Vom Tagebau zum größten See Europas
Land und Regionalwirtschaft unterzeichnen einen Milliardenvertrag zum Umbau des Rheinischen Reviers nach dem Kohleausstieg. Es soll Wasserstoffland und Touristenattraktion werden. Umweltverbände sprechen von einer Show.
DÜSSELDORF Der Kohleausstieg ist beschlossene Sache. Bis spätestens 2038 steigt Deutschland aus der Kohle-Verstromung aus. Bis 2030 schaltet vor allem das Rheinische Revier seine Blöcke ab, um Ostdeutschland eine Schonfrist zu geben. Zur Unterstützung überweist die Bundesregierung 14,8 Milliarden Euro nach NRW. Am Dienstag unterzeichneten Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) den „Reviervertrag“mit Vertretern der Zukunftsagentur Rheinisches Revier, die die Interessen der Region vertritt.
Der Anspruch ist hoch. Ziel sei es, „das Rheinische Revier zur erfolgreichsten wirtschaftlichen Transformationsregion in Europa und zum Innovation Valley zu entwickeln“, in dem Unternehmen, Gründer und Wissenschaft optimale Bedingungen vorfänden, heißt es in dem Vertrag. Damit Umbau und Planung schneller gehen, soll das Gebiet als Sonderwirtschaftszone ausgewiesen werden. „Hier sollen neue Arbeitsplätze entstehen, bevor alte verschwinden“, so Pinkwart.
Ökostrom und Wasserstoff Das Rheinische Revier soll bis 2030 zu einem führenden Wasserstoff-Standort in Deutschland entwickelt werden. Photovoltaik-Anlagen, die auf Tagebau-Seen schwimmen, und Windparks sollen den Ökostrom erzeugen, mit dem per Elektrolyse Wasserstoff hergestellt wird.
Tourismus Die Gruben der Tagebaue werden über Jahre mit Wasser gefüllt, sodass künstliche Seen entstehen. Das soll den Tourismus beflügeln: „Mit den größten künstlichen Seen Europas im Rheinischen Revier besteht die Chance, eine spektakuläre Landschaft und einen besonderen Anziehungspunkt in NRW zu schaffen“, heißt es. Dazu könnte auch die geplante Internationale Bau- und Technologieausstellung Rheinisches Zukunftsrevier, kurz: „IBTA“, beitragen. Das Konzept gab es schon einmal im Ruhrgebiet: Hier entstanden mit der Internationalen Bauausstellung Emscherpark der
Landschaftspark Nord in Duisburg oder das Gasometer in Oberhausen als touristische Attraktionen.
Arbeitsplätze RWE nimmt Zug um Zug seine Kohlekraftwerke vom Netz und schließt als erstes die Tagebaue Hambach und Inden. Garzweiler wird, so der Plan, noch bis 2038 ausgekohlt. Durch den Ausstieg fallen allein bei RWE 9000 Jobs weg. Der Abbau erfolgt sozialverträglich, die Beschäftigten erhalten ein staatliches Anpassungsgeld. Indirekt hängen aber noch weit mehr Stellen an der Braunkohle. So schreibt der Vertrag fest, dass die „50.000 gut bezahlten Arbeitsplätze in der energieintensiven Industrie im Rheinischen Revier“gestärkt werden sollen. Dazu sollen neue Industrie- und
Gewerbeflächen ausgewiesen werden. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sagte bei dem Termin zu, dass auch Bundeseinrichtungen in der Region angesiedelt werden sollen.
Wohnen „Die Schaffung attraktiver Gemeinschaftseinrichtungen, die Entwicklung neuer innovativer und bezahlbarer Wohn- und Mischgebiete sowie der Umbau der bestehenden Siedlungen sind wichtig“, heißt es im Vertrag. Damit auch klamme Anrainerkommunen sich das leisten können, gibt es einen kommunalen Entlastungspakt. Das scheint auch nötig. Manche Gemeinde kann sich nicht einmal mehr die Eigenanteile für neue Wohn- und Verkehrsprojekte leisten.
Kritik Bürgerinitiativen und Umweltverbände kritisierten den digitalen Festakt als „Show-Veranstaltung mit wenig Substanz“. Sie forderten eine transparente Auswahl der Projekte, für die nun Milliardensummen des Bundes ausgegeben werden. „Solange keine abgestimmte Planung für die ökologische Revitalisierung der von der Braunkohle geschundenen Region vorgelegt wird, bleibt der Revierpakt 2030 lediglich ein Stück Papier“, kritisierte Dirk Jansen, NRW-Chef des Naturschutzbundes BUND.
Das sei Strukturpolitik von gestern. „Sechs Dörfer und das Klima sollen dieser veralteten Politik zum Opfer fallen, das werden wir nicht zulassen“, erklärte Alexandra Brüne von der Initiative „Alle Dörfer bleiben“. Auch Kirchenvertreter sind kritisch: „Wirklich nachhaltig wäre es, wertvolle Böden nicht weiter zu vernichten und Dörfer zu erhalten“, so Jens Sannig vom Kirchenkreis Jülich.
Die Landesregierung hängt das Ganze dennoch hoch: Die Mitglieder des Kabinetts haben den Vertrag unterzeichnet, der bei genauem Hinsehen jedoch wenig Konkretes und viel Blumiges enthält. So heißt es etwa am Ende: „Die Unterzeichnenden streben an, im Rheinischen Revier ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl zu schaffen“, das die Lebensleistung der vorangegangenen Generationen mit dem berechtigten Stolz auf erfolgreichen Strukturwandel verbinde – als wenn das der Staat verordnen könnte.