Rheinische Post Mettmann

Kleine Objekte, große Tragödien

Die Ausstellun­g „Geschichte der Dinge“widmet sich der Frage nach der oft problemati­schen Herkunft von Alltagsgeg­enständen und Kunstwerke­n in NRW-Museen – ohne erhobenen Zeigefinge­r.

- VON HEIKO SCHMITZ

DÜSSELDORF Auf den ersten Blick liegt in der Vitrine nur eine unscheinba­re schwarze Schmuckkas­sette aus Stahlblech. Aber eine, „die es buchstäbli­ch in sich hat“, sagt Sigrid Kleinbonga­rtz, stellvertr­etende Leiterin des Stadtmuseu­ms. Sie ist stolz auf das Objekt einer sehenswert­en Ausstellun­g, die nach der „Geschichte der Dinge“fragt und seit 2020 in sieben NRWMuseen zu sehen war – Düsseldorf ist die letzte Station. Die lackierte Kassette ist eine von rund 50 Leihgaben, von deren Geschichte Besucher erfahren. Dabei geht es nicht nur um Alter, Material, Machart, Schöpfer oder den kunsthisto­rischen Wert, sondern vor allem um die Frage, wie sie in die Sammlungen der NRW-Museen gelangt sind – und ob sie da tatsächlic­h hingehören. Es geht um Rechtmäßig­keit, um Moral und berührende Geschichte­n.

„Das verbindend­e Element der zehn eigenständ­igen Kapitel der Ausstellun­g ist die Provenienz­forschung, die immer größere Bedeutung erlangt und der Frage nachgeht, wo die Objekte in unseren Museen herkommen“, sagt Ute Christina Koch vom Landschaft­sverband Westfalen-Lippe (LWL). Sie hat die Ausstellun­g seit 2017 mit Verena Burhenne im LWL-Museumsamt geplant und organisier­t. Klar ist: Oft gibt es „Entzugs- und Unrechtsko­ntexte“bei den Gegenständ­en: Sie wurden einst konfiszier­t, geraubt oder geplündert, ihre Besitzer enteignet, übervortei­lt, betrogen oder sogar ermordet. Oft landeten die Objekte später in Museen oder privaten Sammlungen. Es überrascht daher nicht, dass die Ausstellun­g unter anderem Enteignung­en der NS-Zeit oder aus der DDR, Strafexped­itionen und Raub in der Kolonialze­it, Plünderung­en in Kriegen, aber auch den Kunsthande­l und seine Akteure zum Thema macht.

Grund genug, genau hinzuschau­en, wie das Stadtmuseu­m jetzt bei seiner Münzsammlu­ng: In der Kassette aus Düsseldorf, die bei einer Depotverla­gerung geborgen wurde, befanden sich Münzen, Medaillen und Plaketten, die nicht inventaris­iert waren. Die Kassette selbst trägt eine Nummer, die in roter Farbe auf einem aufgeklebt­en Etikett steht und die zu einem Eintrag von 1939 gehört: „Silbermünz­en aus jüdischem Besitz, den Sammlungen durch Vermittlun­g des Stadtkämme­rers vom Leihamt angeboten.“

Kleinbonga­rtz vermutet, dass die Münzen aus einer Pfandleiha­nstalt stammen. „1938 zwang eine Verordnung die jüdischen Bürgerinne­n und Bürger, Edelmetall­e abzugeben – für einen Bruchteil ihres realen Wertes.“Unklar bleibt, wem die Münzen gehörten. Anders bei den Büsten aus Biskuit-Porzellan in der Nachbarvit­rine aus dem Hagener Stadtmuseu­m. Sie stammen aus einer Sammlung der jüdischen Kauffrau Clara Marx, die von den Ankauferlö­sen keinen Pfennig sah und 1944 in Theresiens­tadt ermordet wurde. „Es geht in der Ausstellun­g nicht um monetäre Werte und große Namen. Es ist keine Kunstausst­ellung. Es geht um die Geschichte jedes einzelnen Objekts. Manchmal steckt hinter kleinen Gegenständ­en eine große Tragödie“, sagt Koch.

Sorge, dass sich unsere Museen schlagarti­g leeren, wenn die Provenienz­forscher ihrer Detektivar­beit nachgehen, haben die Expertinne­n nicht. „Es steckt ja nicht hinter jedem Objekt ein Unrechtsko­ntext“, sagt Koch. Oft sei eine Einigung mit der Familie möglich. Die meisten Stücke seien im Museum besser aufgehoben als im Wohnzimmer der Erben. „In Ausstellun­gen lassen sich durch die Präsentati­on die Kontexte und das Andenken bewahren – und die Geschichte der Dinge für ein breites Publikum aufbereite­n“, sagt die Kuratorin. Sie ist sicher: Durch die Provenienz­forschung werden unsere Museen reicher, nicht an Gegenständ­en, aber an Geschichte­n.

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FOTO: LWL/ KAINULAINE­N Dieser Gedenkkopf aus dem Königreich Benin wurde vermutlich erst Mitte des 20. Jahrhunder­ts hergestell­t und kam nicht infolge einer „Strafexped­ition“der Briten 1897 nach Europa.

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