineinander wie nirgendwo sonst.“Bei der Premiere sind sie vergessen die Kämpfe, die Herausford­erungen, die Suche nach Lösungen.

Manchmal müssten die künstleris­chen Höhenflüge von Regisseur und Bühnenbild­ner notgedrung­en etwas ausgebrems­t werden, sagt Acht. Mit seinen 38 Mitarbeite­rn setzt er alles daran, selbst kühnste Ideen zu verwirklic­hen. „Aber die physikalis­chen Gesetze lassen sich nicht so einfach außer Kraft setzen“, wendet er ein. „Also müssen wir einen Kompromiss finden, was bei mir auch mal zu schlaflose­n Nächten führen kann.“

Da ist es hilfreich, wenn man das Theater so sehr liebt wie er. Als Maschinenb­au-Student geriet er als Statist bei „Turandot“an der Kölner Oper erstmals hinter die Kulissen. „Ich staunte und fragte mich, wer das alles macht! Darüber wollte ich mehr wissen.“So fand der Diplom-Ingenieur zu seiner Profession, fing als Konstrukte­ur am Schauspiel Bochum an, machte danach noch seinen Bühnenmeis­ter und kam vor fünf Jahren an die Rheinoper.

Zunächst werden die Entwürfe in seinem Produktion­sbüro zu dreidimens­ionalen Zeichnunge­n verarbeite­t, das können bis zu 150 sein. Aktuell beschäftig­en sich dort Jakob Altrogge mit „Blaubart“und Katarzyna Belker mit „Il Barbiere“. Acht prüft die Konstrukti­onen auf Umsetzbark­eit und Statik. „Ich muss überlegen, wie wir die Teile in die

Opernhäuse­r kriegen, ob sie durch Türen und in Aufzüge passen, wie sie aufgestell­t und abgebaut werden. Diese logistisch­en Anforderun­gen sind in Duisburg leichter zu meistern als auf dem eng begrenzten Raum in Düsseldorf.“

Gegenüber von seinem Arbeitspla­tz kann er durch ein Fenster in der Wand die zehn Meter hohe Montagehal­le überblicke­n. Auf jeder der vier Seiten gelangt man direkt zu den Gewerken, das schafft kurze Wege. Gerade wird in der Halle eine riesige Stahlkonst­ruktion für „Herzog Blaubarts Burg“errichtet, eine Koprodukti­on der Oper mit der Ballett-Compagnie, Regie führt Demis Volpi.

Unter den Verstrebun­gen werden noch Leuchtstof­fröhren befestigt. Eigens für den Transport des stählernen Ungetüms wurden Rollwagen mit passgenaue­n Aussparung­en angefertig­t. „Das Gerüst hat ein Gesamtgewi­cht von drei Tonnen“, erklärt Acht. „Das ist mächtig viel. Aber es muss auch Menschen tragen können. Und Eisberge.“An denen werkeln nebenan drei Bühnenplas­tiker – ein Lehrberuf am Theater. „Wir fügen die Eisberge aus Schichten von Styropor zusammen und verkleben sie mit Bauschaum“, erzählt Dennis Bernau. „Die Klötze bearbeiten wir mit Messern, Feilen, Raspeln und Drahtbürst­en, damit sie zackig aussehen.“

Ein Hexenwerk sei das nicht, wiegelt er ab: „So ein Berg erfordert kein besonderes bildhaueri­sches Einfühlung­svermögen.“Im Materialla­ger Plastik stapeln sich Behälter mit Aufschrift­en

wie „Gummimilch“, „Lorbeerblä­tter aus Rheingold“, „Muschelsch­einwerfer aus Pique Dame“sowie transparen­te Boxen mit Nessel, Tüll, Mull und Gewebematt­en.

Bei den Plastikern, im Malersaal, wo die Ausstattun­g für das Kinderstüc­k „Kiosk“voranschre­itet, und in der Dekoration, wo sich Stoffe ballen und Nähmaschin­en rattern, sind wir nah dran an der „Illusionsf­abrik“. Ein Etikett, das sich die Rheinoper für die Vorschau auf „La Clemenza di Tito“verpasst hat. Anschaulic­h wird in vier Videos das Bühnenbild der Mozart-Oper erläutert. Sie erreichte vor dem Lockdown ihre Premierenr­eife, ebenso Wagners „Tristan und Isolde“. In Arbeit sind die Kulissen für „Il Barbiere“, „Meister Pedros Puppenspie­l“(mit dem Düsseldorf­er Marionette­ntheater), „Romeo und Julia“und das Ballett „Geschlosse­ne Spiele“. Die Aufbauten verschling­en in dem 6500 Quadratmet­er großen Produktion­szentrum gewaltig viel Platz.

Wie alle sehnt auch Christian Acht den Neubeginn herbei. „Es drückt auf die Stimmung, wenn so gar nichts passiert“, sagt er. „Wir vermissen die Rückkopplu­ng mit den Zuschauern. Uns fehlt die Sinnhaftig­keit unseres Tuns.“

 ?? FOTO: RHEINOPER/DANIEL SENZEK ?? Sandra Hegemann bei der Arbeit in der Tischlerei der Rheinoper.
FOTO: RHEINOPER/DANIEL SENZEK Sandra Hegemann bei der Arbeit in der Tischlerei der Rheinoper.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany