Rheinische Post Mettmann

Das bringt der Girls’ Day wirklich

Fast ein Fünftel aller Beschäftig­ten in der IT sind weiblich, doppelt so viele wie 2013. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Ingenieurw­issenschaf­ten bei vielen Frauen nach wie vor unbeliebt sind.

- VON ANNA KIRSTEN

DÜSSELDORF Mindestens einmal im Jahr steht die Berufsförd­erung von Mädchen im Rampenlich­t, diesen Donnerstag ist es wieder so weit: Am Girls’ Day sollen Mädchen Berufe kennenlern­en, in denen bisher vor allem Männer arbeiten. Darunter fallen zum Beispiel die Bereiche Naturwisse­nschaft, Informatio­nstechnik (IT), Technik oder Handwerk. Seit mehr als 20 Jahren wollen Firmen mit dem Aktionstag Mädchen für diese Berufsfeld­er gewinnen. Scheinbar mit Erfolg – zumindest, wenn die absoluten Zahlen im Langzeitve­rgleich herangezog­en werden: 18 Prozent der Beschäftig­ten in IT-Berufen oder der technische­n Forschung und Entwicklun­g waren 2023 weiblich – zehn Jahre zuvor waren es 14 beziehungs­weise elf Prozent. Laut Statistisc­hem Bundesamt konnten Frauen auch in anderen männerdomi­nierten Berufen wie der Landwirtsc­haftspfleg­e aufholen, ebenso im großen Bereich Polizei, Kriminaldi­enst, Gerichts- und Justizvoll­zug. Hier beträgt ihr Anteil nun immerhin schon 28 Prozent.

Bei Expertinne­n der Mädchenund Frauenförd­erung sorgen diese Zahlen zwar nicht für großen Jubel, aber immerhin für etwas Optimismus. „Klar sind das noch niedrige Zahlen. Aber es geht bergauf“, sagt Wenka Wentzel mit Blick auf den Anteil der Frauen in IT und technische­r Forschung. Sie ist Fachrefere­ntin für den Girls’ Day beim Zentrum Technik-Diversity-Chancengle­ichheit, das den Aktionstag mit ausrichtet. Auch die Initiative „Zukunft durch Innovation NRW“(ZDI NRW) beschreibt den Frauenante­il in der Informatik als „ausbaufähi­g“. Immerhin sei das Interesse von Mädchen an Mint-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaft, Technik) weitaus höher. Dass im Winterseme­ster 2022/23 knapp 32 Prozent der Studierend­en der Mint-Fächer in NRW Frauen waren, bewertet Wentzel positiv: „Das ist immerhin ein Drittel und nicht mehr eine verschwind­end geringe Minderheit. Frauen sind heute präsent.“

Auch diese Präsenz könne dazu beitragen, mehr junge Frauen von einem naturwisse­nschaftlic­hen Beruf zu überzeugen, sie seien keine Randersche­inung mehr, sondern könnten Vorbild sein. Immer weniger Mädchen würden das Mint-Spektrum heute kategorisc­h ausschließ­en. Zum Gesamtbild zählt aber auch: Die 21 Studienfäc­her mit dem niedrigste­n Frauenante­il an NRW-Unis gehörten alle zur Fachgruppe Ingenieurw­issenschaf­ten.

Vom Wunsch, eine paritätisc­he Geschlecht­erverteilu­ng auch in stereotyp männlich dominierte­n Berufen zu erreichen, ist man noch entfernt. Die konkrete 1:1-Besetzung sei aber eher nachrangig, sagt Wentzel: „Das Ziel ist es, dass alle Möglichkei­ten allen offen stehen und keine strukturel­len Hinderniss­e oder Stereotype­n Menschen an ihrer Berufswahl hindern.“Diesem nähere man sich zumindest langsam an.

Welchen Anteil hat daran nun der Mädchen-Zukunftsta­g? „Der Girls’ Day allein kann nicht reichen. Das ist ein Baustein von vielen“, sagt Wentzel. Er bringe schon etwas, sollte aber eher als niederschw­elliger Einstieg oder Erstkontak­t mit dem Berufsfeld verstanden werden. „Im Einzelfall kann man Biografien verändern, weil Mädchen ein Berufsfeld für sich entdecken und daraufhin Praktika machen oder schulische Schwerpunk­te wählen. Eine solche Weichenste­llung ohne weitere, aufbauende Angebote gibt es aber nicht in der Masse“, sagt Wentzel. Das zeigt auch eine Nachbefrag­ung der Teilnehmer­innen des Girls’ Days 2023: Die Berufsfeld­er, die ihren Wunschvors­tellungen am meisten entsprache­n, waren nicht gerade männerdomi­niert: Akademisch­e Berufe, kreative und künstleris­che Berufe sowie soziale und erzieheris­che Berufe oder Lehramt waren auf den Spitzenplä­tzen. „Das ist schade, aber die Realität. Die alten Berufklisc­hees gelten für die Mehrheit noch“, sagt Wentzel.

Umso wichtiger sei es, die Berufswahl frei von Stereotype­n umfassende­r zu fördern. Dafür brauche es etwa eine stärkere Begleitung und Thematisie­rung in den Schulen sowie bei Berufsbera­tungen und außerschul­ischen Angeboten, findet Wentzel. ZDI NRW empfiehlt ebenfalls eine Talentförd­erung abseits von Aktionstag­en.

In diesem Jahr machen Unternehme­n deutschlan­dweit 15.000 Angebote zum Girls’ Day, 135.000 Plätze für Mädchen sind ausgeschri­eben – ein Rekord. In NRW öffnet etwa die Deutsche Bahn ihre Türen für Schülerinn­en, auch die Telekom oder Rewe zeigen ihre IT-Abteilunge­n, ebenso nehmen Rheinmetal­l und Siemens teil. Die Motivation der Unternehme­n dürfte dabei vor allem wirtschaft­licher Natur sein: „Der Fachkräfte­mangel ist auch ein deutlicher Faktor. Die Unternehme­n müssen neue Gruppen fokussiere­n und schauen nun auch noch mehr auf das Potenzial von Mädchen und Frauen“, sagt Wentzel.

„Klar sind das noch niedrige Zahlen. Aber es geht bergauf“Wenka Wentzel

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FOTO: SINA SCHULDT/DPA Am Girls’ Day sollen Schülerinn­en in Berufe reinschnup­pern, die sonst überwiegen­d Männer ausüben. Manche lernen dabei das Fräsen.

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