„Griechenland ist das erste Land in Südosteuropa, in dem Microsoft Datenzentren baut“
Die griechische Regierung wirbt um die Ansiedlung von IT-Firmen. Auch deutsche Investoren entdecken den Standort Hellas. Im Fokus steht eine bisher kaum bekannte Provinzstadt im Norden des Landes: Ioannina.
IOANNINA Als Philipp Deutscher, Entwicklungsingenieur beim deutschen Softwareanbieter TeamViewer, 2019 zum ersten Mal von Ioannina hörte, dachte er: Interessant. Aber wo liegt das denn? Inzwischen weiß er es: im Nordwesten Griechenlands, drei Stunden Autofahrt entfernt von Thessaloniki. Heute ist Deutscher Niederlassungsleiter von TeamViewer Greece mit Sitz in Ioannina. Die Dependance hat einen rasanten Start hingelegt. „Wir haben Ende 2019 mit 18 Mitarbeitern begonnen“, erinnert sich Deutscher. „Jetzt sind es bereits 41, dieses Jahr könnten wir die 50er-Marke erreichen, und das langfristige Ziel sind 150 Beschäftigte.“
TeamViewer aus Göppingen ist nicht das einzige IT-Unternehmen, das Griechenland als Entwicklungsstandort entdeckt hat. Vor den Schwaben siedelte sich bereits die Wiesbadener Personal und Informatik AG (P&I) in Ioannina an. Das IT-Beratungsunternehmen Prodyna betreibt eine Niederlassung im benachbarten Thessaloniki. Auch die ganz Großen zieht es nach Hellas: Microsoft will eine Milliarde Dollar in den Aufbau von drei Datenzentren seiner Cloud-Computing-Plattform Azure investieren. Damit bekomme Griechenland „ein neues Ökosystem für Software-Entwickler“, sagt Microsoft-Präsident Brad Smith. Das Unternehmen will außerdem in den nächsten fünf
Jahren 100.000 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und der Privatwirtschaft sowie Lernenden Digital-Fähigkeiten vermitteln.
„Griechenland ist das erste Land in Südosteuropa, in dem Microsoft Datenzentren baut“, sagt Alex Patelis, Chef-Wirtschaftsberater des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis, erfreut. Das sei „ein Vertrauensvotum in die Reformagenda der Regierung“, meint Patelis. Die Ansiedlung von IT-Unternehmen hat für den konservativen Premier eine hohe Priorität. Große Hoffnungen setzt die Regierung auf den Corona-Aufbauplan der EU, aus dem Griechenland bis 2026 Zuschüsse und Kredite von 32 Milliarden Euro erwartet. Ein Großteil der Gelder wird in die digitale Transformation fließen.
Damit soll das Land für Investoren aus der IT-Branche weiter an Attraktivität gewinnen. „Wir haben uns mehrere mögliche Standorte in Europa angeschaut“, sagt Philipp Deutscher. „Für Griechenland sprach die Kombination aus bisher unausgeschöpftem Talentpotenzial, guten lokalen Rahmenbedingungen und Unterstützung seitens der Politik.“Dass die Wahl auf Ioannina fiel, verdankt die Stadt vor allem ihrer Universität. Sie gehört mit ihren 20.000 Studierenden zu den angesehensten Hochschulen des Landes. Vor allem die 1993 gegründete Informatik-Abteilung genießt einen guten Ruf.
Ausgesucht hat den Standort Mike Eissele, der Chief Technology Officer (CTO) von TeamViewer. Als Universitätsstadt und Sitz mehrerer Technologieunternehmen verfüge Ioannina über zahlreiche gut ausgebildete Absolventen im Bereich der
Berater der griechischen Regierung
Software-Entwicklung, erklärt Eissele. „Zugleich ist die Konkurrenz auf dem lokalen Arbeitsmarkt weniger groß, weshalb wir gute Chancen haben, die besten lokalen Talente anzuwerben und zu binden“, ergänzt er. Ioannina sei geprägt durch viele Mitarbeitende, die noch neu im Unternehmen sind, sich aber sehr schnell eingearbeitet hätten und sich stark mit TeamViewer identifizierten, sagt Niederlassungsleiter Deutscher.
Und das, obwohl die Corona-Pandemie den Start erschwerte. Gleich im Frühjahr 2020 hatte TeamViewer in Ioannina mit dem ersten Lockdown zu kämpfen. „Das war eine große Herausforderung für Teams, die gerade erst neu gebildet wurden und dabei waren, ihre gemeinsame Kultur in der Zusammenarbeit zu entwickeln“, erinnert sich Deutscher. „Aber unsere Mitarbeiter haben diese Zeit mit Bravour gemeistert, und am Ende des Jahres hatten wir nicht das Gefühl, dass unsere Kollegen in Griechenland erst knapp ein Jahr an Bord sind, sondern eher schon mehrere Jahre.“
Die Pandemie ist für den neuen Entwicklungsstandort Ioannina Herausforderung und Chance zugleich. Bekannt ist TeamViewer vor allem durch Software-Lösungen, die es ermöglichen, aus der Ferne auf Geräte zuzugreifen und dadurch ortsunabhängig zu arbeiten. In Zeiten des Lockdowns ist das gefragter denn je. Aber es gibt Grenzen. „Insbesondere bei Brainstorming-Runden haben wir gemerkt, dass digitale Meetings die physischen Treffen nicht 1:1 ersetzen können“, sagt
Eissele. „Wir werden deshalb in Zukunft immer mehr auf ein hybrides Modell setzen, in welchem wir digitale Zusammenarbeit mit persönlicher Interaktion im Büro verbinden – auch weil uns der persönliche Kontakt mit unseren Kollegen wichtig ist und Spaß macht.“
Nachdem ausländische Investoren in den Jahren der Schuldenkrise einen großen Bogen um Griechenland
machten, rückt das Land inzwischen wieder in den Fokus, vor allem im Technologiesektor. Der Pharmakonzern Pfizer plant in Thessaloniki ein Forschungszentrum für künstliche Intelligenz und Big-Data-Analysen. Der Netzwerkausrüster Cisco eröffnete bereits im vergangenen Herbst in der nordgriechischen Metropole ein Zentrum für digitale Transformation und Fähigkeiten.
Weitere Investoren aus der deutschen IT-Branche sondieren bereits in Griechenland. Und Ioannina gehört zu den Standorten, die sie sich anschauen. „Wir werden immer wieder von potenziellen Interessenten angesprochen, man sucht unseren Rat, fragt nach unseren Erfahrungen“, sagt Philipp Deutscher. Etwa ein bis zwei solcher Gespräche führe er im Monat. Bis Ende 2022 soll in Ioannina ein neuer Technologiepark entstehen. Der Ort habe „großes Potenzial, der neue griechische Tech-Hub zu werden“, meint TeamViewer-CTO Eissele. Auch Moses Elisaf, der Bürgermeister von Ioannina, sieht seine Stadt auf einem guten Weg. Er meint: „Die deutschen Unternehmen können helfen, aus Ioannina ein griechisches Silicon Valley zu machen.“
Alex Patelis