Im Wechselbad der Gefühle
Die Rheinkirmes fällt aus. Einige Politiker könnten sich aber eine Herbstkirmes vorstellen.
DÜSSELDORF Zum zweiten Mal in Folge ist die größte Kirmes am Rhein abgesagt worden. Die mehr als 100 Schaustellerfamilien in Düsseldorf hatten auf den Sommer gehofft. Jetzt ist unsicher, wie sie ihre Existenz sichern können. Viele Politiker können sich eine Neuauflage des Heimatsommers vorstellen, um den Menschen in den Stadtteilen Abwechslung zu bieten und den Schaustellern Einnahmemöglichkeiten zu verschaffen. „Wir müssen überlegen, wie wir den Schaustellern
helfen können, auch finanziell“, sagt FDP-Fraktionschef Manfred Neuenhaus. „Unsere Schaustellerbetriebe sind meist Familienunternehmen. Wenn diese Betriebe in den Konkurs gehen, verlieren wir dauerhaft einen attraktiven und wichtigen Teil der Düsseldorfer Tradition. Hier ist Helfen Pflicht.“
Dem stimmt Jörk Cardeneo (Grüne), der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses, zu. „Wir sollten schauen, was die Stadt im Rahmen ihrer Möglichkeiten tun kann.“Er denkt dabei nicht in erster Linie an Zuschüsse, sondern an den Heimatsommer und neue Formate. Er hätte zudem nichts gegen eine Rheinkirmes im Oktober, wenn die Pandemie bis dahin keine relevante Rolle mehr spielt: „Wir haben ja auch schon im Mai Karneval gefeiert.“Ähnlich argumentiert CDU-Fraktionschef Rolf Tups. „Es kommt darauf an, wie sich Corona entwickelt. Wir brauchen dann von allen Seiten
Flexibilität, um schrittweise in die Normalität zurückzukehren.“Das gelte für Schausteller und Gastronomen. Sollte der Heimatsommer fortentwickelt werden, solle die Stadt unbürokratisch handeln.
Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) versprach am Nachmittag „einen schönen Sommer in der Heimat“. Die Schausteller dürften die ihnen zur Verfügung gestellten Plätze in der Stadt weiter nutzen, solange keine anderen Gründe wie etwa Baustellen dagegen sprächen. Zudem dürften sie für den Herbst etwas Corona-Konformes etwa auf dem Staufenplatz planen.
Die Rheinkirmes sowie das Schützenfest hätten vom 16. bis 25. Juli stattfinden sollen. Vier Millionen Besucher kommen für gewöhnlich. Die Veranstalter, die St. Sebastianus-Schützen, hatten sich am späten Montagabend mit Keller auf die Absage verständigt.
Die Entscheidung fiel in der Vorstandssitzung
einstimmig, wie Lothar Inden, 1. Chef des St. Sebastianus Schützenvereins, sagt. Anschließend kamen Inden und die Chefs der rund 30 Gesellschaften, die St. Sebastianus angeschlossen sind, sowie Kirmes-Architekt Thomas König mit Keller in einer Videoschalte zusammen. Inden: „Der OB hat vollstes Verständnis.“Eine Verschiebung der Kirmes in den Spätsommer oder Herbst war laut Inden jedoch keine Option. „Die Veranstalter der Fahrgeschäfte sind ja auch anderweitig unterwegs. Außerdem feiern wir am 23. Juli Apollinaris’ Gedenktag, die Kirmes muss also in diesem Zeitraum stattfinden.“Er und die Schützen seien mehr als traurig, es schmerze sehr.
Der Sprecher des Düsseldorfer Schaustellerverbandes, Oliver Wilmering, zeigte Verständnis für die Entscheidung. „So weh es tut, es war das einzig Richtige, auch wenn es für uns katastrophal ist. Aber die
Entscheidung tragen wir mit.“Eine Verschiebung oder eine Kirmes in Light-Version sei nicht machbar. Er spricht für 120 Schaustellerfamilien in der Stadt. „Wir unterstützen uns gegenseitig. Es gibt auch einige, die schon Insolvenz angemeldet oder Ausweichjobs angenommen haben.“Zurzeit gebe es nur die knapp 40 Hütten in der City. „Die sichern uns das Überleben.“Die Schausteller erhielten staatliche Hilfen, teils seien Beträge angekommen, die Gelder würden aber nicht flüssig gezahlt.
IHK-Hauptgeschäftsführer Gregor Berghausen sagt, „die Event-Dienstleister trifft es im zweiten Corona-Jahr besonders hart, weil für sie noch kein wirkliches Licht am Ende des Tunnels erkennbar ist.“Umso wichtiger sei es, dass zugesagte und beantragte Hilfen möglichst schnell ausgezahlt und gegebenenfalls noch aufgestockt würden.
Bericht Seite C3
uwe-jens.ruhnau @rheinische-post.de ie Corona-Krise verlangt den Menschen viel ab, sie sorgt für ein Wechselbad der Gefühle. Dieses wird gespeist durch eine weitere Einschränkung von Grundrechten einerseits und der Debatte um die Rückgabe dieser Rechte an Geimpfte andererseits. Die Psychologie spielt dabei eine immer wichtigere Rolle: Die Disziplin, die jetzt angesichts der dramatischen Situation auf den Intensivstationen ein- und durchzuhalten ist, darf ruhig durch eine positive Perspektive ergänzt werden. Es wäre nämlich ganz schön, sich wieder auf etwas freuen zu können. Das muss gar nicht die große Fernreise sei, ein bisschen Normalität tut’s auch. Ein Kultursommer mit vielen Open-air-Veranstaltungen ist in Arbeit, an der Arena soll unter freiem Himmel eine Tribüne aufgebaut werden, am Schauspielhaus ist eine solche bereits in Arbeit.
Natürlich ist die Absage der Rheinkirmes zu diesem Zeitpunkt vernünftig, denn wir stehen erst am Anfang einer hoffentlich erfolgreichen Impfkampagne. Niemand kann jetzt guten Gewissens Hunderte Verträge für ein Unterhaltungsspektakel mit Millionen von Besuchern machen, das vielleicht gar nicht durchgeführt werden kann. Eine große Kirmes mit beschränktem Zugang stellen sich die Organisatoren zudem kaum machbar vor. Menschentrauben vor bewachten Eingängen wären das Gegenteil der Kirmes-Leichtigkeit. Nicht aufgeben aber sollte man die Idee einer Kirmes im Spätherbst, sollte Corona dann besiegt sein – daran hätten die Düsseldorfer sicher Freude.
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