Rheinische Post Mettmann

Wende im Prozess um Messerstec­herei

Der 25-jährige Haaner Abdul S. musste sich vor Gericht verantwort­en, weil er im Sommer auf den neuen Freund seiner Ex eingestoch­en haben soll.

- VON SABINE MAGUIRE

ERKRATH/WUPPERTAL Um 13.33 Uhr hat Jochen Kötter genug gehört vom Zeugen. Der Vorsitzend­e Richter unterbrich­t die Verhandlun­g, er wolle ein Rechtsgesp­räch mit den Prozessbet­eiligten führen. Eine Stunde später verkündet Kötter im Prozess des wegen versuchten Totschlags angeklagte­n Abdul S. das Urteil: Freispruch!

Eine Überraschu­ng war dieses Urteil nicht, nachdem sich das Opfer der Messeratta­cke zuvor in Widersprüc­he verwickelt hatte. Die beiden Männer waren in der Nacht des 13. August 2023 aneinander­geraten, der Angeklagte ist der ExPartner der Freundin des Opfers. Eine Eifersucht­stat lag nahe, auch für das Gericht.

„Was soll man diesem Zeugen überhaupt noch glauben“, sprach der Vorsitzend­e dann in der Urteilsbeg­ründung über das, was sich zuvor im Gerichtssa­al abgespielt hatte. Das vermeintli­che Opfer – ein 24-jähriger Inder – hatte bis zuletzt bestritten, mit einer Flasche auf Abdul S. eingeschla­gen zu haben. Bei der Polizei hatte er noch gesagt, der Angeklagte habe die Flasche selbst mitgebrach­t. Dem Gericht erzählte er nun eine andere Version der Geschichte: Er habe die Bierflasch­e zufällig im Rucksack gehabt. Kurz darauf war klar: Er hat die Flasche absichtlic­h mitgebrach­t, das habe sogar seine Freundin gewusst. Die offenkundi­ge Lüge gipfelte in der

Behauptung, Abdul S. habe sich die Flasche „selbst über den Kopf gehauen“. Dass der Afghane am Kopf verletzt worden war, ist unbestritt­en.

Das Gericht hatte vor allem eine Frage zu klären: Hat Abdul S. den neuen Freund seiner Ex-Partnerin angegriffe­n? Oder hat er aus Notwehr mit dem Messer zugestoche­n? Bestritten hatte der 25-Jährige die Messerstic­he nicht, die Geschehnis­se in der Nacht im August 2023 schilderte er so: Er sei zuerst mit der Flasche auf den Kopf geschlagen worden. Zuvor habe es Streit mit seiner Ex um den gemeinsame­n Sohn gegeben. Er habe darauf gedrängt, dass der knapp Zweijährig­e in den Kindergart­en geht – die

Kindsmutte­r habe das nicht gewollt. Es habe ihr gesagt, dass sie nicht alles allein entscheide­n könne. Sie habe ihm Monate zuvor einen Zettel hingelegt und gesagt, er solle unterschre­iben. Dass er damit auf sein Sorgerecht verzichtet hatte, sei ihm erst später klar geworden. An jenem Abend habe er gehofft, über den neuen Freund seiner Ex auf sie einwirken zu können.

Zuvor hatte Abdul S. das vorgelesen, was er in der Haft auf 27 Seiten über sein Leben in Afghanista­n und seine Flucht nach Deutschlan­d in 2015 aufgeschri­eben hatte. Er sei im Krieg aufgewachs­en, mit 15 schicken ihn die Eltern mit dem jüngeren Bruder auf den gefährlich­en Weg nach Europa mit den Worten:

„Besser einmal sterben, als jeden Tag“. Er habe geweint und das nicht gewollt. Es sei hart gewesen auf der Flucht, zu Fuß durch die Türkei, er habe Tote gesehen. Auf dem Boot nach Griechenla­nd hätten 50 Menschen übereinand­erlegen und geschrien, Kinder seien in Ohnmacht gefallen. In Deutschlan­d angekommen, sei es gut für ihn gelaufen. Er macht den Realschula­bschluss, beendet eine Lehre zu Mechatroni­ker. Er bekommt einen Job, ist ehrgeizig.

Derweil bahnt sich privat eine Katastroph­e an: Seine Freundin ist erst 15, als sie sich 2017 verlieben. Der Vater des Mädchens taucht bei ihm auf, es gibt Streit. Er will sich trennen, sie steht immer wieder bei

Vorwurf wurde nun fallen gelassen

Anklage Am 13. August 2023 hatte Abdul S. (25) aus Haan auf den Freund seiner Ex-Partnerin in Erkrath eingestoch­en. Nach nur zwei Verhandlun­gstagen wurde der Angeklagte nun vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigespro­chen. Das Opfer hatte sich nämlich bei der Aussage in Widersprüc­he verwickelt, des Gericht konnte am Ende Notwehr nicht ausschließ­en

ihm vor der Türe. „Mit blutenden Armen“, offenbar hat sie sich selbst verletzt. Er erträgt es nicht, sie so zu sehen. Seine Eltern wollen ihn in Afghanista­n mit seiner Cousine verheirate­n, er mag sie, er freut sich auf die Hochzeit. Als er das seiner On-Off-Freundin in Deutschlan­d erzählt, wird sie schwanger. Er bittet sie, das Kind abzutreibe­n, sie seien beide noch zu jung. Sie will das nicht, nach der Geburt des Sohnes verändert sie sich. Sie trifft andere Männer, er sieht „Nacktfotos“auf ihrem Handy. Er will, dass sie auszieht und weil sie keine Bleibe findet, überlässt er ihr und dem Kind seine Wohnung. Als es um den Sohn geht, bricht der Angeklagte in Tränen aus. Er kann das, was er aufgeschri­eben hat, nicht weiter vorlesen, das übernimmt sein Verteidige­r Olaf Heuvens.

Wie es nun weitergeht nach dem Freispruch für seinen Mandanten? Heuvens ist optimistis­ch: Abdul S. habe in Haan eine Tante und auch sein Bruder wohne in der Nähe. Schulabsch­luss, Berufsausb­ildung und nahezu perfekte Deutschken­ntnisse: Der 25-Jährige habe schon vieles geschafft in Deutschlan­d, worauf er aufbauen könne.

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ARCHIVFOTO: MAGUIRE Der 25-Jährige Haaner erklärte sich vor Gericht.

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