Die Stadt, in der vielleicht die Notbremse gezogen wird
Weiß eigentlich noch jemand, welche Coronaregeln gerade in Düsseldorf gelten?
DÜSSELDORF Düsseldorf will Modellkommune werden. Die Stadt buhlt bei der Landesregierung darum, versuchsweise den Coronaschutz lockern zu dürfen. Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) sieht Düsseldorf prädestiniert für etwas Normalität auf Probe, denn die Stadt habe „in der Krisenbewältigung im interkommunalen Vergleich Maßstäbe gesetzt“.
Es mag sein, dass Düsseldorf vieles geleistet hat. Aber welche Krise wurde eigentlich bewältigt?
Jedenfalls nicht die Coronapandemie. Über Monate wurde gesagt, die Neuinzidenz müsse unter 50 fallen, damit das Gesundheitsamt wieder die Kontakte nachverfolgen kann. Gerade liegt die Sieben-Tage-Inzidenz fast doppelt so hoch bei 97,3. Tendenz stark steigend. Im NRWSchnitt steht Düsseldorf damit sogar gut da. Woran das liegt, weiß allerdings auch das hiesige Gesundheitsamt nicht.
Als Bewohner der Fast-Inzidenz100-Stadt Düsseldorf hat man in den vergangenen Tagen einen ernüchternden Eindruck davon bekommen, wie es um die Konzepte für die Krisenbewältigung steht. Das lag nicht an der Stadtverwaltung, die auch nur erstaunt zuschauen konnte. Nach dem Aus für den bundesweiten Oster-Lockdown verkündete Ministerpräsident Armin Laschet eine „NRW-Notbremse“, die offenbar auch für Städte mit einer Inzidenz unter 100 gelten sollte. Also Läden zu. Am Freitag war das wieder vom Tisch – jetzt könnte die Landeshauptstadt sogar weiter die Läden offenhalten, wenn der Wert über 100 steigt. Das soll eine überraschend ins Spiel gebrachte „Test-Option“ermöglichen.
Ist da noch jemand mitgekommen? Wenn man fünf Leute auf der Straße fragt, welche Regeln gerade für Einzelhandel, Kontakte oder Sport in Düsseldorf gelten, erhält man vermutlich fünf verschiedene Antworten. Die Stadtverwaltung – die derzeit auch zerrissen zwischen Lockern und Lockdown wirkt – hat mit der gescheiterten allgemeinen Maskenpflicht und dem schon wieder verschwundenen Verweilverbot in der Altstadt noch zusätzlich für Verwirrung gesorgt.
Die Folgen dieser Hin-und-HerPolitik sind auch im Kleinen zu spüren. Es scheint, als mache derzeit jeder so viel Coronaschutz, wie es persönlich richtig erscheint. Bekannte haben ihr Kind aus der Kita genommen, weil sie zu viel Angst haben. Nachbarn zeigen derweil begeistert die Fotos vom Hotel in Mallorca. In der Apotheke an der Ecke sind alle Schnelltest-Termine bis Ostern ausgebucht, mutmaßlich, weil viele Menschen sich die Feier nicht nehmen lassen wollen. Die Zahl der Coronainfizierten auf den Düsseldorfer Intensivstationen steht auf dem höchsten Wert seit Mitte Januar.
Vielleicht schon morgen wird die Inzidenz über 100 steigen. Dann kommt drei Tage später die „Notbremse“. Oder doch irgendwas Neues mit Schnelltests? Die Menschen, mit denen man spricht, wirken gerade sehr müde. Vermutlich nicht nur in der Fast-Inzidenz-100-Stadt Düsseldorf.