Unter erschwerten Bedingungen
Rund 90.000 Schüler werden ab dem 23. April die schriftlichen Abiturprüfungen in NRW ablegen. Der Jahrgang 2021 ist wie keiner zuvor von den Corona-Maßnahmen betroffen. Ein Schüler, ein Schulleiter und eine Lehrerin berichten.
DÜSSELDORF Unterricht am Bildschirm zu Hause oder in der Schule, größere Gruppen, kleine Gruppen, Maskenpflicht, Testpflicht, verschobene Prüfungstermine und abgesagte Abschlussfahrten – wer in diesem Jahr das Abitur ablegt, hat in jedem Fall gelernt, sich immer wieder auf neue Situationen einzustellen und flexibel zu bleiben. Seit vergangenem Jahr müssen die Schüler mit dem ständigen Wechsel zurechtkommen.
Am 23. April beginnen die Abiturprüfungen in NRW. Rund 90.000 Schülerinnen und Schüler werden in diesem Jahr die schriftlichen Prüfungen ablegen, wie das Schulministerium auf Anfrage mitteilt. Für sie gab es keine Abschlussfahrten, keine Mottowochen, und auch die Abibälle fallen aus. „Das sind Dinge, auf die man sich die ganze Schulzeit gefreut hat“, sagt Thomas Niebuer. „Auch wenn wir wissen, dass es richtig ist, in der Pandemie nicht zu feiern, ist es natürlich sehr schade. Diese Zeit werden wir nie nachholen können.“
Der 18-Jährige engagiert sich im Vorstand der Landesschülervertretung (LSV) und findet es nicht fair, dass zentrale Prüfungen geschrieben werden. „Dieses Schuljahr ist wie kein Schuljahr zuvor“, sagt er. „Es gab so viele Monate keinen Präsenzunterricht. Uns fehlt die Anerkennung dieser Ausnahmesituation.“Die LSV hatte gefordert, den Schülern eine Wahlmöglichkeit zu geben, das Abitur per Durchschnittsnote abzulegen. „Die Bedingungen waren einfach viel zu unterschiedlich“, sagt Niebuer. Digitalunterricht funktioniere inzwischen an vielen Schulen zwar sehr gut, „aber wir hören auch von ganz vielen Schülern, dass es überhaupt nicht klappt“.
Lüder Ruschmeyer leitet das Städtische Gymnasium Kreuzgasse in Köln. Rund 100 Schüler werden dort am Freitag in die Prüfungen starten. „Ich kann ihre Sorgen nachvollziehen, dass sie sich nicht ausreichend vorbereitet fühlen“, sagt er. Es habe einige Bemühungen gegeben, die Schüler zu entlasten, indem etwa die Prüfungstermine in NRW um neun Schultage nach hinten verschoben worden seien, um mehr Zeit zum Lernen zu schaffen. Die Schulen bekommen außerdem bei den einzelnen Prüfungen mehr Themen zur Auswahl. Ruschmeyer: „Die Schüler können dann einen Bogen um Themen machen, die vielleicht nur im Distanzunterricht behandelt worden sind – auch das ist eine Erleichterung, die gleichzeitig aber das Anforderungsniveau nicht senkt.“
Der 62-Jährige ist davon überzeugt, dass die Bedingungen für die Schüler in NRW durchaus vergleichbar sind. „Es gibt einzelne Kreise, die noch mehr Distanzunterricht hatten als andere, aber ich kann nicht erkennen, warum ein Zentralabitur schlecht sein soll.“Das Zentralabi gewährleiste vielmehr eine Einheitlichkeit. „Und Gerechtigkeit“, sagt er. „Wenn jede Schule ihre eigenen Themen entwickeln dürfte, wäre ein Gymnasium in einem sozialen Brennpunkt möglicherweise schnell dem Vorwurf ausgesetzt, dass das Themenniveau zu niedrig war.“Ruschmeyer hält die Idee einer Durchschnittsnote aus den Leistungen
der Qualifikationsphasen für problematisch und nicht gerecht: „Das hätte man dann schon von vornherein ankündigen müssen.“
Am Gymnasium Kreuzgasse sind seit vergangener Woche alle Stundenpläne an den Abiturienten ausgerichtet. „So haben sie nachmittags immer Zeit zur Prüfungsvorbereitung, und ihr Stundenplan ist nicht so zerrissen“, sagt Ruschmeyer. „Ich bin zuversichtlich, dass die Prüfungen gut gelingen werden.“
Katrin Rößing unterrichtet Englisch und Französisch am Quirinus-Gymnasium in Neuss und kennt als Oberstufenkoordinatorin die Sorgen der Schüler. „Wir dachten ja im vergangenen Jahr schon, es war hart, aber der Jahrgang jetzt hat nochmal ganz andere, schwierige Voraussetzungen“, sagt die 47-Jährige und fügt hinzu: „Sie haben Flexibilität gelernt und Selbstorganisation – das wird ihnen auch im Studium helfen.“Selbst wenn der Digitalunterricht an ihrer Schule gut funktioniere, habe sehr viel gefehlt, sagt Rößing. „Kurze Gespräche auf dem Gang, bei denen man mal fragen kann: Wie geht es euch? Dann Situationen, die Zusammenhalt schaffen, eine Studienfahrt, die Mottowoche – das ist traurig für die Schüler, aber auch für uns Lehrer.“
Der Düsseldorfer Schüler Thomas Niebuer hat Sorge, dass das Abi 2021 ein minderwertiger Schulabschluss sein könnte, der den Absolventen den Start ins Berufsleben oder an den Hochschulen erschwert. „Die Kultusminister werden ja leider auch nicht müde, zu betonen, dass dieses Abitur nicht gleichwertig ist“, sagt er. Schulleiter Ruschmeyer aus Köln kennt diese Angst. Er sagt: „Es ist völlig richtig, dieses Abi wird nicht gleichwertig sein – es ist nämlich unter viel schwierigeren Bedingungen zustande gekommen und wird deshalb deutlich hochwertiger sein.“Das sollten seiner Ansicht nach jeder Arbeitgeber und jede Universität wertschätzen.