Rheinische Post Mettmann

„Es gibt bei dieser Entscheidu­ng keine Verlierer“

- VON JAN DREBES UND HOLGER MÖHLE

BERLIN Schweigen ist eine Kunst. Sie kann Kandidaten machen, in diesem Fall eine Kandidatin, die nach dem höchsten Regierungs­amt in Deutschlan­d greift. Jetzt weiß auch die Republik, was Annalena Baerbock und Robert Habeck schon seit Wochen wissen. Bereits „vor Ostern“haben die beiden Grünen-Vorsitzend­en laut Baerbock entschiede­n, wer von den beiden den Sturm aufs Kanzleramt anführen soll. Eigentlich wollten sie in diesem Frühjahr ihre Einigung haben, „wenn die Bäume wieder Grün sind“. Doch zumindest in diesem Punkt waren Baerbock und Habeck der Vegetation und ihrer Zeit voraus.

Seit Baerbock und Habeck an jenem 27. Januar 2018 beim Parteitag in Hannover in der Nachfolge von Cem Özdemir und Simone Peter zu den neuen Bundesvors­itzenden von Bündnis 90/Die Grünen gewählt wurden, arbeiten sie auf diesen einen Termin hin. Auf den Wahltag im Bund am 26. September dieses Jahres und das Ziel, das Bundeskanz­leramt zu erobern. Sinnigerwe­ise lautete das Motto dieses ersten Wahlpartei­tages der neuen Vorsitzend­en Baerbock und Habeck: „… und das ist erst der Anfang!“Ein Parteitags­slogan als Wegweiser.

Seither sind beide unermüdlic­h im Land unterwegs, haben sich bekannt gemacht und mit einiger Ausdauer auch den Osten bereist. Wer in der ersten Reihe der Berufspoli­tik nach Höherem strebt, lernt schnell: Man muss Kilometer machen, in diesem Fall am besten emissionsa­rm, aber nicht geräuschfr­ei, denn die grüne Botschaft soll gehört werden. Habeck sagte damals noch: „Annalena, vielleicht habe ich ja das Glück und darf der Mann an Deiner Seite sein.“Politisch gesehen. Beide sind verheirate­t. Habeck hat vier erwachsene Söhne, Baerbock zwei Töchter im Grundschul­alter.

Die beiden neuen Vorsitzend­en haben ihre Partei in Landtagswa­hlen zu teilweise bemerkensw­erten Ergebnisse­n unter anderem im einstigen CSU-Stammland

Bayern geführt, wo die einstigen Ökopaxe 2018 trotz Bienenfreu­nd Söder früher beinahe unmögliche 17,5 Prozent holten. In Hessen verteidigt­en die Grünen ihre Beteiligun­g an der CDU-geführten

Landesregi­erung. In Baden-Württember­g siegte Winfried Kretschman­n zuletzt furios. Nun soll daraus noch mehr werden. Baerbock und Habeck greifen nach der Macht im Bund – gemeinsam als Spitzen-Duo in diesem Wahlkampf, aber mit Baerbock eben ganz vorne als Kanzlerkan­didatin. Ex-Parteichef­in Claudia Roth freut sich auch über die Art der Entscheidu­ng. Eben keine Klüngelei in Hinterzimm­ern. Die jetzige Entscheidu­ng stehe

Ex-Parteichef­in „am Ende eines langen Prozesses, bei dem die Vorsitzend­en über Jahre Vertrauen gebildet, die Partei integriert und mitgenomme­n haben“, sagte Roth unserer Redaktion. Vor allem: „Es gibt bei dieser Entscheidu­ng keine Verlierer.“

Mit Renate Künast freut sich noch eine Ex-Parteichef­in nach eigener Erfahrung mit grünen Grabenkämp­fen über die Entscheidu­ng „und eine neue Art politische­r Führung“. Künast vergisst den Mann an der Grünen-Spitze nicht: „Und ganz herzlichen Dank an Robert.“Jetzt muss noch ein Wahlpartei­tag Mitte Juni grünes Licht geben.

Baerbock und Habeck sprachen am Montag in Berlin von einem Prozess, in dem sich beide auch miteinande­r seit mehr als drei Jahren befänden. Von vielen „vertrauten und vertraulic­hen Gesprächen“über die Frage aller Fragen: Wer von beiden erster Kanzlerkan­didat beziehungs­weise erste Kanzlerkan­didatin in 41 Jahren Parteigesc­hichte werden soll? Als sich die Grünen im Januar 1980 in Karlsruhe gegründet haben, war Baerbock, heute 40 Jahre, noch nicht einmal geboren. Und Habeck, heute 51 Jahre alt, steckte noch in Kinderschu­hen. Aber nun wollen beide mit ihrem Führungsst­il, der explizit auf „Kooperatio­n“angelegt sei, auch im Bund zeigen, dass Veränderun­g im ganzen Land mit einer anderen politische­n Kultur möglich sei. „Und so beginnt heute ein neues Kapitel für unsere Partei, und wenn wir es gut machen auch für unser Land“, sagt Baerbock. Miteinande­r wolle man arbeiten und nicht gegeneinan­der, betont sie. Man könnte dies an diesem Tag durchaus als Anspielung auf den Umgang in den Unionspart­eien verstehen.

Habeck hat zu diesem Zeitpunkt die Bühne der Präsentati­on schon geräumt. Sie gehört jetzt Baerbock, der Kandidatin: „Wir haben es uns beide zugetraut.“Der Erfolg habe auch „paradoxe Seiten“, hatte der frühere Landesumwe­ltminister in Schleswig-Holstein zur gemeinsame­n Entscheidu­ng noch gesagt. „Am Ende kann es nur einer machen.“Die Völkerrech­tlerin ist jetzt erklärte Nummer eins, was sie nach dem Frauenstat­ut der Partei schon vorher war. Wo es keine Doppelbese­tzung geben kann wie im Kanzleramt, haben bei den Grünen Frauen formal den ersten Zugriff. Baerbock wittert ihre Chance: „Ich bin überzeugt: Dieses Jahr ist alles drin. Und dafür geben wir unser Bestes.“Habeck werde, wenn der grüne Traum in Erfüllung gehe, eine „zentrale Rolle in einer nächsten Bundesregi­erung spielen“. Kein Vertun: „Wir möchten am liebsten diese Bundesregi­erung anführen.“

Daheim in Potsdam übrigens sei auch alles besprochen, vornehmlic­h mit ihrem Mann Daniel Holefleisc­h, aber eben auch mit den gemeinsame­n Töchtern. Denn als Kanzlerkan­didatin wird die Zeit für Familie zum äußerst knappen Gut. Doch Baerbock verspricht auch hier ihr Bestes: „Ich werde weiterhin Mutter bleiben. Und meine Kinder wissen wo mein Zuhause und mein Herz ist.“

Claudia Roth

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA

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