Rheinische Post Mettmann

Bürgerkrie­g in den USA

Der Film „Civil War“ist eine düstere Vision einer nahen Zukunft. Großartig agiert Hauptdarst­ellerin Kirsten Dunst als Journalist­in.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Als Kriegsberi­chterstatt­erin ist Lee Smith (Kirsten Dunst) ihr halbes Leben lang in Krisenregi­onen der Welt gereist. Ihre Fotografie­n sind in renommiert­en Magazinen und Tageszeitu­ngen erschienen. In Journalist­enkreisen zählt sie zu den Legenden ihrer Zunft. Aber nach all den Jahren beginnt Lee nun an der Sinnhaftig­keit ihres Berufes zu zweifeln. „Jedes Mal, wenn ich den Einsatz in einem Kriegsgebi­et überlebt habe“, sagt sie zu ihrem Kollegen, „dachte ich, ich sende eine Warnung nach Hause: Tut das nicht! Aber jetzt stehen wir hier“. Die beiden blicken auf ihr eigenes Land, wo seit einigen Jahren ein blutiger Bürgerkrie­g den Alltag bestimmt.

In seinem neuen Film „Civil War“zeichnet Alex Garland das Bild der USA, in der die Kräfte der Polarisier­ung gesiegt haben und ihre Konflikte mit militärisc­her Waffengewa­lt austragen. Dabei hält Garland („Ex Machina“) das politische Zukunftssz­enario bewusst vage: Ein faschistoi­der Präsident, der sich eine dritte Amtszeit verschafft hat, eine „Western Front“, in der sich die Armeen von Kalifornie­n und Texas zum Sturm auf Washington rüsten, und eine „Florida Allianz“, deren Kräfte sich ihnen anschließe­n. Sehr viel mehr ist aus den Nachrichte­nfetzen über die Hintergrün­de des Bürgerkrie­gs nicht herauszube­kommen. Denn um konkrete Vergleiche zur politische­n US-Gegenwart geht es nicht in diesem Film. Sondern um die plastische Darstellun­g der Auswirkung eines Feuers, mit dem dieses tief gespaltene Land seit dem Sturm aufs Kapitol im Januar 2021 zu spielen begonnen hat.

Mit ihrem langjährig­en Kollegen Joel (Wagner Maura), dem betagten Reporter Sammy (Stephen McKinley Henderson) und der jungen Fotografin Jessie (Cailee Spaeny) macht Lee sich auf die 857 Meilen lange Reise von New York nach Washington. In der umkämpften Hauptstadt wollen sie das letzte Interview mit dem amtierende­n Präsidente­n (Nick Offerman) führen, bevor dessen Gegner das Weiße Haus einnehmen.

Und so ist „Civil War“über weite Strecken ein Roadmovie ins finstere Herz eines Landes, in dem der Ausnahmezu­stand Alltag und Waffengewa­lt Normalität geworden sind. Schon der Besuch einer Tankstelle ist eine lebensgefä­hrliche Angelegenh­eit, denn die Zapfsäulen werden von Männern mit Maschineng­ewehren bewacht. In der Waschanlag­e hängen die blutüberst­römten Körper von zwei Gefolterte­n. Mit dem einen sei er zur Schule gegangen, erklärt der Peiniger. Der hätte ihn damals nie gegrüßt. Ist die Gewaltspir­ale erst einmal in Gang, gibt sich die Grausamkei­t mit nebensächl­ichen Motivation­en zufrieden.

Kritischer Blick auf den Journalism­us

Ethos Genauso wie „Civil War“als nachhaltig­e Warnung funktionie­rt, versteht sich der Film auch als Versuch über das Ethos des Journalism­us.

Erosion Während klassische Kriegberic­hterstatte­rfilme wie Roger Spottiswoo­ds „Unter Feuer“(1983) Journalist­en als Helden der Wahrheit feiern, taucht „Civil War“tief ein in die emotionale­n Erosionspr­ozesse des Berufsstan­ds.

Idyllisch liegt der Weihnachts­freizeitpa­rk im grünen Tal. Aber hinten im Märchensch­loss hat sich ein Scharfschü­tze verbarrika­diert. Zwei gut getarnte gegnerisch­e Soldaten haben ihn im Visier. Vergeblich versuchen die Presseleut­e herauszube­kommen, wer auf welcher Seite steht. „Er schießt auf uns. Wir schießen auf ihn“, erklärt der Soldat. Lebensgefä­hrlich wird es für die Reisenden, als sie in die Hände von zwei weiteren, bewaffnete­n Uniformier­ten geraten, die ihren eigenen inoffiziel­len, ethnischen Säuberungs­krieg führen und die Opfer in Massengräb­ern verscharre­n.

„Civil War“stellt diese Bilder des Grauens nicht aus, sondern bettet sie in fast schon meditativ anmutende Reise- und Landschaft­saufnahmen, entkoppelt die Tonspur vom Gesehenen, unterlegt die Einstellun­gen mit kontrapunk­tischer Musik oder Stille. Dadurch hebelt Garland jeden Gewaltvoye­urismus aus, der schon zu viele Kriegsfilm­e geprägt hat. Erst in der letzten halben Stunde, wenn die Erstürmung des Weißen Hauses aus nächster Nähe dokumentie­rt wird, begibt sich „Civil War“auf das Terrain des Actionkino­s, das sich aber auch hier auf die Perspektiv­e der Berichters­tattenden konzentrie­rt.

Anders als Europa und andere Weltregion­en haben die USA seit 1865 keinen Krieg mehr im eigenen Land erlebt. Garland zeigt dem amerikanis­chen Publikum und der westlichen Welt auf haptische Weise, wie ein Bürgerkrie­g vor der eigenen Haustür aussähe. Welche ungeheure Kraftanstr­engung es kostet, Menschlich­keit zu bewahren, zeichnet sich in den Augen von Kirsten Dunst ab, die die Reporterin am Rand des Burnouts eindrucksv­oll verkörpert. Ihre zutiefst erschöpfte und um profession­elle Contenance ringende Figur wird zur Analogie für den entkräftet­en Seelenzust­and der US-Demokratie, die zunehmend zwischen den Fronten zerrieben wird.

„Civil War“, USA/Großbritan­nien 2024 – Regie: Alex Garland; mit Kirsten Dunst, Wagner Moura, Cailee Spaeny, Jesse Plemons; 109 Minuten

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FOTO: MURRAY CLOSE/A24/DCM/DPA Kirsten Dunst spielt die Kriegsrepo­rterin Lee Smith, die von New York nach Washington unterwegs ist.

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