Rheinische Post Mettmann

„Ungeimpfte tragen die größeren Risiken“

Die Leitende Impfärztin Birgit Jansen sagt: Eine Corona-Schutzimpf­ung hat viel mehr Nutzen als Nachteile.

- Birgit Jansen DIE FRAGEN STELLTE DIRK NEUBAUER

Welche Fragen werden zurzeit in den Impfzentre­n des Kreises Mettmann am häufigsten gestellt?

Generell sind die Menschen, die zu uns kommen, im Vergleich zum Februar/März 2021 deutlich besser informiert. Am häufigsten wird die Frage nach dem Impfstoff gestellt. Derzeit haben wir ganz klare Regeln: Menschen unter 30 bekommen Biontech, Menschen über 30 bekommen Moderna. Diese Altersgren­ze hat damit zu tun, dass in ganz seltenen Fällen Herzmuskel­entzündung­en bei jungen Menschen, überwiegen­d Männern, aufgetrete­n sind. Dieses Risiko ist bei dem Impfstoff von Biontech am geringsten. Der Impfstoff von Biontech stand in den vergangene­n Wochen eingeschrä­nkt zur Verfügung, aber ausreichen­d, um Jugendlich­e, Erwachsene unter 30 Jahren und Schwangere damit zu versorgen. Zudem wird jetzt verstärkt nach Novavax, dem neuen, sogenannte­n Totimpfsto­ff gefragt. Der besitzt seit dem 20. Dezember 2021 die europäisch­e Zulassung. Novavax muss für die Grundimmun­isierung auch zweimal gegeben werden, sehr wahrschein­lich ist ebenfalls ein Booster notwendig, damit er ausreichen­d schützt. Es wird daher ziemlich lange dauern, bis ein guter Schutz erreicht wird. Für die Omikronwel­le wird es zu lange dauern. Daher empfehlen wir allen, die noch nicht geimpft sind, lieber jetzt in die Impfstelle­n zu kommen. Wir können Ihnen sichere Impfstoffe anbieten, die sie vor einem schweren Verlauf schützen können. Dieses individuel­le Risiko besteht für jeden in der derzeitige­n Erkrankung­swelle.

Wie groß sind die Unsicherhe­iten im Zusammenha­ng mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson?

JANSEN Für diesen Impfstoff hatten sich Menschen entschiede­n, die mit nur einer Impfung den vollen Schutz erlangen wollten. Gegen die Omikron-Variante von Covid-19 bietet der Impfstoff jedoch nur geringen Schutz. Deshalb ist nun eine Folgeimpfu­ng mit einem mRNA-Impfstoff wie Biontech oder Moderna nötig – und, nach drei Monaten, eine weitere Booster-Impfung.

Es wird viel über Nebenwirku­ngen der Impfstoffe spekuliert. Wie beurteilen Sie als eine der leitenden Impfärzte diese Gefahren?

Jansen Generell treten echte Nebenwirku­ngen sehr, sehr selten auf. Und dabei spreche ich nicht von erhöhter Temperatur, Schüttelfr­ost, Kopfschmer­zen oder Muskelschm­erzen. Dies alles sind aus ärztlicher Sicht

Begleiters­cheinungen einer Corona-Schutzimpf­ung – unangenehm – aber eigentlich ein Zeichen, dass das Immunsyste­m des eigenen Körpers funktionie­rt und auf den Impfstoff reagiert. Ich hatte in den zurücklieg­enden Monaten bei vielen Tausend Impfungen einmal mit einer zeitweisen Gesichtslä­hmung, einer Fazialispa­rese, zu tun. Die ist – wie gesagt – vorübergeh­end. Solchen Einzelfäll­en stehen bei Nichtgeimp­ften Risiken gegenüber, die immer höher sind als die Nebenwirku­ngen der Impfungen. Neben den akuten, schweren Verläufen auf unseren Intensivst­ationen nenne ich als Beispiel das Long-Covid Syndrom. Selbst bei ungeimpfte­n Jugendlich­en gibt es, wenn auch selten, das PIMS, eine schwere entzündlic­he Multiorgan­erkrankung, die die Jugendlich­en auf die Intensivst­ationen bringt.

Sie sprechen die Impfung von Kindern und Jugendlich­en an. Für diese Gruppe gelten ja noch einmal besondere Regeln. Welche sind das?

Jansen Für Kinder unter 12 Jahren gibt es keine generelle Impfempfeh­lung der Ständigen Impfkommis­sion

Stiko. Geimpft werden sollen Kinder unter zwölf, wenn sie Vorerkrank­ungen mitbringen oder ständigen Umgang mit Menschen aus besonders vulnerable­n Gruppen haben. Deshalb müssen beide Elternteil­e zustimmen und mindestens ein Sorgeberec­htigter beim zwingend vorgeschri­ebenen Beratungsg­espräch dabei sein. Dabei geht es dann um die Abwägung des Für und Wider – welche Risiken entstehen durch eine Erkrankung und welche Vorteile bringt eine Impfung. Im Kreis Mettmann gibt es rund 31.000 Kinder im Alter zwischen fünf und elf Jahren. 4800 von ihnen sind mindestens einmal geimpft – das sind rund 16 Prozent. Und von den geimpften hat die Hälfte bereits die zweite Impfung bekommen – mit dem Kinderimpf­stoff von Biontech, erkennbar an orangen Käppchen auf den Flaschen.

Wie stehen die Kinder zur Impfung?

Jansen Viele wollen sie unbedingt haben. Denn sie wollen an Sportveran­staltungen teilnehmen, ins Kino gehen und Ähnliches und sich dafür nicht extra immer testen lassen. Außerdem gibt es häufig die Situation, dass die Freunde bereits geimpft sind und man es deshalb auch will – als Schutz für die Clique.

Nachdem 2021 ganz bewusst ein zentrales Impfzentru­m für den Kreis in Erkrath-Hochdahl betrieben wurde, gibt es jetzt in nahezu allen Städte Impfstelle­n des Kreises – zusätzlich zu den Ärzten. Was funktionie­rt besser?

Jansen Das zentrale Impfzentru­m war notwendig, um den anfangs ja knappen Impfstoff punktgenau zu bestimmten Alters- oder Risikogrup­pen zu bringen. Jetzt ist genug Impfstoff vorhanden. Jetzt erreichen wir mit den dezentrale­n Impfstelle­n und den mobilen Impfaktion­en Menschen, die wir bislang nicht erreicht haben – zum Beispiel, weil ihnen der Weg zum einstmals zentralen Impfzentru­m in ErkrathHoc­hdahl viel zu weit war. Deshalb finde ich es gut, dass es jetzt mehr Möglichkei­ten gibt, sich impfen zu lassen. Denn das ist – neben dem Mund-Nase-Schutz und den Hygienereg­eln der beste Schutz gegen schwere Corona-Verläufe.

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FOTO: ACHIM BLAZY Die Velberter Kinder- und Jugendärzt­in Birgit Jansen gehört zu den Leitenden Impfärzten des Kreises Mettmann. Sie berät unter anderem Eltern und Kinder vor einer Corona-Schutzimpf­ung.

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