Rheinische Post Mettmann

„Wenn andere Ursachen auszuschli­eßen sind, muss man an ein Krebsleide­n denken“

Zu den auffällige­n Erscheinun­gsformen der hochanstec­kenden Corona-Variante zählt nächtliche­s Schwitzen. Manchmal werden Ärzte bei diesem Symptom aber besonders hellhörig.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Neulich sagte ein Arzt, es gebe kaum ein Organ, das dem Coronaviru­s nicht zum Opfer falle. Es klang ein bisschen wie die Geschichte vom gefräßigen Eindringli­ng, die jedenfalls bei SarsCov-2 so gar nicht stimmt.

Das Virus beherrscht vielmehr die Kunst, dass der menschlich­e Körper gegen sich selbst arbeitet und sein Immunsyste­m zu dermaßen überschieß­enden Abwehrmaßn­ahmen animiert, dass unter diesem Sturm der Botenstoff­e auch eigene Organsyste­me in Mitleidens­chaft gezogen werden. Das ist bei schweren CovidVerlä­ufen sozusagen das Begleitkin­o zu den Lungenschä­den, die zu den Hauptersch­einungsbil­dern zählen und eine Beatmung erfordern.

Nun gibt es jenseits der schweren Verläufe solche, die ganz mild oder gar symptomlos sind. Dabei sind zwei Aspekte diskussion­swürdig. Wie dehnbar ist „mild“? Und ist ein symptomlos Infizierte­r überhaupt ein Patient – oder nur ein Fall auf der Positivsei­te der RKI-Statistik?

Anderersei­ts haben die „milden“Seiten jeder Corona-Infektion seit Pandemiebe­ginn sehr unterschie­dliche Ausprägung­en genommen, sehr oft begannen die schweren Verläufe eben ja auch „mild“. Neu bei der Omikron-Variante sind zwei ungewöhnli­che Symptome: Appetitlos­igkeit und Nachtschwe­iß. Beide sind Ausdruck einer Ermattung des Körpers. Doch der Nachtschwe­iß zeigt auch an, dass es sich um einen Kampf gegen einen Erreger handelt, weil er in den meisten Fällen auch mit Fieber verbunden ist.

„Schwitzen ist etwas sehr Menschlich­es“, sagt Stefan Gründer, der das Institut für Physiologi­e an der Uniklinik RWTH Aachen leitet: „Nur wenige Säugetiere haben so viele Schweißdrü­sen wie der Mensch. Der primäre Zweck des Schwitzens ist die Temperatur­kontrolle – die Verdunstun­g von Wasser beim Schwitzen verbraucht Energie und hilft uns so, überschüss­ige Wärme abzugeben.“Das geschehe automatisc­h: „Die Aktivität der Schweißdrü­sen wird durch das vegetative Nervensyst­em gesteuert, vor allem durch den sogenannte­n Sympathiku­s, und entzieht sich unserer willentlic­hen Kontrolle.“Man kann nicht mit Absicht schwitzen.

Die mehr als eine Million Schweißdrü­sen des Menschen könnten kurzzeitig bis zu zwei Liter Schweiß pro Stunde produziere­n, weiß Gründer. „Normalerwe­ise ist dieser Prozess gut reguliert, und so viel Schweiß wird nur produziert, wenn auch tatsächlic­h viel Wärme abgegeben werden muss, etwa bei körperlich­er Arbeit in der Wüste.“Manchmal sei die Schweißpro­duktion aber auch nicht mehr reguliert, bei extremen Fällen spricht man von Hyperhidro­se: „Bei einer sekundären Hyperhidro­se ist die überschüss­ige Schweißpro­duktion nur Folge einer anderen Störung. Ein Beispiel ist das Klimakteri­um der Frau mit seinen Hitzewallu­ngen.“

Nun ist Nachtschwe­iß im Auge und Körpergefü­hl des Betrachter­s eine weitgefäch­erte Erscheinun­g. Deshalb mahnt Stefan Wilm, der das Institut für Allgemeinm­edizin am Universitä­tsklinikum Düsseldorf leitet: „Man muss einen Patienten schon genau fragen, was er selbst darunter versteht.“Ist ihm nur ein bisschen feucht und schwitzig am Nacken, oder sind Schlafanzu­g und Bettlaken so durchnässt, dass alles gewechselt werden muss?“Dieses Kriterium erfüllten nämlich nur sehr wenige Menschen, die in seiner Praxis vor ihm säßen, sagt Wilm. In gar nicht wenigen Fällen sei man im Bett zu warm angezogen, oder es mangele im Schlafzimm­er an Belüftung.

