Der Mann, der Männerleben leichter macht
Tim Prell coacht Männer, die unglücklich sind, aber nicht wissen wieso. Sein Plan: Männer zum Reden bringen, auch über ihr Rollenbild.
DÜSSELDORF Der Mann, der Männern das Leben leichter machen will, sitzt tief in seinem Sessel, die Beine übereinandergeschlagen, die Hände nachdenklich aneinandergelegt. Graues Haar, Retro-Brille, neue Sneaker. Tim Prell sieht, wenn man das so sagen kann, gar nicht so maskulin aus, wie man sich einen Männercoach vielleicht vorstellt, zumindest wenn man in Klischees denkt. Nicht so maskulin, wie seine Werbung es einen glauben lässt.
Die Worte schreien einen förmlich an: „Männerleben leichter machen“, steht da in breiten Lettern, schwarz und gelb, auf den Broschüren und der Homepage. Der kleine Beratungsraum in einem Wohnhaus in Flingern-Nord, auch gehalten in Schwarz und Gelb, hat hingegen etwas Therapeutisches. Zwei Sessel, die sich gegenüberstehen, Blickkontakt garantiert. Jeder Platz ist garniert mit einem Tischchen, einer Karaffe Wasser und einem Glas. An der Wand hängt ein Gemälde mit zwei traurig blickenden Jungen. Tim Prell sitzt am Fenster, zugewandt und konzentriert, er ist bereit zum Zuhören.
Ihm gegenüber nehmen nur Männer Platz, genauer gesagt unglückliche Männer. Tim Prell ist philosophischer Praktiker und Coach. Früher hat er Menschen beraten, die vor einem beruflichen Umbruch standen, die unglücklich waren mit dem Job und nicht wussten, wie es weitergehen sollte. Seit eineinhalb Jahren hat er sich auf Männer spezialisiert. „Die Manndanten“heißt seine Beratung passenderweise, ein „Coaching für Männer, die den ganzen Menschen in sich entdecken und mehr vom Leben haben wollen“, schreibt er.
Was soll das bedeuten? Und, jetzt mal ehrlich, haben Männer es nicht schon leicht genug? Sie arbeiten doppelt so häufig in Führungspositionen, verdienen bis heute mehr als Frauen, sogar im gleichen Job, sie übernehmen weniger unbezahlte Familienarbeit, haben seltener Angst, im Dunkeln alleine nach Hause zu laufen, und selbst Crashtest-Dummies sind gebaut wie Durchschnittsmänner, um nur wenige populäre Punkte zu nennen. Tim Prell lacht. Der Spruch hat funktioniert, sagt er.
Es geht nicht um Einfluss und Macht und Bezahlung in seinem Coaching, sagt er, natürlich seien Männer privilegiert. „Mir geht es nicht darum, das umzudrehen“, sagt Prell. „Männer sind nicht die Opfer.“Bei ihm geht es ums Glücklichsein. Und glücklich seien viele Männer nicht.
Was er dann erzählt, klingt viel weniger nach Klischee, als seine Werbung es einen glauben lässt. Es hat nichts mit bedrohter Männlichkeit oder Machtverlust zu tun, nichts mit Kraftseminaren im Wald, Potenzproblemen oder Verführungstechniken, ganz im Gegenteil. Es geht um Männlichkeit, aber abseits des traditionellen Rollenbilds. Denn das mache viele Männer nicht mehr glücklich, sagt Tim Prell – es lasse ihnen noch nicht einmal Raum, um glücklich oder unglücklich zu sein.
