Schüler und Pferde leiden unter der Situation
Seit fast einem halben Jahr ist der Reitunterricht untersagt. Das fehlende Training hat negative körperliche und seelische Folgen für Mensch und Tier.
WÜLFRATH Für gewöhnlich herrschte in den Stallgassen des Turnierund Reitsportzentrums Volmer buntes Treiben: Reitschüler und Reitprofis kamen und gingen, um ihre Pferde für das Training vorzubereiten oder es nach getaner Arbeit wieder zu versorgen. Man grüßte sich und tauschte sich aus. Ein lebhafter Betrieb, an den auch die 22 Reitschulpferde lange gewöhnt waren. Doch seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im vergangenen Jahr ist es in den Ställen ruhiger geworden.
Der klassische Reitunterricht ist noch immer untersagt, nur Reiter mit Privatpferden dürfen auf den Plätzen des Reitstalls ihre eigenen Pferde unter Berücksichtigung der geltenden Hygienevorschriften und zur Gesunderhaltung der Pferde bewegen. Die Schulpferde werden derweil hauptsächlich notbewegt. Kein Vergleich zu ihrem eigentlichen Pensum, erklärt Helena Antonia Volmer: „Bei uns kommen wir auf zwei Kunden pro Lehrpferd. Das heißt, die Tiere sind normalerweise im Schnitt bis zu zweieinhalb Stunden am Tag draußen und in Bewegung. Jetzt im Moment kommen sie gerade einmal auf ein Stunde Bewegung in der Führanlage und manchmal lassen wir sie auch freispringen, in den Paddocks oder auf der Wiese zur Abwechslung. Aber das ist keinesfalls vergleichbar“, betont die Pferdewirtschaftsmeisterin, Reit- und Bewegungstrainerin. Die Tiere, hat sie bemerkt, seien unzufrieden: „Im Umgang sind die Pferde garstiger, unruhiger und viel schreckhafter als sonst.“
Helena Antonia Volmer vergleicht die Situation ihrer Pferde mit der von Senioren, die lange Zeit in den Pflegeheimen zum eigenen Schutz isoliert wurden. Psychisch sei das für niemanden gut, aber auch physisch hinterlasse die Lage Spuren. „Unsere Pferde sind Leistungssportler, wenn sie nicht mehr im Training sind, bauen sie schnell an Muskulatur ab, die Älteren sogar noch schneller“, berichtet Pferdewirtschaftsmeister Martin
Pferdewirtschaftsmeister
Volmer, Inhaber des Turnier- und Reitsportzentrums Volmer. Das führe zu gesundheitlichen Problemen und deutlichen Mehrkosten.
Die Chiropraktikerin, die früher monatlich auf dem Hof vorbei schaute, um die natürliche Schieflage der Pferde auszugleichen, wird mittlerweile zweimal im Monat gebraucht. Und auch der Sattler wird nun häufiger gerufen, um die Sättel an die fehlende Muskulatur der Pferde anzupassen. Zusätzliche Kosten, die zeitgleich zu fehlenden Einnahmen durch das Unterrichtsverbot entstehen. „Wenn man das rein wirtschaftlich betrachtet, dann haben wir derzeit 22 Mitarbeiter, die nicht arbeiten dürfen, für die wir aber kein Kurzarbeitergeld beantragen können“, sagt Martin Volmer.
Als Turnier- und Reitsportzentrum werden die Kosten der Reitschule einigermaßen durch ihre anderen Standbeine – maßgeblich durch den Pensionsbetrieb und die Sportreiter – aufgefangen und getragen. „Als reine Reitschule könnten wir uns das finanziell aber längst nicht mehr leisten“, gibt Martin Volmer offen zu. Mit Sorge blickt er daher auch auf die umliegenden Reitschulen. „Ich will es gar nicht zu Ende denken“, sagt er betroffen. „Die Sorge ist bei vielen groß, dass sie ihre Pferde abschaffen müssen.“Dabei ist Volmer überzeugt, dass „die Reitschulen, die die Pandemie überstehen, hinterher überlaufen werden und sich vor Anfragen nicht retten können.“Denn das Interesse am Reitsport sei ungebrochen hoch.
Auch Volmers Reitschüler warten sehnsüchtig darauf, dass sie endlich wieder unterrichtet werden können. Über die sozialen Netzwerke bleibt Helena Antonia Volmer in Kontakt zu ihren Schülern und hält sie auf dem Laufenden darüber, was auf dem Hof passiert. „Die Motivation ist da, die Frage ist nur, wann es endlich wieder losgehen kann.“
Seit wenigen Tagen können sich Reitschüler zwar Einzelstunden buchen und unter Aufsicht auf den Plätzen reiten, „doch sportliche Übungen und ein richtiges Training
sind nicht erlaubt“, bedauert die Reit- und Bewegungstrainerin. „Wir dürfen nur im absoluten Notfall eingreifen.“Und schon jetzt hat sie festgestellt, dass die Kondition ihrer Schüler abgebaut hat: „Die Kinder haben eigentlich dieselben Probleme wie die Pferde. Viele sind in der Bewegung eingeschränkter als vorher, Muskulatur wurde abgebaut und Kondition ist verloren gegangen. Sie sind zwar unheimlich motiviert – für die Kinder ist es das Highlight der Woche, wenn sie für eine Stunde zu den Pferden können – aber der Körper macht nicht mit. Da wo sie früher Kondition für 30 Minuten hatten, halten sie jetzt oftmals keine 15 Minuten mehr aus.“
Volmers hoffen daher, bald wieder den normalen Reitschulbetrieb aufnehmen zu können, um den erlittenen Schaden wieder auszugleichen. Denn ohne Reitschule gibt es auch kein Nachwuchs für den Reitsport. Aufholen lässt sich die verlorene Zeit allerdings auch nicht.
„Pferde sind Leistungssportler, wenn sie nicht mehr im Training sind, bauen sie schnell an Muskulatur ab“
Martin Volmer
„Hatten die Kinder früher Kondition für 30 Minuten, halten sie jetzt oftmals keine 15 Minuten mehr aus““
Helena Antonia Volmer“
Pferdewirtschaftsmeisterin