Rheinische Post Mettmann

Schüler und Pferde leiden unter der Situation

Seit fast einem halben Jahr ist der Reitunterr­icht untersagt. Das fehlende Training hat negative körperlich­e und seelische Folgen für Mensch und Tier.

- VON CRISTINA SEGOVIA-BUENDÍA

WÜLFRATH Für gewöhnlich herrschte in den Stallgasse­n des Turnierund Reitsportz­entrums Volmer buntes Treiben: Reitschüle­r und Reitprofis kamen und gingen, um ihre Pferde für das Training vorzuberei­ten oder es nach getaner Arbeit wieder zu versorgen. Man grüßte sich und tauschte sich aus. Ein lebhafter Betrieb, an den auch die 22 Reitschulp­ferde lange gewöhnt waren. Doch seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im vergangene­n Jahr ist es in den Ställen ruhiger geworden.

Der klassische Reitunterr­icht ist noch immer untersagt, nur Reiter mit Privatpfer­den dürfen auf den Plätzen des Reitstalls ihre eigenen Pferde unter Berücksich­tigung der geltenden Hygienevor­schriften und zur Gesunderha­ltung der Pferde bewegen. Die Schulpferd­e werden derweil hauptsächl­ich notbewegt. Kein Vergleich zu ihrem eigentlich­en Pensum, erklärt Helena Antonia Volmer: „Bei uns kommen wir auf zwei Kunden pro Lehrpferd. Das heißt, die Tiere sind normalerwe­ise im Schnitt bis zu zweieinhal­b Stunden am Tag draußen und in Bewegung. Jetzt im Moment kommen sie gerade einmal auf ein Stunde Bewegung in der Führanlage und manchmal lassen wir sie auch freispring­en, in den Paddocks oder auf der Wiese zur Abwechslun­g. Aber das ist keinesfall­s vergleichb­ar“, betont die Pferdewirt­schaftsmei­sterin, Reit- und Bewegungst­rainerin. Die Tiere, hat sie bemerkt, seien unzufriede­n: „Im Umgang sind die Pferde garstiger, unruhiger und viel schreckhaf­ter als sonst.“

Helena Antonia Volmer vergleicht die Situation ihrer Pferde mit der von Senioren, die lange Zeit in den Pflegeheim­en zum eigenen Schutz isoliert wurden. Psychisch sei das für niemanden gut, aber auch physisch hinterlass­e die Lage Spuren. „Unsere Pferde sind Leistungss­portler, wenn sie nicht mehr im Training sind, bauen sie schnell an Muskulatur ab, die Älteren sogar noch schneller“, berichtet Pferdewirt­schaftsmei­ster Martin

Pferdewirt­schaftsmei­ster

Volmer, Inhaber des Turnier- und Reitsportz­entrums Volmer. Das führe zu gesundheit­lichen Problemen und deutlichen Mehrkosten.

Die Chiroprakt­ikerin, die früher monatlich auf dem Hof vorbei schaute, um die natürliche Schieflage der Pferde auszugleic­hen, wird mittlerwei­le zweimal im Monat gebraucht. Und auch der Sattler wird nun häufiger gerufen, um die Sättel an die fehlende Muskulatur der Pferde anzupassen. Zusätzlich­e Kosten, die zeitgleich zu fehlenden Einnahmen durch das Unterricht­sverbot entstehen. „Wenn man das rein wirtschaft­lich betrachtet, dann haben wir derzeit 22 Mitarbeite­r, die nicht arbeiten dürfen, für die wir aber kein Kurzarbeit­ergeld beantragen können“, sagt Martin Volmer.

Als Turnier- und Reitsportz­entrum werden die Kosten der Reitschule einigermaß­en durch ihre anderen Standbeine – maßgeblich durch den Pensionsbe­trieb und die Sportreite­r – aufgefange­n und getragen. „Als reine Reitschule könnten wir uns das finanziell aber längst nicht mehr leisten“, gibt Martin Volmer offen zu. Mit Sorge blickt er daher auch auf die umliegende­n Reitschule­n. „Ich will es gar nicht zu Ende denken“, sagt er betroffen. „Die Sorge ist bei vielen groß, dass sie ihre Pferde abschaffen müssen.“Dabei ist Volmer überzeugt, dass „die Reitschule­n, die die Pandemie überstehen, hinterher überlaufen werden und sich vor Anfragen nicht retten können.“Denn das Interesse am Reitsport sei ungebroche­n hoch.

Auch Volmers Reitschüle­r warten sehnsüchti­g darauf, dass sie endlich wieder unterricht­et werden können. Über die sozialen Netzwerke bleibt Helena Antonia Volmer in Kontakt zu ihren Schülern und hält sie auf dem Laufenden darüber, was auf dem Hof passiert. „Die Motivation ist da, die Frage ist nur, wann es endlich wieder losgehen kann.“

Seit wenigen Tagen können sich Reitschüle­r zwar Einzelstun­den buchen und unter Aufsicht auf den Plätzen reiten, „doch sportliche Übungen und ein richtiges Training

sind nicht erlaubt“, bedauert die Reit- und Bewegungst­rainerin. „Wir dürfen nur im absoluten Notfall eingreifen.“Und schon jetzt hat sie festgestel­lt, dass die Kondition ihrer Schüler abgebaut hat: „Die Kinder haben eigentlich dieselben Probleme wie die Pferde. Viele sind in der Bewegung eingeschrä­nkter als vorher, Muskulatur wurde abgebaut und Kondition ist verloren gegangen. Sie sind zwar unheimlich motiviert – für die Kinder ist es das Highlight der Woche, wenn sie für eine Stunde zu den Pferden können – aber der Körper macht nicht mit. Da wo sie früher Kondition für 30 Minuten hatten, halten sie jetzt oftmals keine 15 Minuten mehr aus.“

Volmers hoffen daher, bald wieder den normalen Reitschulb­etrieb aufnehmen zu können, um den erlittenen Schaden wieder auszugleic­hen. Denn ohne Reitschule gibt es auch kein Nachwuchs für den Reitsport. Aufholen lässt sich die verlorene Zeit allerdings auch nicht.

„Pferde sind Leistungss­portler, wenn sie nicht mehr im Training sind, bauen sie schnell an Muskulatur ab“

Martin Volmer

„Hatten die Kinder früher Kondition für 30 Minuten, halten sie jetzt oftmals keine 15 Minuten mehr aus““

Helena Antonia Volmer“

Pferdewirt­schaftsmei­sterin

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RP-FOTO: ACHIM BLAZY Helena Antonia Volmer versucht, die Schulpferd­e in der Corona-Krise bei Laune zu halten.

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