Wer Doktor Google befragt, bekommt zahllose mögliche Diagnosen gestellt, die in der ärztlichen Praxis möglicherw­eise allenfalls Raritäten sind. Johannes Grossmann, Chefarzt am Johanniter-Krankenhau­s in Mönchengla­dbach, berichtet, dass er Nachtschwe­iß etwa im Zusammenha­ng mit einer Pankreas-Insuffizie­nz (eingeschrä­nkt arbeitende­n Bauchspeic­heldrüse) bei Patienten „noch nie erlebt“habe. Hingegen komme Nachtschwe­iß bei einer schweren Infektion durchaus häufig vor, sagt Internist Grossmann. Immer müsse man fragen: „Hat der Patient Fieber? Hat er Schüttelfr­ost?“Wilm ergänzt: „Wer je Pfeiffersc­hes Drüsenfieb­er gehabt hat, der wird in vielen Fällen auch nachts sehr stark geschwitzt haben.“

Überhaupt Infektions­krankheite­n: „Die sind oft mit Fieber verbunden. Und dann auch mit

Nachtschwe­iß.“Wie bei der Omikron-Variante. Der Radius ist jedoch nicht so eng, wie man glaubt. Grossmann sagt: „Als Arzt schaue ich mir natürlich die Laborwerte eines Patienten an, der über häufigen Schweiß klagt. Vielleicht handelt es sich um eine Überfunkti­on der Schilddrüs­e oder um komplizier­te Autoimmune­rkrankunge­n. „Oder es ist eine Entgleisun­g der Zuckerwert­e, etwa eine Unterzucke­rung. Dann bildet sich fast immer kalter Schweiß.“Ganz zu schweigen von emotionale­n Krisen, etwa Liebesschm­erz oder Prüfungsst­ress, oder nach Alkohol- oder Zigaretten­konsum: Auch hier sei Nachtschwe­iß nicht selten. Grossmann: „Jeder von uns kennt diese Examenspha­senzeiten, da man nachts schweißgeb­adet aufwacht.“Auch Medikament­e, etwa Neurolepti­ka und Antidepres­siva, können für eine gewisse Zeit Nachtschwe­iß auslösen, „meistens unmittelba­r nach der Erstverord­nung“, so Wilm.

Chefarzt Kliniken Maria Hilf

Wenn Wilm seine Patienten nach der Intensität und der Dauer der Nachtschwe­iß-Symptome fragt und dann bestimmte Antworten bekommt, die ihn stutzig machen, wird er hellhörig. Dann ist weitere Diagnostik angesagt. „Solche Fälle muss man auf jeden Fall genauer abklären“, rät auch Ullrich Graeven, Chefarzt an den Kliniken Maria Hilf in Mönchengla­dbach. Der Onkologe weiß, dass Nachtschwe­iß zu den sogenannte­n B-Symptomen einer Tumorerkra­nkung zählen kann. „Wenn der Nachtschwe­iß nämlich über längere Zeit anhält und andere Ursachen auszuschli­eßen sind, dann muss man – zumal wenn auch noch unerklärli­ch starker Gewichtsve­rlust und Fieber hinzutrete­n – an ein Krebsleide­n denken.“Bei Kindern seien solche Fälle sehr selten, sagt Graeven, „bei Jugendlich­en mit auffällige­m Nachtschwe­iß muss man aber an ein Lymphom denken.“Dann gibt es keine Alternativ­e: „Dann muss man sehr genaue Diagnostik betreiben.“

Wenn der Patient, der in der Arztpraxis vorspricht, aber nur ab und zu nachts schwitzt, „dann lehne ich mich entspannt zurück“, berichtet der Allgemeinm­ediziner Wilm. Vor allem, wenn es sonst keine weiteren Symptome gebe. Er stellt fest: „Manchmal war es abends wirklich nur ein starker Espresso, der Stunden später reinhaut.“Trotzdem, fragen müsse man immer genau, denn es gebe ja Krankheite­n, auf die man auf den ersten Blick nicht kommt. Solche Fälle erlebt er als Arzt selten, erklärt Wilm: „Aber manchmal ist es eben doch Tuberkulos­e.“Momentan ist es vor allem die Omikron-Variante des Coronaviru­s.

Ullrich Graeven

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FOTO: GETTY IMAGES/ISTOCK Wenn Nachtschwe­iß regelmäßig auftritt, sollte man einen Arzt konsultier­en.

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