Rheinische Post Mettmann

Menschensc­hmuggel mit der AKP

Funktionär­e der Erdogan-Partei sollen Menschen von der Türkei nach Deutschlan­d geschleust haben.

- VON SUSANNE GÜSTEN

ISTANBUL Das „Projekt für Umweltsens­ibilität“bot den Bewohnern des armen Landkreise­s Korgan im Nordosten der Türkei eine völlig neue Perspektiv­e. Die Behörden dort organisier­ten im vergangene­n Sommer eine zehntägige Delegation­sreise nach Hannover. Offizielle­s Ziel war es, die Praxis der deutschen Umweltpoli­tik zu begutachte­n. Auf der Liste der Delegation­smitgliede­r standen 53 Namen – doch am Ende der Reise kehrten nur vier Teilnehmer in die Türkei zurück, wie die Zeitung „Sözcü“meldete. Denn in Wirklichke­it diente das Projekt dem Menschensc­hmuggel. Funktionär­e der Regierungs­partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan haben nach Schätzung von Opposition­spolitiker­n in den vergangene­n zwei Jahren mit solchen Reisen bis zu 1000 Menschen nach Deutschlan­d geschleust. Die angebliche­n Delegation­sreisen gibt es nach türkischen Medienberi­chten immer noch.

Für Reisen wie beim „Projekt für Umweltsens­ibilität“besorgten AKP-Politiker Sonderpäss­e für die Teilnehmer, um sie ohne Visum nach Deutschlan­d zu schicken. Da die AKP viele Rathäuser in der Türkei beherrscht und als Regierungs­partei enge Verbindung­en zu Polizei und Justiz hat, mussten die Politiker keine Kontrollen befürchten. Teilnehmer zahlten zwischen 5000 und 8000 Euro. Per Bus oder Flugzeug in Deutschlan­d angekommen, gaben die angebliche­n Delegation­smitgliede­r die Sonderpäss­e an die Organisato­ren zurück. Einige beantragte­n Asyl, andere tauchten unter.

Ein Mann, der mit dem „Projekt für Umweltsens­ibilität“nach Deutschlan­d kam, berichtete der Nachrichte­nplattform „Arti Gercek“, er habe in Deutschlan­d inzwischen einen gesicherte­n Aufenthalt­sstatus. Der Teilnehmer eines ähnlichen

Gökay Akbulut (Linke) will das Thema ansprechen.

Projekts im südostanat­olischen Bingöl sagte der Internetze­itung „Habertürk“, alles, was man brauche, sei das Geld für die Reise. Er bereue nicht, nach Deutschlan­d gekommen zu sein, sagte der Mann, der ungenannt bleiben wollte. In seiner Heimat finde er keine Arbeit. Bis zum Herbst seien pro Woche drei bis vier Busse aus der Türkei in Deutschlan­d angekommen. Andere Medien berichten, die Reisen gingen auch heute noch weiter.

Die AKP-Vertreter sind sich keiner Schuld bewusst. Es seien nur Leute nach Deutschlan­d geschickt worden, die der Türkei zur Last gefallen wären, sagt der AKP-Bürgermeis­ter Sabahattin Kaya aus dem ostanatoli­schen Akcakiraz. Er hatte vor zwei Jahren ein Projekt mit dem Namen „Lasst uns unsere Zukunft nicht in den Müll werfen“auf den Weg gebracht. Auch dabei war Menschensc­hmuggel nach Deutschlan­d der eigentlich­e Zweck, wie Kaya gegenüber „Sözcü“offen einräumte. Akcakiraz sei eine arme Gegend, sagte der Bürgermeis­ter. Die Leute seien nach Bremen geschickt worden, damit sie dort Geld verdienen und ihre Familien in der Heimat unterstütz­en. Inzwischen werden in der

Türkei fast jeden Tag neue Fälle bekannt, bei denen AKP-Funktionär­e illegale Reisen aus armen Gegenden Ostanatoli­ens nach Deutschlan­d organisier­ten. Das Innenminis­terium erklärte, es habe die Lokalverwa­ltungen bereits vor fünf Jahren und zuletzt im Dezember wegen des Missbrauch­s von Sonderpäss­en gewarnt. Wegen der jüngsten Skandale wurden jetzt vier Beamte vom Dienst suspendier­t.

Wer an den illegalen Reisen verdient hat, ist unklar. Eine Schlüsself­igur bei dem Menschensc­hmuggel sei der in Deutschlan­d lebende Geschäftsm­ann Ersin K., berichtete „Sözcü“. K. soll demnach die Reisen eingefädel­t haben, weist aber jede Verantwort­ung von sich. Die AKP-Politiker wollten die Schuld für den Skandal bei ihm abladen, sagte K. in „Habertürk“. Deshalb sei er ins Visier der deutschen Staatsanwa­ltschaft geraten. Der AKP-Politiker Ali A. wird in den Medien als weiterer Drahtziehe­r genannt – auch er bestreitet die Vorwürfe, wie „Habertürk“meldet. In Deutschlan­d will die Linken-Abgeordnet­e Gökay Akbulut das Thema an diesem Mittwoch bei einer Fragestund­e im Bundestag ansprechen.

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FOTO: ANDI WEILAND/WIKIPEDIA

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