Der Coach hatte eigentlich damit gerechnet, dass sich Klienten Mitte 40 angesprochen fühlen würden, in der klassischen Midlife-Crisis. „Überraschenderweise ist das nicht der Fall“, sagt Prell. Die Männer sind jünger, meist in ihren 30ern, nicht selten selbstständige Unternehmer, die offen sind für seinen Ideen und nicht scheuen, sich Hilfe zu holen. „In den kommenden Generationen ist die Halbwertszeit von traditioneller Männlichkeit offenbar kürzer“, sagt Prell. „Und das ist gut so.“
Ihre Probleme beginnen mit der Sprache. Die meisten Männer, die Tim Prell gegenüber im Sessel sitzen, kämen mit demselben Symptom: Sie erkennen sich selbst nicht wieder. Sie sprächen von einem Gefühlsbrei, einem undefinierbaren
Klumpen, der sie unzufrieden und gereizt mache. Es laufe nicht mehr so richtig, im Job, in der Beziehung, im Freundeskreis. Viele sagen, die Leichtigkeit sei verloren gegangen. Aber was das Problem eigentlich ist, können sie nicht benennen. „Ich will den Männern zur Sprache verhelfen“, sagt Tim Prell.
Alexithymie, das ist der Fachbegriff für Gefühlsblindheit. „Viele Männer haben keine Worte für ihre Gefühle“, sagt Prell. „Sie können nur ein dumpfes Unwohlsein kundtun.“Während Frauen sich mit Freundinnen treffen, um sich zu unterhalten, Probleme auszusprechen und durchzukauen, sich gegenseitig Rat zu geben, fehlt vielen Männer ein solches Netz. Über Gefühle zu lachen, zu weinen, sie herauszubrüllen oder auch nur darüber zu sprechen, scheint einigen noch fern. Stattdessen flüchteten sie sich, sagt Prell, in die Karriere, in den Sport, in abenteuerliche Reisen, verbeißen sich in Hobbys.
„Und irgendwann fragen sie sich: Entspricht mein Leben eigentlich meinen Bedürfnissen?“, sagt Prell. Also versucht der Coach, sie zum Reden zu bringen. Und dafür müssten sie die Grenzen traditioneller Männlichkeit verlassen. Immer alles richtig zu machen, zu managen, stark zu sein, bloß keine Fehler einzugestehen – noch immer glaubten viele, diesem Bild entsprechen zu müssen.
In der ersten Coaching-Sitzung sollen die Männer grundlegende Fragen beantworten wie: Wie agieren Sie in unterschiedlichen Rollen, im Job, in der Familie, bei einem Date? Wofür verurteilen Sie sich? Was ist die beste und die schlechteste Beziehung in Ihrem Leben? Oft landeten die Beratungen bei den Beziehungen zu Freunden, Kollegen, Partnerinnen, Eltern. Oft gehe es um die Mütter, sagt Prell. Ein Muster beobachte er häufiger: Die Mutter, die mit der eigenen Beziehung zum Vater unglücklich ist und ihren Sohn zu einem besseren Mann machen will.
Auch wenn es den Männern helfen mag, ist das, was Tim Prell macht, ein Coaching, keine Therapie. 300 Euro zahlen sie nach einem kostenlosen Vorgespräch für die erste Bestandsaufnahme. Es folgt ein Treffen alle zwei Wochen, je 150 Euro. Das geht so lange, bis Coach und Klient das Gefühl haben, es brauche die Beratung nicht mehr. Meist sei das nach einem halben bis dreiviertel Jahr der Fall.
Tim Prell will die Männer ermutigen, ihr Leben mehr nach ihren Bedürfnissen zu gestalten, auch wenn diese nicht typisch männlich sind. Vielen helfe es allein, die Sprachlosigkeit zu überwinden. „Sie wissen dann oft schon, was zu tun ist.“Für manche sei das ein anderer Blick auf die Paarbeziehung, für andere auf die Rolle als Chef, als Vater oder als Sohn.
Das Bild mit den traurigen Jungen an der dunklen Wand, eine Replik des Künstlers Alex Katz, sei oft Thema in den Gesprächen. Die beiden stehen nebeneinander, schauen sich nicht an, einer hat Tränen in den Augen. „Das ist da, wo wir sonst landen werden“, sagt Tim Prell. „Bei traurigen Jungen.“