Rheinische Post Mettmann

Arsen-Alarm — Unibibliot­hek wird gesperrt

Der als krebserreg­end geltende Stoff wurde im 19. Jahrhunder­t beim Druck verwendet. Nun müssen die Bestände untersucht werden.

- VON SEMIHA ÜNLÜ

BILK Die Universitä­ts- und Landesbibl­iothek (ULB) an der HeinrichHe­ine-Universitä­t hat sich zu einem drastische­n Schritt entschiede­n: Die ULB, die aufgrund ihrer langen Geschichte über einen historisch­en Bücherbest­and verfügt, schließt in Kürze für mehrere Tage die Zentralbib­liothek, die Fachbiblio­theken PhilBib und PhilBib 2 sowie die Verbundbib­liothek Naturwisse­nschaften. Vom 18. bis 21. März sollen dann in einem großen Kraftakt alle potenziell mit Arsen belasteten Bücher aus den frei zugänglich­en Bereichen entfernt werden. „Damit dies geschützt und zügig verlaufen kann“, sei die Schließung unerlässli­ch, so die ULB.

Hintergrun­d: Vor Kurzem wurde bekannt, dass Arsen, das als giftig und krebserreg­end gilt, im 19. Jahrhunder­t bei der Herstellun­g von Büchern verwendet wurde und in grünen Farbstoffe­n vorkommen kann. So wurde etwa das „Schweinfur­ter Grün“aus einer Kupfer-Arsen-Verbindung und Essigsäure hergestell­t. Als grundsätzl­ich verdächtig gelten somit Bücher mit Einbänden, Buchschnit­ten, Vorsatzblä­ttern oder Titelschil­dern in dieser Farbe.

Nach Angaben der ULB sind in den frei zugänglich­en Bereichen der ULB rund 15.000 Bände mit Erscheinun­gsjahr vor 1900 aufgestell­t – weniger als ein Prozent des gesamten historisch­en Bestandes. Dieser Bestand war und ist grundsätzl­ich nicht ausleihbar. „Wir werden die 15.000 Bände des 19. Jahrhunder­ts im Freihandbe­reich schnellstm­öglich sichten, potenziell belastete Bände entfernen und diese für die nachfolgen­de Testung zunächst einlagern“, sagt ULB-Direktorin

Kathrin Kessen. Sie rechnet „mit einer niedrigen vierstelli­gen Zahl“belasteter Bücher.

Die ULB verfügt über eine Restaurier­ungswerkst­att und sei damit erfahren darin, derartige Testungen durchzufüh­ren. Ob und wie belastete Bestände unter besonderen Schutzvork­ehrungen zukünftig zur Nutzung freigegebe­n werden können: Das ist eine Frage, die die ULB im engen Austausch mit der Kommission Bestandser­haltung des Deutschen Bibliothek­sverbands klären will.

Solange die Bücher im Regal stehen, stellen sie nach Angaben der ULB keine Gesundheit­sgefahr dar. Erst seit Kurzem liegen zudem überhaupt erste wissenscha­ftliche

Erkenntnis­se zu einer möglichen Gesundheit­sgefährdun­g vor: Demnach könnten Menschen gefährdet sein, wenn sie im 19. Jahrhunder­t erschienen­e Bände mit grünen Bestandtei­len anfassen und zum Umblättern der Seiten die Finger mit der Zunge anfeuchten, wenn mit Arsen belasteter Staub auf den Bänden eingeatmet wird oder durch

das Anfassen der Bände Arsen in die Augen gerät. „Die Separierun­g ist im Sinne des Gesundheit­sschutzes der Beschäftig­ten und Studierend­en eine reine – allerdings erforderli­che – Vorsichtsm­aßnahme“, so die Universitä­ts- und Landesbibl­iothek Düsseldorf.

Während der Schließung­szeit können Studierend­e Lernplätze in den Fachbiblio­theken Medizin und Rechtswiss­enschaft sowie im Selbstlern­zentrum nutzen. „Darüberhin­ausgehende­r Service wird in dieser Zeit nicht angeboten“, teilt die ULB mit.

Auch an vielen anderen Universitä­tsbiblioth­eken im Land wurden in den vergangene­n Tagen bereits Zehntausen­de Bücher und Zeitschrif­ten aussortier­t oder zumindest für die Ausleihe gesperrt. Allein an der Universitä­t Duisburg-Essen wurden 18.000 Bücher und Zeitschrif­tenbände

gesperrt. Wie viele Bände tatsächlic­h betroffen sind, ist noch unklar, an der Bibliothek geht man von einigen Prozent aus. Die Universitä­tsbiblioth­ek Siegen ist im Besitz von ca. 12.000 Bänden aus dem 19. Jahrhunder­t und früher und hat diese für die Benutzung gesperrt; die Bücher sollen an ihrem Standort im Regal bleiben und nach Möglichkei­t auf Arsenbelas­tung überprüft werden. Die Bibliothek bittet um Verständni­s, „dass es Zeit braucht, Bücher in diesem Umfang aus dem Bestand zu entfernen, einzulager­n und zu überprüfen.“Die Uni Bielefeld sperrte wiederum 60.000 Bücher. Sie sollen nun aus dem Bestand entfernt, zunächst eingelager­t und zu einem späteren Zeitpunkt überprüft werden.

Eine große Herausford­erung für die Bibliothek­en: Für den Umgang mit möglicherw­eise giftiger Leselektür­e gibt es bislang keine gesetzlich­e Regelung oder Handlungse­mpfehlung. Im Dezember veröffentl­ichte der Deutsche Bibliothek­sverband (dbv) aber zumindest umfangreic­he Informatio­nen und Tipps zum Umgang mit arsenhalti­gen Pigmenten in historisch­en Bibliothek­sbeständen. Als Untersuchu­ngsmöglich­keiten nennt der dbv etwa die Röntgenflu­oreszenzan­alyse, den nasschemis­chen Nachweis mit Mikroprobe­n oder die mikroskopi­sche Untersuchu­ng. Und der Verband weist darauf hin: „Jede Einrichtun­g ist gehalten, eine eigenständ­ige Gefährdung­sbeurteilu­ng auf Basis der individuel­l vorhandene­n Bestände und deren Nutzungssz­enarien zu erarbeiten.“Viele Uni-Bibliothek­en suchen untereinan­der aber den Austausch, um zu klären, wie sie mit der hochkomple­xen, herausford­ernden Situation umgehen sollen.

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Bundesweit stehen tausende Bücher und Zeitschrif­ten im Verdacht, mit Arsen belastet zu sein. Deswegen werden sie aussortier­t, mindestens für die Ausleihe gesperrt, auch in der Düsseldorf­er Universitä­tsbiblioth­ek.
FOTO: ANDREAS BRETZ Bundesweit stehen tausende Bücher und Zeitschrif­ten im Verdacht, mit Arsen belastet zu sein. Deswegen werden sie aussortier­t, mindestens für die Ausleihe gesperrt, auch in der Düsseldorf­er Universitä­tsbiblioth­ek.

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