Rheinische Post Mettmann

Am Ende gewinnt die Straße

Obdachlosi­gkeit, Altersarmu­t: Im Kölner „Tatort“wird an sozialen Missstände­n nicht gespart.

- VON MARLEN KESS

KÖLN Unter einer Brücke am Rhein steht nachts ein Obdachlose­nlager in Flammen, und Moni kann nicht mehr gerettet werden. Bei der Obduktion stellt sich heraus: Sie war schon tot, als ihr Schlafsack in Brand gesteckt wurde, in ihrer Thermoskan­ne werden Spuren des Opioids Fentanyl gefunden. Doch wer kann ein Interesse am Tod einer Frau haben, die völlig verarmt auf der Straße lebt?

Das ist der Fall, den die Kölner Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) in ihrem mittlerwei­le 81. „Tatort“lösen müssen. Ihre Ermittlung­en führen sie in die Obdachlose­nszene der Dommetropo­le und dabei ziemlich nah heran an die Betroffene­n. Und das sind vor allem Frauen – vielleicht dem Umstand zu verdanken, dass den Film gleich zwei Frauen entscheide­nd prägen: Regisseuri­n Nina Wolfrum und Kamerafrau Katharina Diessner.

Den beiden gelingt es, die besonders für Frauen prekäre Situation auf der Straße in eindrückli­chen, aber nie sentimenta­len Bildern einzufange­n. Eine weitere Stärke dieses Krimis sind die zumeist völlig unbekannte­n, aber durchweg überzeugen­den Darsteller­innen. Der eigentlich­e Fall – das Drehbuch stammt vom Dortmunder „Tatort“-Veteranen Jürgen Werner – gerät in den Hintergrun­d. Das ist zu verschmerz­en – auch wenn der brillante „Polizeiruf: 110“in der vergangene­n Woche gezeigt hat, wie hervorrage­nd die Kombinatio­n aus Sozialdram­a und Thriller funktionie­ren kann.

Doch zurück zu den Protagonis­tinnen:Daistzunäc­hsteinmaln­atürlich

Moni (Rike Eckermann), eine Frau um die 60, die nach dem Tod ihres Sohnes den Halt verlor und jetzt auf der Domplatte betteln geht. Einer ihrer Anlaufpunk­te ist das „Kabäuschen“, ein Wohnungslo­sentreff, der von Regine (Hildegard Schroedter) betrieben wird. Sie bietet den Gestrandet­en einen Ort zum Verschnauf­en, eine warme Mahlzeit, ein Postfach. Und rettet ihnen ganz nebenher das Leben, wie sie den beiden verdutzten Kommissare­n beiläufig erzählt: Gegen eine potenziell tödliche Überdosis Fentanyl habe man immer Naloxon im Haus.

Bei der Essensausg­abe im „Kabäuschen“hilft außerdem Katja (Jana Julia Roth) aus, die als Altenpfleg­erin nicht genug verdient, um sich nach der Räumungskl­age wegen Eigenbedar­fs eine neue Wohnung leisten zu können – und aus

Verzweiflu­ng in ihrem Auto schläft. Und dann ist da noch Ella (Ricarda Seifried), um die es in diesem Film letztlich geht. Sie möchte ein Leben wie alle anderen auch, mit Job, Familie und Haus – wird aber von ihrem Mann verprügelt, seit Jahren schon. Irgendwann hält sie es nicht mehr aus und schlägt zurück, und weil der Mann danach blutüberst­römt auf dem Boden liegt und sich kurzzeitig nicht mehr rührt, flieht sie aus der gemeinsame­n Wohnung. Ob er überlebt hat, weiß sie nicht und versteckt sich fortan auf der Straße, wo einen sowieso niemand so richtig anguckt. So gerät sie ans „Kabäuschen“, lernt all die anderen wohnungslo­sen Frauen kennen und ihre Tricks, draußen zu überleben.

Es rührt, wenn eine von ihnen mit den Armen wedelt, damit der Bewegungsm­elder anspringt und das

Licht an ihrem Schlafplat­z nicht ausgeht, und danach ihren Hund ganz fest an sich drückt. Es macht wütend, wenn Jugendlich­e zum Spaß an dem Auto rütteln, in dem Katja schläft und diese vor Angst weiElla nen muss. Es widert an, wenn sich ihren Schlafplat­z für die Nacht mit körperlich­er Nähe erkaufen muss. „Ohne Wohnung hast du keine Chance, egal wie du kämpfst und machst und tust, am Ende gewinnt immer die Straße“, sagt Regine. Eine so bittere wie wahre Erkenntnis.

Der Kölner „Tatort“ist bekann?t dafür, immer wieder soziale Missstände zu thematisie­ren. Dabei ist gut gemeint nicht immer auch gut gemacht. Auf diese Episode trifft das zum Glück nicht zu.

„Tatort: Wie alle anderen auch“, Das Erste, 20.15 Uhr.

 ?? FOTO: MARTIN VALENTIN MENKE/DPA ?? Eine Szene aus „Wie alle anderen auch“: Moni (Rike Eckermann, l.) nimmt die junge Ella (Ricarda Seifried) auf der Straße unterihreF­ittiche.
FOTO: MARTIN VALENTIN MENKE/DPA Eine Szene aus „Wie alle anderen auch“: Moni (Rike Eckermann, l.) nimmt die junge Ella (Ricarda Seifried) auf der Straße unterihreF­ittiche.

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