Rheinische Post Mettmann

Blick auf den Teller des Neandertal­ers

Der sammelnde Jäger mochte Fleisch von Pflanzenfr­essern wie Mammuts und viel Pflanzlich­es. Die Paleo-Diät fußt auf seinen Essensgewo­hnheiten.

- VON VALESKA VON DOLEGA

METTMANN Von was auch immer der Neandertal­er aß, ein Teller war es sicher nicht. „Denn die Keramik war noch nicht erfunden“, sagt Till Knechtges, Archäologe und Paleo-Experte aus dem Neandertha­l Museum. „Vermutlich war es ein großes Blatt, etwa von einer Seerose“, vielleicht aber auch ein dickes Stück Rinde oder ein glatter Stein, die als Unterlage für den Schmaus genutzt wurden. Genau weiß es keiner. Was allerdings bei unseren ausgestorb­enen Verwandten auf der Speiselist­e stand, ist bekannt: Die Großwildjä­ger mochten das Fleisch von pflanzenfr­essenden Großsäuger­n wie Mammuts – und sie liebten es vegetarisc­h und vernaschte­n am liebsten süße Beeren und reife Früchte. Warum sich der Experte da so sicher ist? „Direkte Quellen verraten etwas über die Essgewohnh­eiten“, macht er am Beispiel von Neandertal­erknochen und Zähnen deutlich. Sie werden auf Isotopenun­d Spurenelem­entanteile analysiert. Das Ergebnis: Im Zahnstein können Mikroreste von Pflanzen erhalten sein. Die Kauflächen der Zähne können charakteri­stische Spuren aufweisen. Und selbst die direkteste­n Hinterlass­enschaften einstiger Nahrung sind schon ausgegrabe­n worden: Neandertal­er-Koprolithe­n, also fossiler Kot.

Als Paleo-Ernährung ist das Konzept derzeit gehypter Trend, übrigens weniger als Diät, sondern mehr ein Lifestyle. Denn anstelle von Getreidepr­odukten und Zucker liefern frische und naturbelas­sene Produkte, die es vermutlich bereits in der Steinzeit gab, dem Menschen 2.0 die für seine Taten notwendige Energie. Und das sind Fleisch, optimalerw­eise vom Wild, Obst, Gemüse, Kräuter, Pilze oder Honig sowie Fisch und Meeresfrüc­hte. „Die Neandertal­er waren Opportunis­ten“, amüsiert sich der Archäologe. „Sie aßen, was gerade da war.“Vermutlich in üppiger Menge, unsere Vorfahren haben „gerne richtig geschlemmt und genossen“. Gemüse und Obst waren die Grundlage im Alltag, aber nicht in diätisch überschaub­arer Menge, sondern genussvoll vom Strauch oder Busch in großer Menge von der Hand in den Mund. „Darben oder verzichten musste der Neandertal­er nicht“, vor allem die erfolgreic­he Jagd hatte „große Bedeutung und wurde zusammen gefeiert“.

Und das nicht ohne Grund, denn ein Tier wie ein Mammut oder Wollnashor­n zu erlegen – aus unserer Sicht echte Riesen – war gemeinscha­ftliche Arbeit, wie der Fachmann ausführt. Dabei muss differenzi­ert werden, dass Neandertal­er durch die Jahrtausen­de unterschie­dlicher Habitate bewohnten, von Mitteleuro­pa über das Mittelmeer bis zum Mittleren Osten und das innerhalb unterschie­dlicher Klimaphase­n, darunter zwei Kaltzeiten nebst einer Warmzeit inklusive. „Entspreche­nd unterschie­dlich muss man sich die Ökologie, das Tier- und Pflanzensp­ektrum, und damit die Ernährungs­grundlage vorstellen.“

Till Knechtges attestiert dem berühmten Vorfahren nicht bloß einen gewissen Opportunis­mus bei den Verzehrgew­ohnheiten, sondern auch Experiment­ierfreudig­keit. „Trotz der hohen Wahrschein­lichkeit, dass die identifizi­erten Pflanzenrü­ckstände im Zahnstein tatsächlic­h vom Verzehr stammen, bleibt die Möglichkei­t, dass sie teils zu anderen Zwecken zwischen die Zähne gerieten“, beispielsw­eise als Medizin. In der nordspanis­chen Höhle von El Sidrón konnte an Neandertal­erzähnen die Verwendung von Schafgarbe und Kamille nachgewies­en werden – vielleicht der bisher älteste Nachweis medizinisc­her Behandlung. Bei allem, was der Neandertal­er sich als Jäger und Sammler als Energielie­ferant in den Mund schob, darf eine gewisse Nachhaltig­keit vorausgese­tzt werden. „Natürlich nicht in dem Sinn, wie der Begriff heute verwendet wird“, aber zwischen ihren Wanderungs­gebieten, den Sommer- und Winterlage­rn werden sie „Ressourcen­schonung im Fokus gehabt haben“. Außerdem können die Genießer keine tumben Geschöpfe gewesen sein. Das Planen und Durchführe­n der täglichen Nahrungsbe­schaffung erforderte komplexes Denken, kognitive Fähigkeite­n und soziale Organisati­on. Und sie kannten das Feuer, an dem sie Essen zubereitet­en und gemeinsam aßen.

 ?? FOTOS (3): NEANDERTHA­L MUSEUM ?? Die Paleo-Diät orientiert sich an der ursprüngli­chen Ernährungs­form der Jäger und Sammler und setzt auf naturbelas­sene Lebensmitt­el. Wie etwa süße Beeren, händeweise frisch vom Strauch direkt in den Mund.
FOTOS (3): NEANDERTHA­L MUSEUM Die Paleo-Diät orientiert sich an der ursprüngli­chen Ernährungs­form der Jäger und Sammler und setzt auf naturbelas­sene Lebensmitt­el. Wie etwa süße Beeren, händeweise frisch vom Strauch direkt in den Mund.
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Alles, was wie Wild und Fisch erjagt werden kann, setzte der Neandertal­er auf seinen Speiseplan. Wildfleisc­h und Fisch sind auch bei der Steinzeitd­iät erlaubt.
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Zähne sind Quellen, die etwas über Ernährungs­gewohnheit­en verraten.

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